VISION 20001/2001
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Blickkontakt mit der Armut suchen

Artikel drucken Der Glaube befreit nicht automatisch vom Magnetismus des Geldes (Urs Keusch)

Macht euch Freunde mit Hilfe des ungerechten Mammons (Lk 16,9)

Viele Christen wissen mit diesem Wort des Herrn nicht viel anzufangen. Und doch ist es einfach zu verstehen und auch leicht in unsere Verhältnisse zu übersetzen, wenn wir wissen, in welchem Lebensumfeld Jesus dieses Wort gesprochen hat.

Sehen Sie: Zur Zeit Jesu - und wirklich nur damals? - war es so, daß sich vor allem die “kleinen Leute" die Gunst, die Freundschaft der Großen durch Geschenke (oder - wer solches hatte - durch Geld) zu erkaufen suchten. Wünschte jemand, sich einem bestimmten Beamten zu nähern, dann schlachtete er gewöhnlich ein Schaf, kaufte reichlich Wein ein und lud zu Ehren des geladenen Gastes (den er sich eben zum Freund machen wollte) möglichst viele Besucher ein.

Nach dem Festessen bot er dem Ehrengast eine möglichst hohe Summe Geldes an. Wenn er keines hatte, schenkte er ihm ein Pferd, ein Gewand oder sonst einen Luxusartikel (= Mammon). Doch am liebsten war den Beamten Bargeld. So hatte sich der kleine Mann einen Großen zum Freund gemacht.

Solche Beziehungen zu Leuten aus höheren Kreisen (Zoll- und Regierungsbeamten) waren damals (nur damals?) sehr wichtig, wo Bestechung und Korruption an der Tagesordnung waren und völlig ungerechte Steuersysteme die Leute knechteten. Auf diesem Hintergrund ist auch zu verstehen, warum Jesus das Geld “ungerechten Mammon" nennt - und daran hat sich bis heute nicht viel geändert.

Diese tägliche Beobachtung und Erfahrung benützt der gleichniserzählende Jesus und versucht, den Menschen damals - und auch heute! - etwas Wichtiges zu sagen. Dieses Wort ist ja im Zusammenhang mit dem Gleichnis vom Klugen Verwalter (Lk 16) gesprochen, und wahrscheinlich hatte Jesus die Pharisäer im Auge, denn es heißt am Schluß Seiner Rede (Lk 16,14): “Das alles hörten auch die Pharisäer, die sehr am Geld hingen, und sie lachten über ihn."

Hier müssen wir innehalten! Hier sind auch wir mitbetroffen. Die Pharisäer - wer waren sie? Es waren die Frommen damals, die Radikalen im Glauben, die Elite, die es mit dem Gesetz wirklich ernst nahm. Sie fehlten bei keinem Gebet in der Synagoge, bei keinem Gottesdienst, sie haben mindestens zweimal in der Woche gefastet: eindrückliche Leute, wirklich, zum Teil großartige Menschen. Und gerade von ihnen heißt es: Sie hingen sehr am Geld!

Wir sehen: Glaube befreit nicht automatisch vom Magnetismus des Geldes (des Mammons). Jeder von uns weiß das. Der Pharisäer steckt in uns allen. Der Mammon übt seit eh und je eine fast unerklärliche Faszination auf uns Menschen aus.

Es ist eine Sucht in uns, die Sucht nach dem Haben - die Habsucht, wie wir sie nennen; die Gier, die unersättlich ist, uns immer wieder überlistet und letztlich immer wieder den innersten Punkt in uns aus dem Zentrum verschiebt und uns unglücklich macht. Nicht umsonst warnt der Herr immer wieder vor dem Reichtum, vor der Macht des Geldes.

“Schafft euch Freunde mit Hilfe des ungerechten Mammons." Das ist eine andere Variante zu: “Macht euch Geldbeutel, die nicht zerreißen, verschafft euch einen Schatz, der nicht abnimmt, droben im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frißt. Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz." (Lk 12,33-34)

Wir sind auf solche Ermahnungen immer wieder angewiesen. Es geschieht so leicht, daß wir bei aller Geschäftigkeit hier auf Erden den Himmel vergessen. Zwar sorgen wir vor für das Alter: Wir lassen uns von Fachleuten über Anlagestrategien beraten - umso leichter vergessen wir eben jene Anlagemöglichkeit im Himmel, die uns dann zugute kommt, wenn es mit uns - wie Jesus sagt - zu Ende geht und Erben, Angehörige und Freunde uns langsam vergessen.

