VISION 20003/2003
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Kinder müssen die Eltern beten sehen

Artikel drucken Über die wesentlichen Aspekte der Erziehung zum Glauben (Von Kardinal Joachim Meisner)

An und mit den Eltern machen Kinder ihre ersten und entscheidenden Erfahrungen. An ihnen können sie miterleben, ob Gott im Leben des Menschen eine bedeutende Rolle spielt oder nicht.

Erziehung bedeutet, wie schon das Wort sagt: Das Kind in neue Beziehungen, in neue Verbindungen einzuführen. Die erste Beziehung, die das Kind knüpft, ist die Beziehung zur Mutter und über die Mutter zum Vater. Und dann sind die Eltern gleichsam die Dolmetscher des Daseins für ihr Kind. Hinter den Eltern steht das ganze Dasein, die Welt in ihrer Vielfältigkeit. Von der Welt und dem Dasein kommt an das Kind nur das heran, was die Eltern an das Kind heranlassen. Sie sind zunächst die einzigen Dolmetscher der Wirklichkeit für ihr Kind.

Die ersten Beziehungen und Verbindungen bleiben lebenslang für das Kind von fundamentaler Bedeutung. Versäumen die Eltern, ihr Kind in die wesentlichste Beziehung zu setzen, die es gibt, nämlich zu Gott, dann bleibt ihr Kind auf Lebenszeit letztlich ein Waisenkind.

Die Beziehung zu Gott kann das Kind in europäischen Gesellschaften kaum noch in der Öffentlichkeit finden, kaum noch im Kindergarten oder in der Schule. Das Kind ist darin ganz und gar angewiesen auf die Eltern, daß die Eltern es hineinführen in die wesentlichste und tragendste Beziehung, nämlich in die Beziehung mit Gott.

Treten die Eltern eines Tages aus dem Gesichtskreis ihrer Kinder heraus - spätestens bei ihrem Tod -, dann sind die Kinder zu einem Waisendasein verurteilt. Und gerade auch der erwachsene Mensch braucht immer einen Vater, nämlich Gott-Vater, und er braucht auch immer eine Mutter: die Mutter-Kirche, deren Ideal er in der Gottesmutter Maria sieht.

Die zu knüpfende Verbindung des Kindes mit Gott durch die Eltern geschieht in drei Momenten:

* Zunächst durch das tägliche Beten. Damit wird das Kind hineingebunden in das Mysterium des lebendigen Gottes. Das Gebet ist der Ernstfall unseres Glaubens im Alltag, d.h. wir nehmen Gott nur so ernst, so ernst wir das tägliche Beten nehmen. Ein Kind spürt sofort, ob Gott wirklich ein wichtiger Ansprechpartner ist oder nur noch eine konventionelle Figur.

Als die Apostel Jesus beten sahen, baten sie ihn inständig: “Herr, lehre uns beten!" (Lk 11,1). Wenn Kinder ihre Eltern beten sehen, sollten sie von der gleichen Bitte bestimmt werden: Mutter, Vater, lehre mich beten! - Vergessen wir nicht, eine arbeitende Hand bewegt höchstens Maschinen, betende Hände aber bewegen das Herz Gottes, und damit bewegen sie letztlich die Welt.

In der Biographie des Gründers der Steyler-Missionare, des seligen Arnold Janssen, wird eine interessante Episode geschildert. Der Heilige ist auf Heimaturlaub im Elternhaus, das der jüngste Bruder übernommen hat. Dieser ist von Beruf ein Steinmetz. Und der selige Arnold Janssen beobachtet seinen jüngeren Bruder, wie er vor einem Steinhaufen kniet und mit einem Hammer Stein für Stein zerkleinert.

Darauf sagt der Ältere dem Jüngeren: “Johannes, so schnell wie du mit deinem Hammer die Steine öffnen kannst, so schnell möchte ich einmal mit meinem Wort die Herzen der Menschen öffnen können." Darauf erhält er die lächelnde Antwort: “Arnold, du arbeitest wahrscheinlich zu wenig auf den Knien!"

