VISION 20001/2001
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Warum dürfen denn die Priester immer noch nicht heiraten?

Artikel drucken Klare Worte zu einer umstrittenen Frage (Alain Bandelier)

Warum dürfen die Priester nicht heiraten? Eine immer wieder - meist vorwurfsvoll - gestellte Frage. Schließlich dürfen orthodoxe Priester ja eine Ehe eingehen. Und schließlich waren ja auch die Apostel verheiratet...

Eines Tages haben mich meine Schüler gefragt: “Stimmt es, daß Sie nicht heiraten dürfen?" Meine Antwort: “Wenn ich morgen heiraten wollte, könnte mich niemand, nicht einmal der Papst daran hindern!" Es gibt da wirklich eine merkwürdige Art, die Frage der “Verheiratung von Priestern" zu stellen, um eine fortdauernde Diskussion zu nähren. Als ob wir, die katholischen Priester des lateinischen Ritus, Geisel des Vatikan, Gefangene des Kirchenrechts, der freien Entscheidung über uns selbst beraubt wären.

Aus dieser Sicht hätten die Revolutionäre von 1989 recht gehabt, die Pfarrer zu laisieren und die Nonnen (gewaltsam!) aus den Klöstern zu holen. Man hätte sie damit “befreit"!

Aber das Gegenteil triftt zu: Der Zölibat der Priester (wie der Ordensleute) ist eine Erfahrung der Freiheit. Diese Freiheit - das darf man nicht vergessen - ist zunächst die Freiheit der Kirche und die Freiheit des Heiligen Geistes in der Kirche.

Schon die Nachfolger der Apostel wurden unter jenen gewählt die “allein" (auf Griechisch “monoi", wovon Mönch abgeleitet ist) lebten. Dieser Zugang ist sehr wohl allgemein in der noch nicht gespaltenen Kirche des ersten Jahrtausends. Dies wurde seither beibehalten. Die Bischöfe - sowohl im Osten wie im Westen - werden immer, unabhängig vom Ritus und von ihrer Zugehörigkeit zu den Katholiken oder Orthodoxen, aus dem Kreis der zölibatären Priester gewählt.

Sie sind lebende Zeichen Christi, des Hirten und Bräutigams der Kirche: “Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus seine Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat." (Eph 5,25)

Als Freunde des Bräutigams haben sie nicht nur Anteil an Seiner Mission und Seiner Funktion, sondern zunächst auch an Seiner Berufung und Weihe. Zu Simon sagt Jesus nicht zuerst: “Sei Hirte", sondern: “Liebst du mich?". Und sein letztes Wort ist nicht: “Mach dies oder das", sondern “Folge mir nach". (Joh 21,15-19)

Aber die Priester? werden Sie nun antworten. Es stimmt: Die Kirche kann verheiratete Männer zu Priestern weihen. Das ist üblich in den Ostkirchen. Es ist auch in der lateinischen Kirche möglich, auch wenn es nur sehr selten vorkommt. Vor kurzem gab es solche Fälle mit der katholischen Weihe von anglikanischen Priestern, ja sogar von Bischöfen: Sie konnten sich nach dem schweren Traditionsbruch, den die Ordination von Frauen zum Bischofsamt bedeutete, nicht mehr mit dem Anglikanismus solidarisch fühlen. Sie baten um Aufnahme in die Katholische Kirche nicht nur als deren Gläubige, sondern als Priester.

Im Gegensatz dazu passiert es nie, daß ein Priester, der als Zölibatär geweiht worden ist und sich später dazu entschlossen hat zu heiraten, sein Amt behalten könnte. Gleiches gilt übrigens für einen unverheirateten Diakon.

Einige sehen darin eine Härte, ja eine Ungerechtigkeit. Sie haben überhaupt nichts von der Weihe verstanden. Geweiht zu sein, das heißt nicht von einem Bischof einen Job angenommen zu haben, um eine Pfarre zu leiten oder Gruppen zu animieren. Es bedeutet, sich vom Heiligen Geist ergreifen zu lassen, sich ganz Christus hinzugeben, so “full time" und mit ganzem Herzen der Kirche und ihrer Mission hinzugeben. Wer da aussteigt, der wechselt nicht nur den Familienstand; er bricht einen Bund.

Sicher, es geschieht nie leichtfertig, daß Brüder im Priesteramt sich für einen so schweren Bruch entscheiden. Man darf über niemandes Weg urteilen. Oft kann man ihn sogar verstehen. Aber dies verlangt, daß von beiden seiten Konsequenzen gezogen werden.

Erlauben Sie mir, noch ein etwas Offensichtliches, das oft unter den Tisch fällt, zu erwähnen: Die Kirche zwingt niemanden, Priester zu werden und die Ehelosigkeit zu wählen. Im Gegenteil, vor dem Eintritt ins Seminar und während der Ausbildung (mindestens sechs Jahre) nehmen sich die Verantwortlichen für die Berufungen, die Begleiter, die Lehrer, ja die Bischöfe selbst die Zeit, um gemeinsam mit den Kandidaten für den Priesterdienst zu erforschen: Haben sie eine echte Berufung, können sie die mit ihr einhergehende Herausforderung abschätzen, sind sie reif und ausgeglichen genug, um sich all dem zu stellen?

Alain Bandelier

Auszug aus “Famille Chrétienne" v. 11.1.96

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