VISION 20002/2001
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Franz Jägerstätter

Artikel drucken Eine Botschaft an uns (Wolfgang Stadler)

Bis heute bestehen über den 1943 von den Nazis hingerichteten Franz Jägerstätter vielfach noch recht unklare Meinungen. Meist gilt er als “Wehrdienstverweigerer", obwohl er sicher nicht gezögert hätte, seine Heimat, wäre sie angegriffen worden, zu verteidigen. Aber was war er dann?

Er wurde am 20. Mai 1907 in St. Radegund in Oberösterreich, als uneheliches Kind geboren. Bitterste Armut war der Grund, warum seine Eltern nicht heiraten konnten. Sein Vater fiel 1915. Als seine Mutter den Bauern Heinrich Jägerstätter heiratete, erhielt Franz dessen Namen. Er war kein Musterschüler. Erstaunlich sind trotzdem seine klare Handschrift, die geringe Zahl der Fehler, und besonders die lebendigen Gedankengänge in seinen Aufzeichnungen. Mit tiefer Dankbarkeit erinnerte er sich an seine Großmutter, die ihm einen praktischen, aber tiefen Glauben vermittelt hat. Später schrieb er, ein Teil seiner Jugendzeit sei verfehlt gewesen, weil er Jähzorn und Fluchen sich nur mit Mühe abgewöhnen konnte. Seine Kameraden aber sahen ihn als flotten und lustigen Burschen, den alle gern hatten und der bei keiner Dummheit fehlte.

1927 verdingte er sich als Knecht auf einen Bauernhof, dadurch war daheim ein Esser weniger. Bald aber ging er in die Steiermark auf den Erzberg, als Arbeiter im Bergbau. 1929 ging er zurück auf den Hof seines Stiefvaters. Zwar war er froh, wieder daheim zu sein, aber er sah die Situation in der Heimat nun auch viel kritischer. Für ihn waren die Lieblosigkeiten mancher frommer Kirchenbesucher erschreckend: “Niemand soll glauben, er sei fromm, wenn er lieblos ist im Urteil über andere ... Der Pharisäergeist, den Jesus tadelt, ist unter Christen doppelt häßlich." In dieser Zeit hatte er den starken Wunsch, in ein Kloster einzutreten. Der Ortsgeistliche, Pfarrer Karobath, aber war völlig anderer Meinung und erklärte ihm rundweg, er habe für das Anwesen zu sorgen, sich eine ordentliche Frau zu suchen und ein christliches Leben zu führen.

Mit 26 hatte er eine Bekanntschaft, die nie eine Ehe wurde, aber nicht ohne Folgen blieb. 1934 wurde sein uneheliches Kind auf den Namen Hildegard getauft. Dieses Geschehen dürfte ihn gewandelt haben: Ab da war er ein ernster und tiefsinniger Mensch, der sich um Reinheit und Anständigkeit in höchstem Maße bemühte.

Jägerstätter spürte das Wetterleuchten einer neuen Zeit, das Wirken eines Ungeistes und erkannte sehr früh, was auf Österreich zukam. Durch die Propaganda der Nazis für sexuelle Freizügigkeit, Willkür und Abtreibung und die zunehmende Kirchenfeindlichkeit wurde eine Bewußtseinsänderung in den Menschen eingeleitet, die das Massenmorden im Dritten Reich vorbereitete. Erstaunlich, wie klar seine Worte damals waren, wie sehr sie auch für unsere heutige Situation gelten: “Ein großer Strom hat uns erfaßt ... um glücklich wieder ans Ufer zu kommen, bleibt uns nichts anderes übrig, als gegen den Strom zu schwimmen." Zunehmend wurde er ein Mann des Gebetes: “Wir sollten nie sagen: wir müssen beten, sondern: wir dürfen und können noch beten, denn zwingen tut uns Gott zu gar nichts."

1936 heiratete der 29jährige Franziska Schwanniger; die mühsam zusammengesparte Hochzeitsreise führte sie nach Rom - wohl die schönste Woche ihres kurzen gemeinsamen Lebens. Als1938 die deutschen Truppen in Österreich einmarschierten, war für ihn klar: Ablehnung. Daher erschütterte ihn die Haltung der Kirche im Hirtenbrief vom 10. April 1938, in dem die Bischöfe es für ihre Pflicht hielten, sich zum Deutschen Reich zu bekennen und dies auch von den Gläubigen erwarteten. Später bezeichnete er diesen 10. April als den Gründonnerstag des Verrates.

Als die Volksabstimmung über den Anschluß Österreichs durchgeführt wurde - angeblich mit 100 Prozent Zustimmung für Führer und Anschluß -, wußten alle Leute in St. Radegund um das Nein des Franz Jägerstätter. Er hatte das einsame Schwimmen gegen den Strom aufgenommen.

Er sah zwar, daß Bischöfe und Priester vielfach irregeführt oder mit Drohungen eingeschüchtert worden waren, konnte sich aber nicht auf deren Kompromißwege einlassen. Zur Pflicht zum Gehorsam gegenüber dem Staat schrieb er: “Wir sollten immer und überall Partei und Staat noch unterscheiden können." “Wenn wir ohnedies dem Führer blindlings zu folgen haben, wozu brauchen wir dann noch viel Weisheit und Verstand?"

