VISION 20005/1999
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Die Hoffnung lebt

Artikel drucken Neubeginn nach einer Abtreibung (Maria Prügl)

Im Rahmen meiner Tätigkeit im diözesanen Familienreferat, die unter vielem anderen auch den Schutz des Lebens umfaßt, stieß ich auf das sogenannte "Post Abortion Syndrom" (PAS) und "Post Abortion Surviver Syndrom" (PASS). Zumindest theoretisch wußte ich nun Bescheid: Es geht um die tiefe Verletzung Betroffener nach einer Abtreibung und zwar in typischer und unerwartet komplexer Art. Die Forschung diesbezüglich ist noch jung.

Wie gesagt - theoretisch wußte ich, was "das" sei und daß es "das" geben sollte. Mein Problem war, daß mir bislang noch kein "Betroffener" persönlich begegnet war. Eigentlich unglaublich, wenn man bedenkt, daß in Österreich geschätzte 90.000 Abtreibungen im Jahr stattfinden.

Ja, im Gegenteil, erst unlängst las ich in einem bekannten Journal, daß "prominente Abtreiberinnen" (so der Titel) keinerlei negative Auswirkungen haben. Eine dieser Frauen schrieb sogar, daß "dieser Tag der glücklichste ihres Lebens sei." Ist das Post Abortion Syndrom vielleicht nur suggeriert - von Abtreibungsgegnern? Oder der Kirche?

Bald sollte ich das moderne Tabu persönlich kennenlernen. Im Februar erhielt ich eine Einladung in die Schweiz zu einem Informationswochenende über Heilung und Therapie nach PAS. Dort lernte ich erstmals "Betroffene" selbst kennen: Mütter in verschiedenen Lebenssituationen (besonders erschütternd eine Mutter mit ihrer 19jährigen Tochter, die vier Jahre nach der Abtreibung immer noch unfähig ist, ihr Leben zu bewältigen), ein junger Vater, eine Hebamme gaben erschütternde Lebensberichte!

"Seit meiner Abtreibung denke ich die ganze Zeit an mein Kind. Ich träume jede Nacht davon, daß ein Anruf mich weckt. Im Traum hebe ich den Hörer ab und sehe mein blondes Kind. Es fragt : Mama, darf ich jetzt kommen?"

Die Hebamme Kathrin unterzieht sich inzwischen einer anderen Berufsausbildung: "Wir Hebammen konnten einfach nicht mehr! Es ist brutal, in diesem Dienst zu arbeiten."

Die Symptome wiederholen sich in typischer Weise: Depressionen, unklare psychosomatische Beschwerden, Schuldgefühle, Beziehungsstörungen (viele Partner- und Eheprobleme haben hier ihre Wurzel), Robotergefühl ("ich funktioniere nicht mehr"), Probleme mit Sexualität und Fruchtbarkeit, Abhängigkeit von Alkohol und Drogen.

Schlimm auch die Probleme für die Geschwister. Sie sind nur "zufällig Überlebende", haben der Mutter nur zufällig in den Zeitplan gepaßt. Das Schlimme ist: Die Kinder ahnen, daß sie Geschwister hatten und von der Abtreibung wie "zufällig" erfahren.

Da das Ziel des Treffens nicht das Thema PAS war, sondern vor allem die Information über das Heilungskonzept von "Hope Alive" berichteten die Betroffenen offen über die Zeit vor, während und nach dem Seminar.

Dieses Wort "Hope Alive" stammt aus der großen Lebensenzyklika "Evangelium Vitae": Papst Johannes Paul II. spricht den betroffenen Frauen Trost zu. Trotz des großen Unrechts, das eine Abtreibung ist, gibt es Hoffnung auf Vergebung und Heilung. Ihnen, die sich "verloren glauben", sagt er unter anderem: "Gebt die Hoffnung nicht auf"! Er ermutigt sie, Hilfe zu suchen bei gläubigen und therapeutisch kompetenten Menschen. Dieses Wort "Gebt die Hoffnung nicht auf!", ist der Name des Seminars. Da es in Kanada und daher englischsprachig entwickelt worden ist, heißt es "Hope Alive".

Nach Österreich zurückgekommen, hatte ich mir vorgenommen, das Thema gelegentlich anzusprechen. Und nun machte ich innerhalb weniger Tage die Erfahrung, daß die Betroffenen des PAS auch bei uns überall da sind. Verborgen leiden sie, wissen oft nicht, warum. Sie nehmen nur die Symptome wahr und können sich nicht selbst die Diagnose stellen.

Kurz nach der Rückkehr aus der Schweiz wurde ich eingeladen, über medizinische und ethische Aspekte des Lebensschutzes und der Empfängnisregelung zu sprechen. Dabei hatte ich auch das PAS angesprochen.

Am nächsten Tag suchte mich eine der Zuhörerinnen auf. Weinend berichtete sie mir, daß sie bereits jahrelang an den genannten Symptomen leide.

Jahrelang gehe sie schon in die Therapie, zu einer gläubigen Therapeutin und komme nicht zu einem Durchbruch. Sie habe als junge Frau eine Abtreibung machen lassen, habe es auch gebeichtet und die ihr aufgegebene Buße angenommen, und trotz Vergebung der Schuld leide sie subjektiv an den Folgen, wie sie selbst feststellte. Sie finde sich wieder in der "tiefen Verletzung nach Abtreibung." Etwas ähnliches erlebte ich nur wenige Tage später. Beide Frauen haben sich zum Seminar "Hope Alive" angemeldet.

Was ist zu tun? Weihbischof Andreas Laun (siehe nebenstehender Beitrag) schreibt vom Dienst der Kirche, den sie für die tief verletzten Betroffenen tut. Wichtig erscheint mir: Das Thema PAS in der Öffentlichkeit ansprechen, jede Gelegenheit wahrnehmen, den Dienst der Wahrheit tun, freilich eingebettet in Liebe und Mitsorge um Heilung.

Und es geht um eine Ausbildung zur Mitarbeit: Die komplexen Verletzungen, die Therapie, die Heilung brauchen kompetente Mitarbeiter. Angesichts der dramatisch hohen Zahl von Abtreibungen und ihrer verheerenden Folgen für die Betroffenen und die ganze Gesellschaft wird dieser Dienst in Zukunft von zunehmender Bedeutung sein.

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