VISION 20003/2001
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Wo warst Du denn da, Gott?

Artikel drucken Der Fall “Ulrike" - eine Anfrage (Christa Meves)

Der Fall “Ulrike" hat die Öffentlichkeit in Atem gehalten: Zwei Wochen lang ist die 12jährige vermißt, bis man ihre Leiche entdeckt. Die Obduktion ergibt, sie sei sexuell mißbraucht worden. Mittlerweile ist der Täter gefaßt. Aber die Frage steht im Raum: Wie kann Gott da zuschauen? Versuch einer Antwort von Christa Meves.

Wo warst Du, Gott?" hat der evangelisch lutherische Landesbischof von Brandenburg, Wolfgang Huber, bei der Trauerfeier der von einem Kinderschänder ermordeten zwölfjährigen Ulrike in die Menge der versammelten Trauergemeinde in Eberwalde hineingerufen. Er hat damit an die verständlicherweise angesichts solchen Leids auftauchende zweifelnde Frage nach der Existenz eines liebenden Gottes aufgeworfen.

Gibt es eine Antwort auf diese Frage? Die Bibel kann sie uns vermitteln - zunächst einmal mit Hilfe des Vorbilds von Jesus Christus. Auch Er starb - schuldlos, ja gänzlich frei von Sünde den schändlichsten, qualvollsten Tod aller Tode. Und auch Er schrie in der über Stunden dauernden Qual des Zu-Tode-gefoltert-Werdens den Satz hinaus: “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

Das heißt: Seit diese Frage auf Golgotha in einen verhangenen Himmel hineingeschrieen worden ist, ist jeder Mensch in Todesnot und Angehörigenleid berechtigt, so zu fragen, zumal Gott - wenige Tage später darauf in Gestalt der Auferstehung des Herrn - geantwortet hat. Denn zur Rechten Gottes regiert der Mensch gewordene, auf Erden geschundene Christus über die Menschen.

Und so können wir als Christen auch wissen, daß es himmlische Wiesen und himmlische Freuden für die unschuldigen gemarterten und getöteten Kinder gibt. Ohne die Anerkennung dieser auf die Transzendenz hinweisende Aussage gibt es keine tröstende Antwort auf diese Frage des Bischofs.

Aber es gibt eine weitere Frage zweifelnder Verzweiflung angesichts einer solchen Untat. “Warum hast Du, Gott, der Du doch allmächtig bist, diese Grausamkeit nicht einfach von vornherein verhindert? Warum läßt Du solche bösen Untaten wie die Ermordung der kleinen Ulrike und die Qualen Deines geliebten Sohnes überhaupt zu?"

Diese Fragen bedürfen der Beantwortung, wenn angesichts solchen Erlebens der Mensch nicht in die Absage an den Glauben fallen soll.

Ein Teil dieser Frage ist bereits im Alten Testament mit der Hiobgeschichte beantwortet worden. Sie heißt: Gott hat den Menschen mit Freiheit beschenkt, denn nur auf dem Boden der Freiheit kann der Mensch sich für Gott, für den Dienst bei Ihm, und das heißt, für die Liebe zu den Nächsten entscheiden.

Diese Gegebenheit enthält eine offen Flanke: das Böse, ja der Böse, der Widersacher Gottes, vermag als Versuchung und als Versucher an den Menschen heranzutreten. Und das tut er seit Evas und Adams Zeiten in listiger Abtrünnigkeit vom Plan Gott mit der Menschheit. Das Böse will von uns Menschen erkannt und mit Wachsamkeit als Versuchung abgewiesen werden, was mit Hilfe der Kirche, die Orientierung gibt, eher möglich ist als im Alleingang.

Diese offene Flanke aber macht es möglich, daß schwerste leidvolle Situationen entstehen können wie zum Beispiel Hiobs Verlust der Kinder und seine qualvolle Krankheit. Selbst Christus wurde nicht der Verrat des Judas, nicht die Schwäche des rechtsbrecherischen Richters Pilatus erspart. Selbst angesichts dieser Supertragödie wich Gott Vater nicht von der Unaufgebbarkeit menschlicher Freiheit und damit der Einbruchsmöglichkeit des Bösen ab. Aber Er zeigte auch auf - und deshalb mußte die Passion Christi geschehen - warum: Um den leuchtenden, letztgültigen Sieg und Sinn des in Treue zu Gott ausgehaltenen Elends zu verheißen und sichtbar zu machen, daß die Märtyrertat als Sühne für die in das Böse verstrickte Menschheit verstanden werden kann, als Fanal zu erschütterter Einsicht und dadurch zur Umkehr, zur Hinkehr zu Gott.

Dieser Sinn trifft auch auf den Tod der kleinen Ulrike zu: Er hat Millionen von Menschen erschüttert, aufgerüttelt und bewirkt, daß sie nach dem Sinn einer so grausamen, bösen Tat fragen. Diese Frage bedarf der Beantwortung, und sie heißt: Unsere Zeit hat mit der Möglichkeit, den Großtrieb Sexualität zu mißbrauchen, leichtfertig Schindluder getrieben und so die Entstehung einer Vielzahl von sexualsüchtigen Triebtätern begünstigt. Einst selbst fehlgeleitete mißbrauchte Kinder wurden zu jungen Männern, die man in den Sog des verfrühten und von der Fortpflanzung abgekoppelten Triebes nötigte.

Der große englische Philosoph Lewis hatte es den Menschen bereits warnend ins Stammbuch geschrieben: Den Geschlechtstrieb des Mannes für seine bösen Absichten zu gebrauchen sei für den Teufel eine vergnügliche und gern verwendete Angelegenheit.

Der Tod der kleinen Ulrike hat - sehr speziell für die spezifische Großsünde unserer Zeit - einen tieftraurigen Sinn: Er fordert zur Einsicht und Umkehr beim Umgang mit der Sexualität heraus. Es ist ein weiteres Menetekel an der Wand des Zeitgeistes. Denn davor gab es schon die ungehört verhallenden Entsetzensschreie von Jennifer, Christina, Carla, und wie sie alle heißen...

Wie lange noch wollen wir uns in apokalyptischer Unverbesserlichkeit einreihen lassen? Dort heißt es: “Und die übrigen Menschen, die durch die Plagen nicht umgekommen waren, bekehrten sich trotzdem nicht von den Werken ihrer Hände und hörten nicht auf, die Dämonen anzubeten und die Bilder aus Gold, Silber, Erz, Stein und Holz, die weder sehen, gehen noch hören können; auch bekehrten sie sich nicht von ihren Mordtaten, noch von ihren Zaubereien, noch von ihrer Unzucht, noch von ihren Diebereien." (Offb 9,13-20)

Es ist mehr als dringlich, aufzuwachen und den großen schrecklichen Sinn der Tode dieser unschuldigen Mädchen zu verstehen, ihn ganz ernst zu nehmen und endlich umzusetzen.

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