VISION 20005/1999
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Ein verdrängtes Leiden

Artikel drucken Das Post Abortion Syndrom (Inge Exel)

Im Rahmen einer Hagiotherapieausbildung habe ich Dr. Karl Schmiedecker, einen praktischen Arzt, kennengelernt. Durch unser gemeinsames Interesse an Heilung durch Gebet für Leidende wurde mir klar, daß es viele Frauen gibt, die das Trauma einer Abtreibung nicht aufarbeiten konnten. Dr. Schmiedecker hat mir von den vielen Problemen berichtet, die nach Abtreibungen auftreten können.

Sie beschäftigen sich insbesondere mit chronisch Kranken, die Beschwerden im vegetativen Nervensystem haben. Sind Sie auch dem PAS begegnet, dem Post Abortion Syndrom?

In der Psychiatrie wird die Gesamtheit der Symptome, welche als Folge von Abtreibungserlebnissen auftreten, als PAS bezeichnet. Aus der Regulationsmedizin wissen wir, daß Narben im körperlichen Bereich ein Störfaktor sein können. Solche Narben finden wir aber auch im seelischen und im geistigen Bereich. Dazu gehört die Narbe und Wunde eines nicht verarbeiteten Abtreibungstraumas.

Welche Folgeerscheinungen können da auftreten?

Beim PAS unterscheiden wir Früh- und Spätfolgen und zwar sowohl im körperlichen wie auch im seelisch-geistigen Bereich. Die akuten körperlichen Frühfolgen wie akute Blutungen, Gebärmuttereinriß oder akute Infektionen, sind im Rahmen der modernen Aktumedizin allgemein gut beherrschbar. Für die akuten psychischen, geistigen und seelischen Frühfolgen werden im allgemeinen Psychopharmaka, Nervenmedikamente angeboten.Die geistig-seelischen Frühfolgen können sein: Angstzustände, Depressionen, Schlafstörungen, Panikattacken. Vielen Patientinnen gelingt es, durch verschiedene Mechanismen der Verdrängung oder Projektion eine vorübergehende Besserung ihrer seelisch-geistigen Probleme zu erlangen.

Was ist Verdrängung, was Projektion?

Verdrängung: Hier handelt es sich um das Abschieben des Traumas aus dem Bewußten ins Unterbewußte. Nicht selten aber gehen diese Verdrängungen mit Störungen einher, die zunächst nicht unmittelbar mit dem Trauma der Abtreibung in Verbindung gebracht werden. Projektion: Hier werden eigene Probleme auf andere übertragen, auf den Ehepartner, Freunde, Verwandte. Die Folge sind Beziehungsstörungen.

Wie steht es mit den Spätfolgen?

Bei den körperlichen Symptomen können es sein: Verwachsungen, Menstruationsstörungen, Probleme bei späteren gewollten Schwangerschaften. Vor allem erheblich gesteigerte Neigung zur Frühgeburten oder Fehlgeburten. Weiters eine erhöhte Rate an Eileiter- oder Bauchhölenschwangerschaften. Abgesehen von Erkrankungen im unmittelbaren Bereich kommt es zu Störungen der Blase und des absteigenden Dickdarms. Das innere Genitale, die Blase und der absteigende Dickdarm haben eine funktionelle Einheit. Aber auch an allen anderen Organen ist eine Projektion möglich. Wir denken hier besonders an Asthma Bronchiale, aber auch an Störungen im Bereich des Herz-Reizleitungssystems mit Rhythmusstörungen. Die seelisch-geistigen Störungen schließen sich an die Akutfolgen an, wobei Depressionen vor allem dann verstärkt neu auftreten können, wenn die Patientin ins Klimakterium kommt.

Wie weit ist das PAS erforscht?

Leider viel zu wenig. Das dürfte auch der Grund sein, warum viele Ärzte selten an ein PAS denken. Sind aber einmal die Zusammenhänge und die Wurzel der Krankheit entdeckt, kann den leidenden Frauen gezielter und wirksamer geholfen werden.

Wie gehen Sie als Arzt an dieses Problem heran?

Seitdem ich mich vermehrt mit diesem Problem auseinandersetze, frage ich Patientinnen mit therapieresistenten Beschwerden gezielter nach Eingriffen im gynäkologischen Bereich.

Gibt es Beispiele für eine erfolgreiche Behandlung?

Ich denke an eine 32jährige Frau, die während ihres Studiums eine Abtreibung hatte. Sie kam wegen Schlafstörungen, Angstzuständen und Stuhlunregelmäßigkeiten. Sie war sehr offen und bereit, die vergangene Abtreibung auch als Fehler einzusehen, sich diesem Trauma zu stellen. Die junge Frau hat fleißig gemalt, mit Ton modelliert, immer wieder die Abtreibung und die Gefühle, die mit dieser verbunden waren, in Erinnerung gerufen. Sie hat auch ihr Kind in Ton modelliert. Nachdem sie ihrem Kindlein einen Namen gegeben hatte, es auch begraben. Während dieser Aufarbeitungszeit konnte sie sehr viel weinen. Nach einiger Zeit trat eine deutliche Besserung der Beschwerden ein. Eine Befreiung von ihren Angstzuständen erreichte sie aber erst nach einer Lebensbeichte, nachdem sie sich selbst und allen, die bei der Abtreibung eine Rolle gespielt hatten, verziehen hatte.

Was ist Ihrer Meinung nach die wesentliche Aufgabe des Arztes?

Erstens einmal an die Möglichkeit eines PAS zu denken und zweitens diese Frauen mit besonderer Liebe und Geduld zu umsorgen, ihnen Strategien zu zeigen, die helfen, aus der oft jahrelang verschwiegenen Not herauszukommen. Nur wenn die Frau schmerzhafte Erinnerungen, Wut und Trauer zuläßt ist Aufarbeitung und Versöhnung möglich. Aus den Erfahrungen meiner Praxis kann ich betonen, daß vollständige Heilung in vielen Fällen dann möglich war, wenn die Patientin sich selbst vergeben konnte und den Weg zum Sakrament der Versöhnung gefunden hat.

Es ist hier nicht der Platz genauere Therapievorschläge anzubieten. Ein erster Schritt ist aber sicher, dem ungeborenen Kind einen Namen zu geben, es in der heiligen Eucharistie Gott hinzuhalten und es Ihm zu übergeben. Unsere Aufgabe, die jedes einzelnen wäre: Aufklären, warnen, helfen, trösten, lieben und liebend beten.

Inge Exel

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