VISION 20003/1999
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Der selige Pater Pio

Artikel drucken Botschaft an uns (Wolfgang Stadler)

Die kürzlich erfolgte Seligsprechung des erst 1968 verstorbenen P. Pio hat die meisten wohl nicht besonders überrascht. P. Pio war ein Wegbereiter wie Johannes der Täufer, von dem gesagt wurde: "Du wirst sein Volk mit der Erfahrung des Heils beschenken in der Vergebung der Sünden". Er war ein Priester, der Unzähligen durch die außergewöhnlichen Gnaden, die ihm Gott verliehen hatte, den Heimweg zu Gott weisen konnte.

Francesco Forgione wurde am 25. Mai 1887 in Pietrelcina als achtes Kind ärmlicher Kleinbauern geboren. Von der frommen Mutter lernte er frühzeitig die Freude am Gebet. Francesco war ein ruhiges, eher schweigsames Kind, aber kein Außenseiter. Vom Glauben gefesselt und von Jesus zutiefst beeindruckt, wollte auch er dessen Leidensweg nachfolgen und Buße tun, um Ihm so näher zu kommen.

Sehr früh erwachte in ihm der Wunsch, Priester zu werden, 1902 trat er in das Kapuzinernoviziat von Marcone ein. Schon damals dürfte ihm seine Sendung offenbart worden sein, wenn er schrieb: "O Gott, laß mein armes Herz dich immer mehr empfinden und vollbringe in mir das Werk, das du angefangen hast. Dauernd höre ich in meinem Innersten eine Stimme, die mir sagt: Heilige dich und heilige."

1903 wurde er eingekleidet und bekam den Ordensnamen Bruder Pio. Besonders eifrig in den Bußübungen, schränkte er sich sogar im Essen ein, und sein körperlicher Zustand verschlechterte sich zusehends. 1910 bat er seinen Provinzial um Dispens für die Priesterweihe, weil er selbst fürchtete, den vorgesehenen Termin nicht mehr zu erleben: "Vater, lassen Sie mich diesen Tag nicht länger ersehnen." Am 10. August 1910 wurde er zum Priester geweiht.

Immer mehr lernte er, liebend zu leiden und immer wieder bot er sich Jesus an als Sühneopfer für die Sünden anderer und für die armen Seelen. Als echter Mystiker fand er die innigste Gottesvereinigung nur durch das Kreuz. Immer kränklich, wurde er häufig zur Erholung heimgeschickt. Damals schrieb er: "Ja, mein Vater, auch inmitten so vieler Leiden bin ich glücklich, wenn es mir scheint, als würde mein Herz mit dem Herzen Jesu schlagen."

Einmal erkrankte er so schwer, daß er nicht mehr in der Lage war, täglich die hl. Messe zu zelebrieren, 21 Tage lang war die heilige Eucharistie seine einzige Nahrung. Zeitweise wurde seine Situation so schwierig, daß man sogar überlegte, eine Überstellung in den Laienstand zu erwirken. So beklagte er sich einmal bei seinem Ordensvater, dem hl. Franziskus: "Mein Vater, nun jagst du mich doch noch aus deinem Orden hinaus? Laß mich doch eher sterben!" Erst 1915 nahm diese Unsicherheit ein Ende.

Es waren aber nicht nur äußere Krankheiten, die ihn quälten: "Und wenn nicht die inneren Leiden wären, die mir das Herz zerreißen, wäre ich fast in einem Paradies der Wonnen." Mit den inneren Leiden meinte er schwerste Anfechtungen, denen er ausgesetzt war.

Mit zunehmender Gewißheit erkannte er, daß Gott durch das Leiden aus ihm einen Mitarbeiter am Werk der Erlösung machen wollte: "Jesus wählt sich die Seelen aus, und unter diesen hat er ohne mein geringstes Verdienst auch mich erwählt, ihm beim großen Geschäft der Rettung der Menschen zu helfen." Er wagte sogar den schwersten Schritt: Er wollte leiden ohne Trost und fand darin, wie er schrieb, seine ganze Freude. P. Pio lebte getreu dem Satz aus der "Nachfolge Christi": Trägst du dein Kreuz gerne, so wird es dich tragen.

Diese Haltung macht auch sein Leben verständlicher. Für viele Menschen, die zu ihm pilgerten, war er nur eine sensationelle Gestalt: der mit den Stigmata versehene Priester. P. Pio aber wollte sein Leben als Opfer der Liebe in stellvertretender Sühne leben, um durch seine Opferbereitschaft dem ganzen Gottesvolk zu nützen.

Seine Stigmatisierung war ein kontinuierlicher Prozeß. Erste Anzeichen, heftige Schmerzen an Händen und Füßen, traten bereits zur Zeit seiner Priesterweihe auf. Die für ihn jahrelang andauernden unerklärlichen Vorgänge verunsicherten ihn sehr. In den Briefen an seinen Seelenführer sprach er nur auf besonderes Befragen darüber. Am 20. September 1915 erhielt er die unsichtbaren Wundmale dauerhaft, die Schmerzen der fünf Wunden verließen ihn nun zeitlebens nicht mehr.

