VISION 20003/2003
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Das christliche Leitbild ist zeitlos gültig

Artikel drucken Ehe und Familie: biblisch fundierte Modelle und beliebig gestaltbar (Von P. Dr. Karl Josef Wallner OCist)

Ehe und Familie haben in den letzten Jahrzehnten ihren Stellenwert enorm verändert. Vertreten die Christen ein heute überholtes Leitbild vom Zusammenleben? Muß man es an die Zeit anpassen? Der folgende Beitrag weist die zeitlose Gültigkeit des tradierten Modells nach.

Ich bin 1963 geboren, die 68er Jahre habe ich in Lederhose beim Indianerspielen erlebt. Dennoch habe auch ich in meiner Generation die Umbrüche im Bereich von Ehe und Familie, den Umbruch im Sexualverhalten noch deutlich miterlebt. Das einst Selbstverständliche ist zum Außergewöhnlichen und das einst Normale zum Sonderfall geworden.

Es geht nicht um ein sentimentales Zurückblicken, sondern um ein Thematisieren des rapiden Wandels, denn noch nie zuvor hat sich in einer Gesellschaft eine solche Vielfalt von partnerschaftlichen und familiären Lebensformen etabliert wie jetzt in unseren westlichen Ländern.

Wir Katholiken lehnen dieses pluralistische Tohuwabohu ab und können nicht akzeptieren, daß an die Stelle von Ehe und Familie Lebensformen treten, die man nur als: irgendwer irgendwie irgendwann mit irgendwem bezeichnen kann. Wir haben klare Vorstellungen vom Ehe- und Familienleben, die heute - zumindest vom obersten kirchlichen Lehramt - auch deutlich vertreten werden.

Woher hat die Kirche diese klaren Vorstellungen? Wie kommen wir dazu, die Ehe vehement als Bund von Mann und Frau in liebender Treue und lebenslänglicher Partnerschaft einzufordern - wo doch die Realität ganz anders ausschaut?

Wie kommen wir dazu, Werte wie etwa - ich nenne hier nur die provokantesten - Unauflöslichkeit, Treue in der ehelichen Partnerschaft, Fruchtbarkeit des ehelichen Aktes, Enthaltsamkeit vor der Ehe “heute noch" so hochzuhalten? Könnten wir es uns nicht leichter machen und all das als geschichtliche Formen vergangener Mann-Frau-Kind-Beziehungen abtun?

Die Antwort lautet: Nein! Denn was wir Christen über den Sinn der Partnerschaft von Mann und Frau denken, entspringt nicht unseren Überlegungen, sondern ist Offenbarung Gottes. Die Ehelehre der Kirche ist kein zufällig gewordenes ethisches Wertesystem, das sich eben so in der Geschichte entwickelt hat und geändert werden kann. Wir glauben vielmehr: Ehe und Familie stehen unter dem Wort, unter der Offenbarung Gottes.

Wenn wir heute wegen unserer scheinbar nicht mehr lebbaren Idealvorstellungen als rückständig oder reaktionär gelten, so macht uns das aus zwei Gründen nichts aus: zum einen, weil wir die Gewißheit haben, daß es der von Gott selbst gewiesene Weg ist, den wir vertreten. Zum anderen, weil wir von diesem Gott wissen, daß Er immer nur das Heil und das Glück des Menschen will.

Wenn wir also so herausfordernde Ideale verkünden, so handelt es sich um die Herausforderung zu einem Glück, das eben nicht billig ist, sondern über die Annahme der Herausforderung führt; manchmal sogar über die Annahme des Kreuzes.

Das erste Feld, auf das wir das Licht des Wortes Gottes fallen lassen wollen, ist das Verhältnis von Mann und Frau, die Zweigeschlechtlichkeit, die hingeordnet ist auf die Einehe: Die Bibel möchte Licht in die erstaunenswerte Tatsache bringen, daß der eine Mensch als Mann oder Frau existiert. Eins im Menschsein, verschieden im Geschlecht. Uns Heutigen ist mittlerweile ja durch die Biogenetik klar geworden, daß der Mensch in seiner chromosomatischen Struktur absolut eindeutig vom ersten Augenblick seines Daseins an entweder männlich oder weiblich ist.

Nach dem älteren Schöpfungsbericht in Gen 2 (Gen 2,18.20.24) ist der Sinn der Ehe, das Alleinsein des Menschen zu überwinden. “Dann sprach Gott, der Herr: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht." (Gen 2,18) Und dann schildert der Text, der ungefähr 1.000 Jahre vor Christus formuliert wurde, die Schaffung der Frau aus dem Mann.

Die Bibel kennt im Unterschied zu vielen anderen mythologischen Vorstellungen der damaligen Zeit keinen doppelgeschlechtlichen Urmenschen, keinen “Androgyn", sondern sie kennt den einen Menschen von Anfang an als Mann und Frau.

Die gebräuchliche Redensart “ein Bein und ein Fleisch" bezeichnet in der damaligen Diktion die enge Verwandtschaft und Gemeinschaft. Der biblische Autor schildert die Entstehung der Frau aus dem “Bein und Fleisch" des Mannes. Im Unterschied zu den Tieren, die dem Menschen zugeführt werden, ist die Frau für den Mann nun endlich die adäquate Ergänzung (2,18). Der Mann jauchzt ihr entgegen!

Man muß festhalten, daß dieser Text zu einer Zeit verfaßt wurde, als die Frau in der damaligen Kultur als Untertan und Eigentum des Mannes angesehen wurde und problemlos unter den Haustieren aufgezählt werden konnte (vgl. Ex 20,17).

