VISION 20001/2001
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Ja, wenn dieses Leben alles ist...

Artikel drucken Der Wunsch nach Reichtum hängt mit der tiefen Sehnsucht nach Unsterblichkeit zusammen (Karin Struck)

Finanzielle Sorgen können einen Menschen zur Verzweiflung treiben. Immer wieder liest und hört man von unfaßbaren Tragödien...

Da löschen Männer in als abgrundtief erfahrener wirtschaftlicher Ausweglosigkeit ihre Familien aus und richten sich selbst. Wegen 40.000 Mark Schulden werfen sie ihr eigenes Leben und das ihrer Anvertrauten weg!

Es ist wohl wahr: Hätte der Mensch immer und überall Gottvertrauen, würde er nie in eine solch panische Hoffnungslosigkeit stürzen können, auch nicht, wenn in der Existenznot scheinbar kein Ausweg mehr ist. Aber ist nicht das der springende Punkt: Wenn das Gottvertrauen fehlt, scheint immer und überall das Geld das Wichtigste - im Positiven wie im Negativen.

Aber was ist denn das Geld überhaupt? Warum bedeutet es dem heutigen Menschen so viel? Warum dreht sich alles um das liebe Geld? Warum werde ich daran gemessen, wieviel ich verdiene, ob meine Auflage hoch ist, ich die Quote erreiche, mein Gehalt steigt; daran, welches Auto ich mir leisten kann, in welchem Haus ich wohne, welche Markenkleidung ich trage? Vielen Menschen ist nicht einmal bewußt, daß Geld in ihrem Leben die wichtigste Rolle spielt - als sei das Geld ein Gottesersatz; als sei das Geld der höchste Wert.

Während ich darüber nachdenke, welche Haltung ich persönlich in meinem Leben zum Thema Geld bisher eingenommen habe, schießt mir plötzlich ein Satz durch den Kopf, der mir ein Schlüssel zu sein scheint: Man kann nichts mitnehmen.

Der Mensch bedenkt nicht, daß er sterben muß. Auch ich habe das oft in meinem Leben nicht bedacht. Andernfalls hätte ich nicht so viele Stunden in sinnloser Existenzangst verschwendet. Der Mensch, auch der sich zermürbende, sich sorgende Mensch, bedenkt nicht, wenn er in diese Falle tappt, Geld für das Zentrum seines Lebens zu halten, daß er auf Sand baut, ja, daß er vielleicht schleichend seine Seele zu verkaufen beginnt.

Vielleicht sind das zwei Seiten einer Medaille: Den Tod verdrängen und die relative Bedeutungslosigkeit des Geldes nicht durchschauen.

Vielleicht kommt man auch dem Rätsel der heutigen Sucht nach Geld, diesem ständigen überzogenen Kreisen um Geld, näher, wenn man weiß, daß sie - paradox angesichts der Verdrängung des Todes - für den Wunsch, unsterblich zu sein, steht.

Vielleicht kommt man dem Ziel näher, nicht mehr zwei Herren, Gott und dem Mammon, dienen zu wollen, sondern ausschließlich Gott, dem einen Herrn, wenn man diese vielleicht tiefste Ursache der heutigen (Sehn-)Sucht nach Geld und Reichtum aufdeckt: daß der Wunsch nach höchstem Reichtum, das Rennen nach Geld, das Beurteilen und Beurteiltwerden nach dem Bankkonto, mit der tiefen Sehnsucht des Menschen nach Ewigkeit und Unsterblichkeit zu tun hat.

Vielleicht nicht nur, weil die Menschen das Gottvertrauen verloren haben, sondern auch weil sie nicht mehr an ein ewiges Leben glauben (was vielleicht auf dasselbe hinauskommt), sind Geld, Materielles, Reichtum, Vermögen und Aktie so zentral wichtig geworden - bis zum Tanz ums Goldene Kalb Mammon.

Man vergaß nicht nur, daß man nichts wird mitnehmen können; man vergaß auch, daß dieses Leben nicht das einzige ist! Wenn es denn nämlich das einzige wäre “und danach nichts mehr käme", so müßte man vielleicht wirklich alles zusammenraffen und an sich reißen, um dieses eine Leben bis zur Neige auszukosten. Wenn es aber nicht das einzige ist, so kann man gelassener werden: Man muß nicht alles in dieses eine Leben hineinpressen.

Kürzlich sagte das jüngste meiner vier Kinder, mein zwölfjähriger Sohn, zu mir: “Du könntest doch auch so reich sein wie Charlotte Rowling, wenn du sowas schriebest wie Harry Potter." Ich sagte: “Ich will aber nicht so etwas schreiben wie Harry Potter. Ich will auch keine sechs oder 20 Millionen besitzen, und ich will keine Bodyguards haben müssen."

Mein Sohn schaute mich skeptisch an, vielleicht weil er meinte, ich könnte mir womöglich etwas vormachen über meine wahren Wünsche. Aber er schien auch beeindruckt, daß jemand freiwillig auf die Sehnsucht nach Reichtum verzichtete.

Es ist wahr: Jeder träumt wohl einmal den Traum vom großen Gewinn, so als würden sich mit ihm alle Probleme in Wohlgefallen auflösen. Das ist die Phantasie, und das wird in die Illusion über Reichtum hineingelegt. Deshalb hat der Reichtum über viele Menschen solch eine Macht. Dabei habe ich manches Mal schon die ganz Reichen bedauert; vielleicht können sie sich nicht mehr richtig freuen, dachte ich, weil sie alles haben; und es muß furchtbar sein, sich alles leisten zu können!

