VISION 20005/2001
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Damit die Wahrheit Christi wirksam werde

Artikel drucken Unsere vielfach so heillose Zeit ist auch eine Zeit der besonderen Gnade (Kardinal Leo Scheffczyk)

Am Fest des heiligen Johannes des Täufers hielt der beim letzten Konsistorium zum Kardinal kreierte Theologe eine vielbeachtete Predigt. In ihr wird deutlich, wie entscheidend gerade heute das Eintreten für die ganze Wahrheit ist. Allerdings betont der Kardinal, daß es sich um ein demütiges Zeugnis handeln müsse - und um ein leuchtendes!

Wir stoßen auf merkwürdige Parallelen zwischen der Zeit Johannes des Täufers - das ist auch die Zeit der ersten Wirksamkeit Jesu - und unserer Gegenwart. Es sind Parallelen, die uns helfen können, die Zeichen unserer Zeit aufzunehmen und zu deuten.

Der Täufer trat in einer Epoche voller religiöser und politischer Spannungen auf, in einer Ära falscher Messiasse und geistiger Wirrnisse. Darüber hinaus berichtet das Evangelium von der Ermordung des Vorläufers Christi, von einer grausamen Episode, die geeignet ist, Licht auch auf die moralische Situation jener Zeit zu werfen.

Bezeichnenderweise entzündet sich die Auseinandersetzung zwischen Herodes und dem Täufer an der Frage nach der Würde der Ehe. Sie war im damaligen Judentum selbst nach dem Urteil Jesu durch die Herzenshärte des Volkes entstellt, entweiht und herabgesetzt worden. Im Falle des Herodes wurde diese Entwürdigung besonders eklatant.

Dazu paßt dann auch das Sittengemälde, das der Evangelist entwirft und das Abgründe einer verzerrten Menschlichkeit, eines falschen Menschenbildes enthüllt: ein machtgieriger Herrscher, eine laszive Frau, ein frivoles Mädchen, eine Gesellschaft auf Tanz, Lustbarkeit und Machterhaltung bedacht, eigentlich jenseits von Gut und Böse stehend, trotz aller zur Schau gestellten gesellschaftlichen Würde das Leben des Menschen verachtend. Was diese Gesellschaft da religiös und sittlich aufführt, ist ein Tanz um die selbstgemachten Götter des Irdischen, die an die Stelle des einen wahren Gottes getreten sind.

Man muß diese Parallelen zu unserer Gegenwart gar nicht künstlich verstärken. Sie drängen sich von selbst auf und führen zu dem Schluß: Die Zeit ist damals wie heute geistig aus den Fugen. Das Oberste ist zum Untersten verkehrt, das Unnatürlichste zur zweiten Natur geworden, das Perverse zum Normalen erklärt. Und dies alles unter dem einzig noch gültigen Aushängeschild der bürgerlich-politischen Korrektheit.

Trotzdem dürfen wir nicht einseitig urteilen. Die damalige Zeit war ja, heilsgeschichtlich betrachtet, auch die Stunde des herannahenden Messias. Also zugleich auch eine Gnadenzeit. Diese Sichtweise sollte uns daran hindern, die damalige Epoche - wie auch unsere eigene Gegenwart - einfach als radikal schlecht, als unbelehrbar und unbekehrbar zu betrachten. Beide Zeiten sind nur Beispiele für die bleibende Verfassung des Menschseins in seiner Geschichte.

In dieser Geschichte geht es immer um das tiefste Thema des Kampfes zwischen dem Glauben und dem Unglauben, zwischen Weltreich und Gottesreich. Möglicherweise waren damals, ähnlich wie heute, die Ausschläge ins Extreme stärker, das Böse noch zu einer besonders großen Amplitude angewachsen. Aber der typische, bleibende Charakter des Weltendramas war damals wie heute derselbe.

Auf diesem Hintergrund wollen wir die Erscheinung des Täufers und seines Schicksals begreifen und für unsere Zeit fruchtbar machen: Er war - wie das Johannes-Evangelium sagt - von Gott gesandt, um Zeugnis zu geben von dem Licht, damit alle glauben. Die Welt, in die er eintrat, war weithin dem Lichte abgewandt. Sie lebte vielfach im Dunkel. Da übernahm Johannes die geradezu übermenschliche Aufgabe, die Menschen zu Umkehr und Bekehrung zu rufen mit einer Botschaft, die er sich selbst nicht erdacht hatte, sondern die ihm von Gott aufgetragen worden war.

Der Erfolg seiner Predigt war nicht gerade überwältigend, aber doch auch für die Geschichte und das Werden des Gottesreiches nicht unbedeutend. Was aber seinem Wort die Bedeutung verschaffte, war vor allem die Art und Weise, wie er für die unveränderliche göttliche Wahrheit eintrat. Er lehrte sie in ihrer Ganzheit, in ihrem Ernst, auch in ihrer Strenge. Dabei aber trat er selbst hinter seiner Botschaft als Person gänzlich zurück.

Was an der Gestalt des Täufers bleibend imponiert, ist darum nicht so sehr die aszetische Strenge seines Lebens, die wir nicht nachmachen können, als vielmehr die totale Zurücknahme des eigenen Selbst gegenüber der verkündeten objektiven Wahrheit. Das Imponierende an ihm lag in der Auslieferung der Person an die Wahrheit.

