VISION 20003/1999
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Die Gottesmutter Maria - ein Stein des Anstoßes

Artikel drucken Was so alles aus der Gottesmutter gemacht wird (Sabine Düren)

Um Maria ist es nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil still geworden, sowohl was Theologie als auch was Lehramt und Frömmigkeitsformen anbelangt. Die üppige und farbenfrohe Marienverehrung wich im Rahmen der nachkonziliaren Entwicklungen einem nüchternen und wortgewaltigen, dafür bisweilen gefühlsarmen Glauben. Den vielfältigen Reichtum an Formen, Farben und Gefühlen, mit denen Maria einst zur Darstellung und Verehrung gebracht wurde, vermissen nicht wenige Katholiken. Diese pilgern darum regelmäßig zu den wenigen noch existierenden Marienwallfahrtsorten, wo man in Erinnerung an die alten Traditionen ein bißchen ins Träumen geraten kann. Diese Refugien einer verschwindenden Minderheit werden aufgrund ihrer Wirkungsarmut und fehlender Publicity von progressiven Kräften als harmlos eingestuft und deshalb geduldet, wenn auch bisweilen mit gewissem Unbehagen als reaktionär und unmodern belächelt.

Tatsächlich hat das, was an solchen Orten geschieht, kaum noch etwas mit dem alltäglichen Katholizismus zu tun: Welche Familie betet schließlich heute noch täglich den Rosenkranz oder wenigstens noch ein ,Ave Maria'? Wer empfindet die Marienfeste im Kirchenjahr als Kristallisationspunkte katholischer Frömmigkeit? Wer hat zu Maria noch eine lebendige Beziehung und bittet die Gottesmutter um Beistand und Hilfe?

Lange galt die Marienverehrung als schwerer Hindernisstein auf dem Weg zur Einheit mit dem Protestantismus. Obwohl Christen gemeinsam bekennen, daß Jesus Christus von der Jungfrau Maria geboren ist, und Maria den Titel ,Gottesmutter' zuerkennen, obwohl etwa die Weihnachtspredigten und die Magnificat-Auslegung Martin Luthers von einer echten Marienfrömmigkeit zeugen, bestehen von seiten des Protestantismus mehr denn je Vorbehalte gegen die neueren Mariendogmen, gegen nicht in der Bibel verankerte Marienfeste und vor allem gegen bestimmte Formen der Marienverehrung, die die Mitwirkung Mariens am Erlösungswerk betrachten. Aufgrund der nachkonziliaren ökumenischen Bemühungen war vor allem auf Seiten der Theologie ein bewußtes Ausklammern marianischer ,Reizthemen' zu beobachten.

Nach jahrzehntelangem Schweigen über die Marienverehrung und ebenso langem Unterdrücken ,übersteigerter' Marienverehrung aufgrund ökumenischer Gesichtspunkte erstaunt nun die Tatsache, daß in den letzten Jahren wieder mehr über Maria geschrieben wurde. Im Buchmarkt konnten sich sogar einige Bestseller etablieren, die ,Maria', die Mutter Jesu, thematisierten. Beim unbedarften Beobachter mag sich zunächst große Freude darüber einstellen, daß dieses spirituelle Gebiet nicht mehr völlig ignoriert wird. Bestätigt also der Modetrend die traditionelle Frömmigkeit des einfachen Volkes, das unbeirrt jeglicher ökumenischer Problematik weiterhin zu Marienwallfahrtsorten gepilgert ist? Setzt eine Neubekehrung ein, die von Maria ausgeht? Können wir hier sogar von einem Neuaufbruch der Marienfrömmigkeit sprechen?

Bei genauerem Hinsehen kann man jedoch feststellen, daß das neugewonnene Interesse an Maria ganz andere Ursprünge als die herkömmliche Marienverehrung hat. Gerade im Rahmen des mittlerweile auch in der katholischen Kirche ,salonfähigen' Feminismus wurde es wiederentdeckt, das Mädchen aus Nazareth. Diese Bewegung singt aber nicht mehr die alten Lieder "Maria, dich lieben ...", sieht Maria nicht mehr als Fürsprecherin und Vorbild an, sondern kratzt vielmehr am Gold der alten Mariendarstellungen. Im Bemühen um eine ,zeitgemäße' Mariologie will man Maria befreien vom ,alten Kitsch'. Man fühlt sich dabei als Retter und Befreier Mariens: "Ich fliehe vor den frommen Bildern - sprach die Mutter Gottes - vor der papiernen Abstraktion meiner selbst, vor den Damen, die wie Schaufensterpuppen zu meinen Portraits Modell sitzen, vor der kanonisierten Kosmetik" (Jan Twardowski). Eine "sentimentale Vordergründigkeit" habe den Blick auf die ,wahre' Maria im Laufe der Geschichte verstellt: "Viel hat diese Frau ausgehalten ... Abwehr von körperlicher Lust, Rechtfertigung an Hingabe und Dienst ohne nachzufragen, Verwechslung von Religiosität und Gefühlsverschwommenheit" (Winfried Nonhoff).

