VISION 20006/2000
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Die Herren der Welt gehen, unser Herr kommt!

Artikel drucken Über wahre christliche Hoffnung in einer Welt, die Angst macht (Kardinal Joachim Meisner)

In der gegenwärtigen kulturellen Situation unserer Gesellschaften erscheint Jesus Christus weithin nur noch als ein großer Mensch, wie alle übrigen Religionsstifter auch.

Man glaubt jedoch nicht mehr an Ihn als den Sohn des lebendigen Gottes, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria.

Er wird als einer von vielen anderen großen Menschen der Weltgeschichte gesehen. Darum nimmt man auch die Kirche nur noch als eine kulturell religiöse Bewegung in der Horizontalität dieser Welt zur Kenntnis, aber ohne jede Exklusivität, ohne jedes Recht auf irgendeinen Ewigkeitsanspruch.

Manche Christen definieren sich darum heute noch als Kulturchristen. Sie berufen sich irgendwie noch auf ein nebuloses christliches Menschenbild, aber sie vertreten nicht mehr offensiv das Glaubensbekenntnis in die Gesellschaft hinein. In der Kirche aber hat sich Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, der Welt selbst hinterlassen, um sie zu verwandeln auf das kommende Reich Gottes hin.

Die Welt endet nicht in einer kosmischen Katastrophe, sondern mit der Wiederkunft Christi zum letzten Gericht und mit der Auferstehung der Toten. Das ist keine fromme Mär, sondern eine handfeste Tatsache, die heute schon unser Leben positiv verändert.

Der Herr sagt den Seinen angesichts der vielen Bedrängnisse von innen und außen nachdrücklich: “Habt Mut, ich habe die Welt besiegt" (Joh 16,33). Wenn uns die Herren dieser Welt Furcht und Schrecken einjagen wollen, dann vergessen wir nicht: Alle diese Herren gehen, unser Herr aber kommt. Unsere Botschaft ist nicht nur die Bewahrung dessen, was ist, sondern ganz besonders die Freude auf das, was kommt, ganz besonders auf den, der kommt.

Das älteste christliche Stoßgebet, das uns in der Heiligen Schrift überliefert wird, und zwar in hebräisch, heißt: “Maranatha", übersetzt: “Komm, Herr Jesus!" (Offb 22,20). Es ist bezeichnend, daß die gegenwärtige christliche Generation weithin dieses Stoßgebet vergessen hat und damit auch die Erwartung des kommenden Herrn. Deshalb hat sie wohl so resigniert.

Ohne Erwartung gibt es keine Hoffnung, und ohne Hoffnung gibt es keine Tapferkeit, gegen all die unmenschlichen Trends anzugehen und vorzugehen, die unsere Welt bewegen. “Wenn der Herr einst wiederkommt, dann möchte ich dabei sein", so hat unsere Jugend noch vor einigen Jahren gesungen. Das ist ein Wunsch, der in uns allen wieder wach und lebendig sein muß, und zwar um der Gegenwart willen.

Warum um der Gegenwart willen? Damit der Mensch Mensch bleiben kann. Das Evangelium versteht unter Menschsein die Kreatürlichkeit, das heißt, daß der Mensch von Gott erschaffen, erhalten und geliebt wird. Das setzt etwa der Genmanipulation feste Grenzen.

Wenn der Mensch ein Geschöpf Gottes ist, dann ist er nicht für den Menschen verfügbar, dann ist Medizin Heilkunst und nicht Fabrikationsgebaren. Und dann sind Ehe und Familie Quellen des Lebens und nicht Lebensmodell, in denen die Weitergabe des Lebens keine Chance hat. Der Mensch ist immer in Gefahr, sich zum Schöpfer der Dinge aufzuschwingen zu seinem eigenen Schaden und zu dem der Umwelt.

Dem steht massiv der christliche Glaube entgegen, und hier darf er nicht um der Menschen und der Welt willen wanken oder sich anpassen. Die Gefahr in unserer Gesellschaft ist, daß man alles für möglich hält, auch das Unmögliche.

Die Kirche aber muß darauf verweisen, daß der Mensch mehr ist als ein Konsument und daß es dabei um Werte geht und nicht um Preise. Wenn diese Werte - etwa die Ehrfurcht vor der Heiligkeit Gottes oder die Unantastbarkeit der Würde jedes Menschen oder die Exklusivität von Ehe und Familie - verschwinden, dann wächst eine Generation nach, die von allem den Preis kennen wird, aber von nichts mehr den Wert.

... Bei der letzten Europäischen Bischofssynode im Oktober 1999 sagte ein Bischof gleich am Anfang der Synode: “Wir sollten eigentlich alle unsere Überlegungen unter die eine Frage stellen: Wie helfen wir den Europäern von heute, in den Himmel zu kommen?" Damit ist die wesentliche Aufgabe der Kirche mit dem Evangelium in der Hand zum Ausdruck gebracht.

Die Kirche ist keine Weltverbesserungsanstalt, sondern ihr ist die Verwandlung der Welt auf das Reich Gottes hin aufgetragen. Daß dabei die Menschheit menschlicher und die Welt erträglicher wird, steht außer Diskussion. Der Kölner Schriftsteller Heinrich Böll schreibt: “Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache."

Darum sind keine Sozialverbände und Bildungseinrichtungen in der Kirche überflüssig, aber sie bekommen ihre erste Motivation nicht vom Sozialen und Bildungspolitischen, sondern vom Religiösen her. Der Herr fügt hinzu: “Euch aber muß es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben" (Mt 6,33).

Suchen wir zuerst das Hinzugefügte, dann werden wir es ganz bestimmt nicht finden und noch zusätzlich das Reich Gottes verlieren. Setzen wir als Kirche die Prioritäten richtig, damit wir den Menschen das Wesentliche nicht schuldig bleiben.

Das Credo beginnt mit dem Glauben an Gott als dem Schöpfer und damit bekennt es sich zum Menschen als dem Geschöpf Gottes, und es endet mit dem Glauben des Menschen an die Auferstehung des Fleisches und an das Ewige Leben. Das Credo weitet den kurzen Zeitraum, der auf den Grabsteinen der Friedhöfe steht: “geboren am" - “gestorben am" in die Dimension Gottes hinein: ““von Gott geschaffen" - “für die ewige Gemeinschaft mit Gott berufen". Das gibt dem Menschen Perspektive, das läßt ihn durchatmen und menschlich leben.

Am Schluß sei es noch einmal gesagt: Fürchten wir nicht die Herren dieser Welt, die Herren gehen, der Herr aber kommt. Maranatha! Komm, Herr! Amen.

Auszug aus der Predigt bei der Fuldaer Versammlung der deutschen Bischöfe am 28.9.2000

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