So konnte der Täufer das bezeichnende Wort sprechen: Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen - ein Wort, das er in seinem Tod auf höchste Weise wahrmachte.

Selbst sein Tod ist in den Evangelien so kurz und nüchtern geschildert, daß von der Person als solcher keinerlei Aufhebens gemacht wird. Die Tatsache als solche ist wichtiger als die betreffende Person. So sehr überragt die objektive Wahrheit alles Individuelle und Persönliche an der Gestalt des Täufers.

Dabei wurde diese Wahrheit von Johannes in einer unbeirrbaren, niemals wankenden Gläubigkeit vorgetragen, die ihn selbst vor den Mächtigen dieser Welt ohne jede Furcht auftreten ließ. Die Ergriffenheit und das Erfülltsein von der Wahrheit waren so vollständig, daß jede menschliche, eigensüchtige Behinderung ausgeschlossen blieb.

In dieser Haltung restloser Hingabe an die Wahrheit gewinnt der Täufer seine heilsgeschichtliche Größe an einem Wendepunkt dieser Geschichte, an dem er zu Bekehrung, zu Erneuerung, zur wahren Reform aufrief.

Am Beispiel des Täufers lernen wir verstehen, welche entscheidende Bedeutung der selbstlosen Verkündigung der Wahrheit Jesu Christi zukommt, zu der auch wir berufen sind in einer immer mehr missionarisch werdenden Kirche im Stadium der Neuevangelisierung im Abendland.

Heute gibt es zwar viel eselbsternannte Reformer und Neuerer in der Kirche, die sich weder an die geoffenbarte Botschaft halten, noch frei sind von Selbstgefälligkeit und Eigenwillen. Viele der heute vorgelegten Reformpläne sind darum nichts anderes als Plagiate theologischer Weltverbesserer aus der Werkstatt des selbstherrlichen Menschen, der auch in der Kirche immer mehr Einzug halten möchte.

Sie vergessen vor allem eines, was uns der Täufer beispielhaft vorlebt: daß jede Erneuerung und Reform der Kirche bei sich selbst beginnen muß, bei der eigenen Bekehrung. Nur wenn wir - wie der Täufer selbst - ganz in Christus aufgehen, wird die Wahrheit Christi und Sein Licht auch aus uns hervorleuchten und in der Welt wirksam werden.

Bei allem Bemühen, wie der Täufer Zeugnis abzulegen, dürfen wir auch einen Unterschied nicht übersehen, der zwischen seiner Situation und unserer neuen Heilszeit besteht. Ein Unterschied, der uns zum Vorteil gereicht: Die Bekehrung zur Wahrheit, die der Täufer predigte, hatte unstreitig etwas Hartes, Gewaltsames, man möchte sagen, etwas Überanstrengtes an sich. Es gehört zur alten Heilszeit hinzu, die ja noch im Dämmerschein der Frohen Botschaft stand. Deshalb konnte Christus auch von Johannes das bezeichnende Wort sprechen, daß der Kleinste im Himmelreich größer sei als er, der Täufer.

Dies hat für uns die Bedeutung, daß unser Zeugnis für die Wahrheit eigentlich viel lichthafter, strahlender, freudvoller ausfallen kann und soll als die Predigt des Täufers, der ja am Glanz des Christusereignisses noch keinen Anteil hatte und von diesem Glanz noch nicht getroffen war.

Wir aber leben bereits in diesem Glanz und dürfen ihn uns auch zu eigen machen. Davon spricht unser Heiliger Vater in seiner Enzyklika zum Eintritt in das neue Jahrtausend. Dort ruft er dazu auf, die Neuevangelisierung beginnen zu lassen mit dem Anschauen des glanzvollen Antlitzes Jesu Christi. Wir haben die Volloffenbarung der Wahrheit auf dem Antlitz Jesu Christi, diesem hoheitsvollen, von Liebe strahlenden Angesicht des Erlösers, dessen strenge Züge fast gänzlich eingeschmolzen sind in die Heiligkeit und Helligkeit der Erkenntnis und der Herzensgüte und des Reichtums des Geistes.

In dieses Antlitz müssen wir uns stets tiefer zu versenken suchen, um aus Ihm die Wahrheit in personaler Gestalt zu ersehen und sie mit derselben Gesinnung der Güte, der geistigen Freiheit und der Schönheit verkündigen.

In Ihm besitzen wir die unvergleichliche Fülle an Wahrheit, mit der keine Lehre und Weltanschauung dieser Erde konkurrieren kann. Dieser Glanz der Wahrheit macht die Kirche und auch uns - insofern wir uns ihr anschließen - eigentlich unüberwindlich, trotz der scheinbar negativen Ergebnisse der Verkündigung in unserer Zeit.

Bleiben wir deshalb bei der in Christus gründenden und auf Seinem Antlitz aufscheinenden Wahrheit!

Predigt zum Abschluß der 13. Internationalen Theologischen Sommerakademie, die von 27.-29.8. 2001 in Aigen/Mühlkreis zum Thema “Christliche Anthropologie - Der Mensch als Gottes Ebenbild" stattgefunden hat.

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