Anhand des zentralen Punktes der jungfräulichen Gottesmutterschaft Mariens soll exemplarisch aufgezeigt werden, daß das heutige ,Sprechen von Maria' wiederum nichts zu tun hat mit der herkömmlichen und traditionellen Marienverehrung.

Muttersein und Mütterlichkeit sind Werte, die heute nichts mehr wert sind. Das Bezogensein auf das Kind wird für die moderne Frau nur als Fessel verstanden. Während man früher, was ja auch durch die darstellende Kunst deutlich wurde, das Kind, konkret das göttliche Kind, in den Vordergrund stellte und Maria "gleichsam [als] der Leuchter, der das Licht der Welt trägt" (Gertrud von le Fort) bescheiden im Hintergrund stand, drängt sich heute die Frau in die Bildmitte. Dies wird bezeichnenderweise in der Abtreibungsdebatte deutlich, wo es stets um die Lebensqualität der Frau geht, der man die Entbehrungen und Verzichte, die eine Mutterschaft zwangsläufig mit sich bringen würde, nicht mehr zumuten kann.

Darum wird Maria von den Feministinnen nicht mehr als ,Gottesmutter' verehrt, die ganz hinter das göttliche Kind zurücktritt und dadurch an der Erlösung mitwirkt. Vielmehr blickt man heute auf die "kleine Frau" aus Nazareth, das "armselige Mädchen", das "unehelich schwanger" war und damit das Schicksal so vieler Frauen auch in unserer Zeit teilt. Gegen eine "domestizierte, erhöhte" Maria proklamiert man nun einerseits die ,menschliche, alltägliche' Maria, aus dem exemplarischen Menschen wird ein Durchschnittschrist, "das jüdische Mädchen ..., so menschlich, aufmüpfig, schwesterlich, weiblich" (Johannes Thiele), das ,ungewollt schwangere Mädchen', das sich seinen Weg auf dieser Welt erkämpft. Maria wird aus dem Himmel auf die Erde ,konkreter Erfahrungen und Situationen' zurückgeholt. Eine mit Körper und Seele in den Himmel Aufgenommene wird nicht mehr akzeptiert. Weg von der Heiligen, dem Vorbild im Glauben, der Frau "voll der Gnaden" hin zur Freundin, Schwester und Leidensgenossin, so kann die moderne Strömung auf einen Nenner gebracht werden. Die heutige Sichtweise Mariens vergißt jedoch, daß in der Marienverehrung das Menschliche an sich geadelt wird. Wer auf den Adelstitel Mariens verzichtet, gibt sich mit einem spießbürgerlichen Humanismus zufrieden.

Andererseits ist auch eine ideologische Überfrachtung von seiten des Feminismus zu beobachten. Maria wird eingespannt vor den Karren des Geschlechterkampfes. Nicht mehr als ,Gottesmutter' wird sie betrachtet, sondern als heimliche und zurückgedrängte Göttin. Maria offenbare die weiblichen Züge Gottes, die das von Männern vertretene Christentum bisher erfolgreich unterdrückt habe. Ihr wird ein Platz zugewiesen, den sie nach biblischen Aussagen nie hätte einnehmen wollen. Aus der demütigen jungen Frau, die ihre eigenen Wünsche völlig zurückstellt und ihr ,Fiat' - ,Mir geschehe nach deinem Wort' spricht, wird nun eine Göttin, die den ,alten' Männergott entthronen und die Göttlichkeit der Frau zum Ausdruck bringen soll: "Göttin Gott" wird Maria von Kurt Marti genannt, von der Dichterkollegin Luise Rinser als "Urmutter, die den Geist gebiert" bezeichnet.

Doch nicht nur die Gottesmutterschaft Mariens wird umgedeutet, auch ihre Jungfräulichkeit erhält eine andere Aussage. Jungfräulichkeit wird nicht mehr leiblich verstanden, wie ein lyrischer Text von Kurt Marti aufzeigt: "später viel später blickte maria ratlos von den altären auf die sie gestellt worden war und sie glaubte an eine verwechslung als sie - die vielfache mutter - zur jungfrau hochgelobt wurde und sie bangte um ihren verstand als immer mehr leute auf die knie fielen vor ihr".

