VISION 20003/2003
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Philosophieren mit Kindern

Artikel drucken Ein Versuch, Jugendliche für den Glauben zu interessieren (Von Thorsten Paprotny)

Hast du heute etwas vor?" - “Laß' mich erst mal in meinem Terminkalender nachschauen..." Es gibt viel zu tun, auch für Kinder schon. Aus einer bunten Paletten von Angeboten können sie wählen, wie sie ihre Freizeit am liebsten verbringen möchten - und sie sind schier überall zu finden, nur nicht mehr allzu oft im guten alten Pfarrhaus...

In Deutschland nicht anders als in Österreich ist es für die Kirche in den letzten Jahren zunehmend schwierig geworden, für junge Menschen anziehend zu sein. Wer heute über Möglichkeiten kirchlicher Jugendarbeit nachdenkt, kann leicht resignieren. Wehmütig erinnert sich mancher an seine eigene Jugend. Doch heute? Im Zeitalter von Handy und Internet scheint Kirche kaum noch gefragt zu sein. Sollen alle, denen der christliche Glaube am Herzen liegt, darum aufgeben, bei jungen Menschen Interesse für Gott und seine Kirche zu wecken - weil solches Unterfangen anscheinend aussichtslos ist?

Das ist eine Möglichkeit. Eine andere überzeugt mich mehr: Wir begreifen die Situation heute als Aufgabe und Herausforderung für die Kirche in unserer Zeit.

Fragen wir uns also: “Was können wir nur tun, damit die Jugendlichen den Weg in die Kirche finden?" Neue Impulse verspreche ich mir nicht durch ein Machtwort aus Rom, nicht durch eine Weisung der Bischofskonferenz oder eine entschiedene Predigt von der Kanzel. Freilich, wir könnten in unseren Gremien viele Konzepte entwerfen und wieder verwerfen. Das haben viele von uns oft genug versucht. Aber werden wir als Kirche dadurch wirklich attraktiv für junge Christen, für Kinder und Jugendliche? Grau ist alle Theorie. Was sollen wir tun?

Ein Beispiel aus der Geschichte der Philosophie kann uns vielleicht Mut machen - und zugleich Anregungen geben. Vor etwa 2500 Jahren lebte in Athen ein Mann namens Sokrates. Er war ein praktischer Mensch, kein grübelnder Gelehrter. Vor allem war Sokrates eines: neugierig auf Menschen. Darum ging er auf Marktplätze und in Werkstätten. Mit den Menschen, die er dort traf, unterhielt er sich über Fragen, die alle bewegten: Wie soll man leben? Was ist Freundschaft? Was ist Wahrheit? Ganz zwanglos kam dieser Sokrates mit den Menschen seiner Zeit ins Gespräch.

Kontakte knüpfen, das Gespräch suchen - das ist auch heute besonders wichtig. Gerade junge Menschen suchen Gedankenaustausch. Kirche kann heute ein Forum dafür bieten. Wenn ich mir Zeit nehme für ein “sokratisches Gespräch" etwa zu einem zeitlos aktuellen Thema wie Freundschaft, gehe ich zunächst auf Kinder und Jugendliche zu.

Ich weiß schon am Anfang, daß ein Gespräch zwischen jungen und älteren Christen sehr fruchtbar sein wird für alle. Also muß ich überzeugen und sagen: “Ich würde mich freuen, dich dort zu sehen. Wir wollen beieinander sitzen und über Freundschaft sprechen. Es ist mir wichtig, was du darüber denkst. Wäre schön, wenn du Zeit hast."

Wir teilen unsere Lebenserfahrungen einander mit. Wir denken gemeinsam über ein Thema nach, das uns wichtig ist. Die Unterhaltung wird zuweilen lebhaft. Nachdenklich und mit Freude sind wir bei der Sache.

Während wir miteinander sprechen, wachsen auch zwischen uns ganz unbemerkt freundschaftliche Bande. Das ist wohl das eigentlich Schöne und Beglückende: Menschen, die sich über das Thema “Freundschaft" austauschen, befreunden sich langsam selbst miteinander. Nach der ersten Begegnung ergibt sich nämlich oft die Frage: “Wann treffen wir uns das nächste Mal?"

“Philosophieren mit Kindern" ist eine gute Möglichkeit, um Kindern und Jugendlichen zu zeigen: Wir nehmen Dich ernst. Es interessiert uns, was Du denkst. Laß uns voneinander lernen! Wir sind miteinander auf dem Weg. Die Erfahrung eines solchen philosophischen Dialogs ist bereichernd für alle, die an ihm teilnehmen. Wir gehen gemeinsam auf eine spannende Entdeckungsreise. Bald spüren wir, Kinder wie Erwachsene, daß es uns tief bereichert, wenn wir einander zum Gespräch begegnen. Wir begreifen: Kirche ist eine lebendige Gemeinschaft. Und die “Kirche des Herzens" entsteht mitten unter uns.

Die Philosophie, so lehrten die alten Griechen, beginnt mit dem Staunen. Auch das “Philosophieren mit Kindern" fängt damit an - und vielleicht werden viele noch wahrlich staunen, wie Kinder und Jugendliche wieder den Weg in die Kirche finden, weil sie spüren: Dort werde ich ernstgenommen und anerkannt. Vielleicht wird dann ja manches Kind und mancher Jugendliche sagen: “Am Samstag? Nein, da kann ich nicht mit dir im Internet surfen. Da bin ich im Pfarrhaus. Wir philosophieren wieder." - “Philosophieren?" - “Weißt du was? Komm doch einfach mit! Freunde sind immer willkommen. Du wirst staunen, wieviel Spaß das macht."

Der Autor, ein Leser aus Hannover, hat eine Gruppe “Philosophieren mit Kindern" in seiner Pfarre initiiert und berichtet von seinen ersten Erfahrungen.

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