Und wieder schrieb er nur im Gehorsam und fast widerwillig seinem Seelenführer davon. Zugleich fühlte er sich "immer verlorener in der finsteren und zunehmenden Unordnung des Geistes, im Dunkel unter dem schmerzlichen Verlust aller Kräfte und der Verwirrung der Sinne". Er fühlte sich von Gott verlassen, empfand die Stigmen nicht als Auszeichnung, sondern als entsetzliche Qual. Im Oktober 1918 schrieb er über die furchtbaren Stunden, die er durchgemacht hatte: Gott sei seinem Geist fremd geworden, und er wisse nicht, wo er suchen soll.

"Mein Gott, wo bist du? Hast du mich für immer verlassen? Ich möchte meine Not hinausschreien und laut wehklagen. Doch ich fühle mich so schwach und meine Kräfte drohen mich zu verlassen." Zugleich sah er "seine ganze Bosheit und seinen großen Undank wie in einem offenen Buch" vor sich. "Ich sehe den alten Menschen in mir, wie er gleichsam Gott die ihm zustehenden Rechte verweigern will". Am 20. September 1918 erhielt P. Pio die sichtbaren Wundmale. Bezeichnend sind seine Worte: "Mein Gott, welche Verwirrung und Demütigung empfinde ich, wenn ich verkünden soll, was du in diesem deinem nichtigen Geschöpf gewirkt hast."

Es ist klar, daß diese Vorgänge nicht lange verborgen bleiben konnten, und ab 1919 kam ein ununterbrochener Besucherstrom zum Kloster nach San Giovanni Rotondo, wo er seit September 1916 lebte. Nun stand er wider Willen im Mittelpunkt des Interesses, den einen ein Beweis für die Wirklichkeit des Kreuzes, den anderen eine Torheit, ein Ärgernis. Er wurde bösartigsten Verdächtigungen und Verleumdungen ausgesetzt. Man wollte das Unerklärliche mit Hysterie, religiösem Fanatismus, Selbstverletzung, schnöder Gewinnsucht und sogar mit syphilitischen Wunden erklären.

Obwohl eingehende medizinische Untersuchungen die Unerklärbarkeit der sehr schmerzhaften und blutenden Wunden bezeugten, die sich jedoch weder entzündeten noch verheilten, erfuhr er auch von seiten kirchlicher Vertreter große Skepsis. Wiederholt veranlaßt, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, gehorchte er immer mit völliger Selbstverständlichkeit.

Es dauerte 10 Jahre, bis die Verleumdungen und bösartigen Unterstellungen durch Rehabilitierung des schwergeprüften Priesters ein Ende nahmen. Erst 1933 wurden von Pius XI. die Einschränkungen, die man gegen ihn verfügt hatte, wieder aufgehoben: Er durfte die Hl. Messe wieder öffentlich zelebrieren und ab 1934 wieder Beichte hören.

Zutiefst erschütternd muß das Erlebnis einer Hl. Messe mit ihm gewesen sein, wenn der mit den blutenden Wundmalen gezeichnete Priester das Kreuzesopfer Jesu auf dem Altar gegenwärtig machte - ein Ereignis, das Stunden dauern konnte. Ebenso, wenn er im Beichtstuhl, mit der Gabe der Herzensschau begnadet, den Menschen den Heimweg zu Gott wies. Aber auch, wenn er die Absolution nicht erteilen konnte: "Geh, du stiehlst mir die Zeit! Ändere dein Leben!" Denn jeder, der so weggeschickt wurde, kam wieder zurück... Unzählbar ist die Schar der Bekehrten, die im Beichtstuhl begriffen hatten, welch ein Gottesgeschenk dieser Priester war - wie jeder gute Priester! P. Pios außerordentliche Gaben, die zahlreichen wunderbaren Ereignisse, die in seiner Gegenwart und auf seine Fürbitte hin geschahen, also das, was zeichenhaft für alle nach außen hin durch ihn geschah - alles das ist ausreichend und glaubwürdig dokumentiert.

Von größter Bedeutung aber ist P. Pios Botschaft an alle Menschen: Durch das Gebet zu Gott zurückzukehren. 1947 entstanden auf P. Pios Anregung hin die ersten Gebetsgruppen. "Das Gebet ist ein Überströmen unseres Herzens in dasjenige Gottes. Wenn es recht gesprochen wird, so bewegt es das göttliche Herz und lädt es dazu ein, uns zu erhören. Er läßt sich von unseren Gebeten ergreifen, um uns zu Hilfe kommen zu können." Er lud die Menschen ein, ihr Gebet mit dem seinen zu vereinigen und dann, wie er sich ausdrückte, "sanften Druck auf Gottes Herz auszuüben."

Diese Einladung zur Rückkehr zu Gott durch das Gebet, zum Annehmen von Opfer und Leiden für andere erscheint als die immer dringender, aktueller werdende Botschaft des Seligen an uns, als einzige Antwort auf die erschreckend zunehmende geistliche Verarmung unserer Zeit, unserer Gesellschaft, von uns allen.

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