Jungfräulichkeit wird vielmehr nur noch als Bild für weibliche Unabhängigkeit vom Mann gedeutet. Die Jungfrau ist die vom Mann nicht abhängige und deshalb über den Mann triumphierende Frau. Maria wird dadurch zum Ausdruck des vom Feminismus postulierten Geschlechterkampfes. "In Maria wurde der uralte matriarchale Glaube lebendig, nach welchem die Frau durch göttlichen Geist statt durch den Mann fruchtbar wird. Dies ist jedenfalls der Sinn der Bezeichnung" (Catharina Halkes). Man mißbraucht die Jungfräulichkeit Mariens für eine Ideologie der Befreiung der Frau in jeglicher Hinsicht, auch der Befreiung der Frau von ihrem eigenen Ideal und Urbild.

Maria kommt so keinerlei vorbildliche Funktion für die Frauen mehr zu. Die Urgestalt christlichen Glaubens mutiert zum "Glaubenssymbol", das sich einsetzt für die "Menschwerdung von Frauen". Maria wird zum Ausdruck des mühsamen Weges "zu einem neuen Selbst-Verständnis und zu einer neuen Identitätsfindung von Frauen" (Catharina Halkes). Die moderne Maria trägt keinen Heiligenschein mehr und steht auf keinem Podest. Sie ist vielmehr bekleidet mit den Hosen der kämpferischen Feministinnen und steckt selbst im Sumpf der modernen Promiskuität. Es kann nur festgestellt werden: Diese ,Maria' hat nichts mehr mit der von der Kirche über Jahrhunderte und Jahrtausende verehrten Jungfrau und Gottesmutter zu tun. Es handelt sich vielmehr um einen Versuch, traditionelles Glaubensgut dadurch umzudeuten, daß man die Begriffe mit anderen Inhalten füllt, seien sie tiefenpsychologischer, feministischer oder auch befreiungstheologischer Art.

Tatsächlich ist ,Marienverehrung' in dieser Form kein Hindernis für die Ökumene mehr. Maria darf aber keinesfalls aus Gründen der Einheit der Kirche dem Feminismus oder der Befreiungstheologie überlassen werden. Es geht vielmehr darum, die katholische Botschaft von Maria, der Jungfrau und Gottesmutter, unbeirrt und vollständig zu verkünden. Das Vokabular muß sich dabei am Zweiten Vatikanischen Konzil orientieren: "Die selige Jungfrau, die von Ewigkeit her zusammen mit der Menschwerdung des göttlichen Wortes als Mutter Gottes vorherbestimmt wurde, war nach dem Ratschluß der göttlichen Vorsehung hier auf Erden die erhabene Mutter des göttlichen Erlösers, in einzigartiger Weise vor anderen seine großmütige Gefährtin und die demütige Magd des Herrn. Indem sie Christus empfing, gebar und nährte, im Tempel dem Vater darstellte und mit ihrem am Kreuz sterbenden Sohn litt, hat sie beim Werk des Erlösers in durchaus einzigartiger Weise in Gehorsam, Glaube, Hoffnung und brennender Liebe mitgewirkt zur Wiederherstellung des übernatürlichen Lebens der Seelen. Deshalb ist sie uns in der Ordnung der Gnade Mutter" (Lumen gentium 61).

Ein Blick auf Maria ist wichtig, um eine angemessene Haltung des Menschen vor Gott zu finden. Sie allein weist den Weg zu einer Mitwirkung des Menschen und der Kirche am Erlösungsgeschehen. Darum macht eine rechte Verehrung der Jungfrau und Gottesmutter der Vergötzung alles Menschlichen ein Ende. Maria führt die Menschen zu ihrem göttlichen Sohn hin.

Maria, die jungfräuliche Gottesmutter, galt schon immer als der Punkt innerhalb des katholischen Glaubens, an dem alle Glaubensaussagen zusammenlaufen. Sie hat einen zentralen Platz in der Heilsgeschichte und verweist auf das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus und der Kirche. Dadurch wird Maria selbst zum Prüfstein: Alle theologischen Neuentwürfe müssen sich an ihr messen lassen. Kritisches Prüfen ist nun angesagt.

 

Buchempfehlung

Wer sich näher mit den Auswirkungen der Marienfrömmigkeit auf das Frauenbild in Kirche und Gesellschaft beschäftigen möchte, sei auf die Dissertation der Autorin verwiesen:

Sabine Düren, Die Frau im Spannungsfeld von Emanzipation und Glaube,

S. Roderer Verlag Regensburg 1998, ISBN 3-89073-237-2, 620 Seiten, 62,-- DM.

Das Buch ist im Buchhandel erhältlich oder kann direkt bei der Autorin bestellt werden:

Dr. Sabine Düren, Geistbergstr. 16, 86647 Buttenwiesen

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