Jeder, der einmal mit einer größeren Geldsumme unterwegs war, weiß auch, daß mit Geld immer auch die andere Sorge verbunden ist; nicht die Sorge um das Brot von morgen, aber die Sorge, das Geld wieder verlieren zu können.

Hilft mein (katholisches) Christsein mir, der Falle zu entgehen, das Geld, wie es heute so leicht die Gefahr ist, gleichsam anzubeten? Wie stehe ich als Christin zum Thema Geld?

Für den Christen gilt, sich zu hüten vor der Scheinheiligkeit, Geld für völlig unwichtig zu halten und die Existenzängste von Menschen nicht ernst zu nehmen. Sich in einer brüchigen Sicherheit wiegend, vergessen viele, daß der Mensch in der Not, auch der Bettler, selbst in seiner Verkommenheit, seine eigene Würde hat. Der Bildhauer Ernst Barlach stellte bewegend die Würde der Bettler dar. Eine trostlos blickende Bettlerin an der Fußgängerzone kann ich nicht verurteilen, ich schenke ihr etwas Geld und ein Lächeln, auch wenn ich weiß, daß sie das Geld vertrinken wird.

Vielleicht wird sie für einen Moment spüren, daß ich ihre seelische Not ahne, und das wird ihr guttun und vielleicht eines Tages das winzige Mosaiksteinchen zu einer Lebenswende sein. Der Bettler hat eine Geschichte: die seiner Not und die Geschichte seines mangelnden Gottvertrauens. Auch die Frau, die aus Existenzangst abtreibt, hat eine Geschichte des mangelnden Gottvertrauens.

Wie befreiend ist es doch, wenn der Mitchrist einem Menschen in existentieller, auch materieller Not, Fischnetze flicken hilft; wenn er ihm beisteht mit Rat und Tat - nicht nur mit eventuell leeren frommen (eher frömmlerischen) Worten. Es mag sein, daß er ihm Mut machen muß, zu einer Schuldnerberatung zu gehen. Es mag sein, daß er ihm (nicht nur zu Weihnachten) Geld schenkt oder ihn eine Weile unterstützt.

Finanzielle Not, auch die Not, nicht mit Geld umgehen zu können, ist sehr oft mit seelischer Not verbunden. Andernfalls hätte es in dem von den Zeitungen kürzlich berichteten Fall wegen 40.000 Mark Schulden nicht zu Mord und Selbstmord kommen können!

Jeder muß sich selbst immer wieder neu überprüfen, was ihn wirklich beherrscht. Ob es diese sinnlosen Ängste sind, auch die ständigen Ängste um das liebe Geld, die von Gott weg führen. Er muß sich fragen, welche höchst irdischen Genüssen mehr als nur Genüsse zu werden drohen. Diese Selbstprüfung ist ja nicht zuletzt der Sinn der jährlichen Fastenzeit! Es ist schön, die irdischen Genüsse, auch das Geld, genießen zu dürfen. Aber diese irdischen Genüsse, und zu ihnen braucht man das Geld, sind nicht Werte an sich und schon gar nicht die höchsten Werte.

Man kann sich an Geld freuen wie an der Schönheit des Kleides. Wie habe ich mich als Mädchen immer gefreut, wenn meine nach der Flucht aus dem Osten verarmte Großmutter mir einen Hundertmarkschein schenkte - auch diese Geldgabe war Ausdruck ihrer Liebe zu mir. Sie gab sie mir als die Persönlichkeit, die sie war, mit zum Beispiel ihrer noch im Alter kindlichen Freude an der Bibel und an einzelnen Bibelversen. Ähnlich, wie ich mich über die Geldgabe meiner Großmutter, freute sich kürzlich mein Jüngster über einen Fünfzigmarkschein in seiner Weihnachtsbescherung für die Ministranten.

Ich weiß, was es bedeutet, kein Geld zu haben; nicht zu wissen, womit die Rechnungen bezahlt werden sollen. Ich weiß auch, wie es ist, gut zu verdienen. Ich habe als Schriftstellerin beide Seiten, beide Welten kennengelernt. Ich weiß, wie es ist, über der Existenznot zu brüten; keinen Ausweg mehr zu sehen; ganz abgeschnitten zu sein vom Gottvertrauen.

Man steht wie vor einer Wand, und man hat mit dem Gottvertrauen den für den Umgang mit Geld christlichen Realitätssinn verloren! Dies nämlich sind keine Gegensätze: Gottvertrauen und christlicher Realitätssinn. Im Gegenteil, die beiden Grundhaltungen bilden ein gutes Paar für die christliche Lebenskunst. Getröstet haben mich in der Not Menschen, wie die Großmutter in meiner Kindheit, mit kleinen Gesten, mit einer Gabe, mit ihrer Haltung.

... Die Vögel am Himmel... sie säen nicht, sie ernten nicht... Jene aufmerksamen Christen haben mich in der Not die Sätze in der Heiligen Schrift verstehen gelehrt; sie haben mein Gottvertrauen genährt und mich in scheinbar auswegloser Lage christlichen Realitätssinn wiederfinden lassen.

Es ist gut, in oder nach Zeiten der Not auf dem Weg zu sein zum Gottvertrauen, dem Grundstoff der christlichen Lebenskunst. Gott vertrauen macht stark und erfinderisch, zuversichtlich und hoffnungsvoll, der schlimmsten Not begegnen zu können - bei sich und bei anderen. Gottvertrauen ist der David gegen den falschen Herrn, den Mammon. Man muß es immer wieder neu gewinnen.

Die Autorin lebt als freie Schrifstellerin und Hauswirtschafterin mit dem jüngsten ihrer vier Kinder in München. Sie hat zuletzt das Buch “Ich sehe mein Kind im Traum" (revidierte Neuauflage im Verlag Fiat Domine) veröffentlicht.

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