Haben Sie schon einmal bei einer Trauung (vielleicht bei Ihrer eigenen?) aufmerksam hingehört, wenn der Priester im feierlichen Schlußsegen über die Brautleute betete? “Seid in der Welt Zeugen der göttlichen Liebe und hilfsbereit zu den Armen und Bedrückten, damit sie euch einst in den ewigen Wohnungen empfangen."

Ist damit jungen Menschen nicht ein gerafftes christliches Programm mit auf den Weg gegeben? Muß eine solche Ehe nicht gelingen?

Natürlich können wir uns den Himmel nicht erkaufen, nicht mit Geld sicherstellen - das will Jesus auch nicht sagen. Aber Er will uns helfen, uns vom Magnetismus des Geldes zu lösen, unseren zur Erde gerichteten Blick nach oben zu richten. Der Herr weiß ja, wie schwach wir sind, wie wenig wir im allgemeinen von Seiner Liebe begreifen und wie wenig Vertrauen wir meist in die gütige Vorsehung Seines Vaters aufbringen. Und daß auch wir Christen uns meist von den Pharisäern, “die sehr am Geld hingen", gar nicht merklich unterscheiden.

Wenn wir schon so klug, so raffiniert unser Geld einzusetzen und zu investieren verstehen, wie sollte der Herr da nicht anknüpfen und uns in Seiner Liebe die Chance geben, auch mittels des ungerechten Mammons uns Freunde im Himmel zu schaffen!

Ich denke: Es ist sehr gut, daß dieses Thema in dieser Nummer von VISION 2000 zur Sprache kommt. Christen müssen immer wieder daran erinnert werden, daß sie im Himmel eine Bank haben, wo ihr Geld zu besten Zinsen angelegt ist. Christen sollten sich in der Loslösung vom Geld ein Leben lang üben. Sie sollten immer wieder geben, bis es weh tut (Mutter Teresa). Denn solange es noch weh tut, hat das Geld schon erste Wurzeln in uns geschlagen.

Nein, wir können uns den Himmel nicht erkaufen. Aber vielleicht hat der Herr schon viele in den Himmel aufgenommen, die sonst draußen geblieben wären, weil sie großzügig von dem, was sie besessen haben, hergegeben haben: Menschen vielleicht, die sich ein Leben lang kaum um den Glauben gekümmert haben.

“Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." Das ist kein leeres Wort. Das mag in der barmherzigen Liebe Gottes schon für viele eine offene Hintertür zum Himmel gewesen sein.

Noch ein Letztes: Es geht dem Herrn hier um nichts anderes als um eine urisraelitische Verpflichtung, nämlich um das Almosengeben. Das Almosengeben genoß in der prophetischen Religion der Juden eine solche Hochschätzung, daß wahre Sittlichkeit, Gerechtigkeit und Frömmigkeit ohne dieses gar nicht denkbar waren. Wer Almosen gab, erlangte Verzeihung seiner Sünden. Almosengeben war dem Opferdienst gleichgesetzt.

Schlagen Sie das Alte Testament auf: Sie finden kaum eine Seite, auf der nicht davon die Rede ist. Gott ist der Anwalt der Armen, und wer zu Gott gehören will, muß sich auf die Seite der Armen stellen. Diese Option für die Armen lebt im Neuen Testament fort bis auf den heutigen Tag. Gerade in der Lebenshingabe des Herrn erfährt die Liebe zu den Armen und Verlorenen ihre letzte Vertiefung. Die unglaublich schnelle Ausbreitung der Botschaft Christi im abendländischen Kulturraum ist ohne diese Liebe zu den Armen gar nicht denkbar.

Armut gibt es überall, auch bei uns. Wir dürfen unsere Augen nicht davor verschließen. Ja, wir Christen sollen den Blickkontakt mit der Armut, mit Menschen in finanziellen Nöten und Engpässen suchen und darauf eine Antwort geben: mit Geld und mit freundlichen Worten.

Ich möchte diese Gedanken abschließen mit einem Wort des Apostels Paulus. Er schreibt an seinen Freund, Timotheus, dem Beauftragten für die Kirche in Ephesus:

“Ermahne die, die in dieser Welt reich sind, nicht überheblich zu werden und ihre Hoffnung nicht auf den unsicheren Reichtum zu setzen, sondern auf Gott, der uns alles reichlich gibt, was wir brauchen. Sie sollen wohltätig sein, reich werden an guten Werken, freigebig sein und was sie haben, mit anderen teilen. So sammeln sie sich einen Schatz als sichere Grundlage für die Zukunft, um das wahre Leben zu erlangen." (1Tim 6,17-19)

Der Autor ist Priester in Reiden in der Schweiz

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