Das Bild von der Rippe besagt gerade nicht eine Unter- oder Nachordnung der Frau, sondern die einzigartige Gleichwertigkeit und Zusammengehörigkeit von Mann und Frau. Die beiden werden auch nicht erst durch das Kind zusammengefügt, sondern sind es von ihrem Wesen her: “Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch".

Die Aussageabsicht ist gerade nicht die Ungleichwertigkeit, sondern im Gegenteil: Während in den orientalischen Kulten die Zweigeschlechtlichkeit oft als etwas Unerklärliches, Dunkles, ja Dämonisches angesehen wird, sagt die Bibel klar: Mannsein und Frausein sind in ihrer Verschiedenheit aus der Einheit heraus von Gott gewollt: Mann oder Frau, und doch sind beide eins.

Der Ausgangspunkt der Formung der Frau ist im jahwistischen Schöpfungsbericht der negative Umstand, daß es für den Menschen nicht gut ist, allein zu sein. Dann wird aber auch das Ziel des zweigeschlechtlich existierenden Menschen offenkundig, also was Gott mit der Zweigeschlechtlichkeit bezweckte: die Verbindung in der Ehe. So heißt es: “Darum verläßt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch." (Gen 2,24) Nur was verschieden ist, kann sich einigen! Die Stelle “sie werden ein Fleisch" bedeutet die Einsetzung der Ehe, noch nicht als Sakrament, aber als Gabe des Schöpfers an seine Geschöpfe.

Das hebräische Wort für Fleisch lautet “basar", es bezeichnet die enge Zusammengehörigkeit und Lebensgemeinschaft. Gott schafft dem Menschen eine “ihm ähnliche Hilfe" (Gen 2,18) - nicht nur für einzelne Akte, sondern damit beide ein “basar" werden. Die Lebensgemeinschaft ist von der göttlichen Absicht her auf einen ganzheitlichen, personalen Austausch hin angelegt. Der Mensch ist ein Beziehungswesen und erfährt die höchste Form der personalen Erfüllung nur in der Einehe.

Das also ist der Sinn dessen, daß Mann und Frau verschieden sind: die geschlechtliche Polarität ordnet den Menschen auf Einheit außerhalb seiner selbst hin: auf “Ein-basar-Werden" mit einem anderen Menschen, das von Gott vom Ursprung der Schöpfung her gewollt ist.

Der Katechismus formuliert eben diesen Gedanken, wenn er den Begriff “füreinander" verwendet. “Der Mann und die Frau sind ’füreinander' geschaffen, nicht als ob Gott sie nur je zu einem halben, unvollständigen Menschen gemacht hätte." Die Verschiedenheit ist die Voraussetzung für das “Füreinander".

Die Tendenz der letzten Zeit lag eher darin, die Differenz der Geschlechter zu verwischen, aufzuheben. Bei manchen Formen des Feminismus etwa hat man das Gefühl, daß dem Schöpfergott - sofern man einen solchen anerkennt - ein Fehler unterlaufen sei. Kein Wunder, daß etwa die Feministin Mary Daly heftig gegen den christlichen Glauben ankämpft, daß das Mann- und Frausein Wesensbild Gottes sein soll. Die Unterschiede müßten jedenfalls eingeebnet werden.

Dagegen halten wir: So klar es für die Kirche ist, daß patriarchalische Strukturen und ökonomische oder soziale Benachteiligungen der Frau eine Sünde sind, ebenso klar ist es für den katholischen Glauben, daß die Geschlechterdifferenz gottgewollt ist. Mehr noch: daß in der Polarität eine höchst positive Sinnhaftigkeit liegt, von ihrem Ursprung her: “Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie." (Gen 1,26) Das biblische Wort sagt klar: Die Zweigeschlechtlichkeit ist kein Unfall, auch keine Folge der Ursünde, sie war schon vorher da.

Daß der Mensch “Bild Gottes" ist, hat nach der Bibel etwas damit zu tun, daß er Mann und Frau ist. Auf jeden Fall sind Mannsein und Frausein in sich und in ihrer Zuordnung etwas Gutes. Das Schlußwort zum 5. Schöpfungstag lautet ja auch ausdrücklich: “Gott sah alles, was er gemacht hatte, und es war sehr gut!" (Gen 1,31)

Das Licht, das aus der Bibel auf die heutige Situation von Mann und Frau fällt, könnte man so formulieren: Wir glauben, daß Mann und Frau nicht zufällig oder irrtümlich eine je eigene geschlechtliche Identität haben, für uns ist die Unterschiedlichkeit in leiblicher und seelischer Hinsicht positiv.

Gott will die Ehe als Einheit in Verschiedenheit: Wenn Mann und Frau zueinander Ja sagen bis zum Tod, so hören sie damit nicht auf, ihre Eigenheiten zu haben. Aber jetzt beziehen sie diese ganz auf den anderen hin, sind ganz für den anderen da. Deshalb wird etwa eine eheliche Gemeinschaft nicht dann tief, wenn sich die Frau vermännlicht und der Mann “verfraulicht", sondern beide ihr Mann- oder Frausein annehmen und in ihre Liebesgemeinschaft einbringen.

Der Autor ist Dekan der theologischen Fakultät in Heiligenkreuz bei Wien, sein Beitrag ein redaktionell überarbeiteter Ausschnitt aus seinem Vortrag beim Symposium Hauskirche in Salzburg.

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