VISION 20003/1999
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Gebet - ein Streßkiller

Artikel drucken Gedanken beim Durchlesen der Todesanzeigen (P. Berthold Egelseder OSB)

Fünf Mal im Tage kommen wir im Kloster zum gemeinsamen Gebet zusammen. Am Eingang des Gebetsraumes meldet eine Tafel, mit welchen Klöstern wir in Gebetsverbrüderung stehen. Daneben haben die Todesanzeigen der österreichischen und ausländischen Benediktinerklöster ihren besonderen Platz. Stets ist die Bitte um das Gebetsgedenken für die Heimgegangenen angefügt.

Es geht manchmal um berührende Lebensfügungen, oft auch um schlichte Lebensbilder von Frauen und Männern, die ihre Lebenszeit, Talente und Kräfte Gott und den Mitmenschen geweiht haben. Gerne lese ich diese Nachrichten vom Leben und Sterben im Kloster und spende im Vorbeikommen einige Tropfen Weihwasser.

Vor einiger Zeit habe ich den jungen, noch studierenden Mitbruder Frater Michael dazu angeregt, die eingegangenen Todesanzeigen, im Mittelalter als "Roteln" bezeichnet und als Geschichtsquellen geschätzt, durchzusehen. Es gab zwischen 1984 und 1994 insgesamt 67 Todesanzeigen, 39 von Ordensmännern, 28 von Ordensfrauen.

Nun wollteich das Alter der Entschlafenen wissen und die Zahl ihrer Geschwister. Das Ergebnis: Neun Ordensleute erreichten das Alter von 90 und Jahren und darüber. Einer wurde sogar 105 Jahre alt. Das Durchschnittsalter der Ordensfrauen betrug 80,2, das der Ordensmänner 82,6 Jahre. Ordensmänner wurden also älter als Ordensfrauen.

Die zweite Frage bezog sich auf die Zahl der Geschwister. Neun Personen hatten zehn oder mehr Geschwister, eine Ordensfrau aus Österreich sogar 14. Die durchschnittliche Zahl der Geschwister betrug bei Ordensmännern 5,7, bei Ordensfrauen 5,2.

Was erzählen nun diese Zahlen, hauptsächlich aus deutschsprachigen Klöstern Europas? Auffallend ist die überdurchschnittlich hohe Lebenserwartung der Ordensleute. Sicher hat da der Rhythmus von Arbeit und Gebet mitgewirkt. Gebet ist ein "Streßkiller", bringt Hilfe und Entspannung, wie Therapeuten wissen.

Zweitens sehen wir, daß vor allem den kinderreichen Familien geistliche Berufe zu verdanken sind. Sicher leben wir in ganz anderen Zeiten und das öffentliche Klima, die hohen Wohnungskosten sind für kinderreiche Familien sehr ungünstig. Dennoch müßte es nicht sein, daß wir bei äußerem Wohlstand eines der geburtenärmsten Länder geworden sind. Natürliches und religiöses Leben bedingen einander. "Leben ist mit Leben nur verbündet, auf daß ein göttlich All uns sei verkündet."

Oft macht der Mensch sich zum Herrn über das Leben, das Gott ihm zu treuen Händen anvertraut von der Stunde der Empfängnis bis zum Aushauchen der Seele.

P. Berthold Egelseder OSB

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