Als der Krieg begann, ließen seine kompromißlose Ablehnung des Nazi-Regimes und seine Liebe zur Wahrheit in ihm die Überzeugung reifen, ein Katholik dürfe nicht an der Errichtung und Erhaltung dieses vollkommen gottlosen Systems mitarbeiten. Im Gebet wurde ihm immer klarer: “Eher den Militärdienst verweigern, als die Sache Gottes verraten müssen."

Zutiefst verabscheute er die deutsche Propaganda, die den Rußlandfeldzug gleichsam unter eine Kreuzzugsidee stellte: “Ist der Heiland mit seinen Aposteln auch so gegen die Heiden vorgegangen wie wir deutschen Christen?"

Vom Oktober 1940 bis März 1941 mußte er in Enns die Militärausbildung absolvieren und kam mit dem Entschluß zurück, keinesfalls wieder einzurücken. Aber er machte sich auch Gedanken darüber, ob er durch seine Verweigerungshaltung nicht andere Menschen ins Unrecht setzen würde und kam zum Schluß: “Wir dürfen die NS-Idee oder Gesinnung verurteilen, aber nicht den Menschen selbst, der solche Gesinnung hat. Das steht Gott allein zu; vor Gott sind wir alle Brüder und Schwestern."

Am 22. Februar 1943 bekam er den Stellungsbefehl. Kurze Zeit überlegte er, ob er sich in den Wäldern verstecken sollte, da der Krieg nicht mehr lange dauern konnte, verwarf aber den Gedanken, hätte dies doch schwerste Repressalien für seine Familie zur Folge gehabt. Am 1. März betrat er die Kaserne in Enns: “In der Kaserne angekommen, verweigerte ich jeden Dienst." Er wurde in das Militärgefängnis in Linz eingeliefert. Alle wohlwollenden Versuche, ihn umzustimmen, schlugen fehl. Jägerstätter rechnete zwar mit der Todesstrafe, hoffte aber - nicht unberechtigt - auf Milde bei den Richtern in Linz. Im Mai 1943 wurde er jedoch nach Berlin gebracht, wo man mit “derlei Personen" wesentlich “effizienter" umzugehen gewohnt war.

Doch wurde auch hier versucht, ihn zur Änderung seiner Haltung zu bewegen. Jägerstätter erschien nun auch der Dienst als Sanitäter, den er für kurze Zeit erwogen hatte, als stillschweigende Billigung Hitlers und seines Unrechtskrieges. Am 6. Juli 1943 wurde er “wegen Zersetzung der Wehrkraft" zum Tode verurteilt.

Von da an konnte er nur mehr mit gefesselten Händen Briefe nach Hause schreiben und auf Ersuchen des Wehrkriegspfarrers Kreutzberg seine “Berliner Aufzeichnungen" machen. “Ich kann doch dem Führer die Verantwortung für Deutschland nicht allein überlassen", war bei Jägerstätter keine überhebliche Rede, sondern eine Tat, begründet mit dem gewichtigsten Argument, das ein Mensch zur Verfügung hat, der Hingabe des eigenen Lebens.

Er war völlig ruhig, fühlte sich tief in Gottes Schutz geborgen. Wie sonst hätte er von den “ruhigen Stunden im Kerker" nach Hause schreiben können? Und: “Habt keinen Zorn- und Rachegedanken: nicht über die ärgsten Feinde". “Nicht Kerker, nicht Fesseln, noch Todesurteil sind imstande, mir den Glauben oder den freien Willen zu rauben." “Die Liebe wird siegen, und sie wird bleiben die ganze Ewigkeit. Glücklich, welche in der Liebe Gottes leben und sterben." “Über andere, die anders handeln als ich, muß man nicht schlecht denken. Es ist besser, für sie zu beten." Am 9. August 1943 wurde Franz Jägerstätter enthauptet.

War Franz Jägerstätter also doch “bloß" ein Wehrdienstverweigerer? Ich meine, er war viel mehr: ein Mensch, der den Widerspruch zwischen der Welt, in der er lebte, und Gottes Gebot klarer als die meisten seiner Zeitgenossen erkannte und sich bedingungslos für Gott entschied.

Das scheint mir auch seine Botschaft für uns zu sein: Die schlimmsten Situationen für die Menschen sind die, “die unklar sind, in denen die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, und wo das Chaos herrscht" (Karol Wojtyla). Jägerstätters Größe und zugleich Tragik bestand in der Einsamkeit bei seiner Entscheidung, Gottes Gebote höher als die Pflicht gegenüber dem Unrechtsstaat zu stellen.

Und so ist auch das ein Hinweis für uns Christen, daß wir schleunigst lernen sollten, voneinander zu wissen und um den Geist der Unterscheidung zu beten, damit wir den Mut haben, bedingungslos und zu jeder Zeit ja zu Christus zu sagen. Auch wir könnten in Situationen kommen, wo von uns grundsätzliche Entscheidungen gefordert werden.

Der Seligsprechungsprozeß für Franz Jägerstätter ist eingeleitet.

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