Was ich unseren Kindern von Herzen wünsche, ist, daß sie Eltern haben, die für ihre Kinder nicht nur mit den Händen arbeiten, sondern auch auf den Knien. Wir nehmen Gott nur so ernst, wie unser tägliches Beten. Wir nehmen unsere Sorge für unsere Kinder nur so ernst, wie unser Beten mit ihnen und für sie.

* Ein weiteres Moment der zu knüpfenden Bindung des Kindes mit Gott ist die gemeinsame Feier des Sonntags in der Familie. Sie bindet das Kind unzertrennlich an das Herz Gottes. Jeder siebente Tag ist ein Sonntag. Ein Siebentel unserer Lebenszeit stellen wir als Kinder des Lichtes unter den Einfluß des auferstandenen Herrn.

Tun wir das nicht, dann werden wir von einer gottentleerten Welt aufgesaugt und gehen dabei unter. Am Sonntag aber wiederholt sich das Wunder von Emmaus: “Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloß?" (Lk 24,32). So lautet die Erfahrung der beiden Jünger von damals. Und beim Brotbrechen “gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn" (Lk 24,31).

Der Sonntag mit dem Sonntagsgottesdienst im Zentrum ist der Ort, an dem uns die Ohren aufgehen sollen für Gottes frohe Botschaft, an dem uns die Augen aufgehen sollen für seine leibhaftige eucharistische Gegenwart, sodaß auch uns wieder das Herz im Leib zu brennen beginnen sollte: “Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloß?"

Den Sonntag zu verlieren bedeutet hingegen: alles zu verlieren. Das ist die Erfahrung des christlichen Volkes. Es ist hierbei wie bei einer Überlandleitung. Stehen die tragenden Masten zu weit auseinander, dann bekommt die Stromleitung Erdberührung, und dann geht das Licht aus. Liegen unsere Begegnungen mit dem österlichen Herrn in der sonntäglichen Meßfeier länger auseinander als sieben Tage, dann bekommt unsere Lebensleitung ebenfalls Erdberührung, dann geht das Licht des Glaubens aus. Die Feier des Sonntags ist ein Band, das uns unlösbar mit dem Herzen Gottes verbindet.

* Und schließlich steht vor den Eltern die Aufgabe, die Kinder in die Gemeinschaft der Kirche, das heißt in die Gemeinschaft der Ortsgemeinde - dort wo Eure Pfarrkirche steht - einzuführen.

Hier sollen sie auch mit dem Gotteshaus vertraut werden: Am Taufstein erfahren sie die Quelle des Lebens; am Ambo das Wort des Lebens; am Altar das Brot des Lebens; am Tabernakel die Gegenwart des Lebens; am Beichtstuhl die Heilung des Lebens. Die Kinder müssen erfahren und berühren können, daß es in der Kirche immer um ihr Leben mit Christus geht.

Darüberhinaus ist es ein Gebot der Stunde, daß christliche Familien über die Pfarreien hinaus sich mit anderen christlichen Familien vernetzen. Dazu helfen heute geistliche Gemeinschaften und spirituelle Gruppen sehr. Unsere Eltern und Kinder brauchen ein solches Beziehungsgeflecht, in dem ein vom Glauben der Kirche geprägtes Milieu entsteht, sodaß sie hier für ihren Weltdienst Stärkung und Motivation erfahren.

Vergessen wir nicht, unsere Kinder müssen in unserer Umwelt weitgehend gegen den Strom schwimmen. In der Öffentlichkeit erleben sie kaum Hilfen und Stützen für ihren Weg in der Christusnachfolge.

Man kann aber nicht immer gegen die Trends angehen, nicht immer gegen den Strom schwimmen, denn dann geht einem eines Tages die Puste aus. Wir brauchen gleichsam ein Bassin, in dem wir mit dem Strom schwimmen können, in dem wir auch von den anderen mitgetragen und mitgenommen werden. Ein solches Bassin sollte die eigene Familie, die Verwandtschaft, die Pfarrgemeinde und der Familienkreis sein.

Wenn ich an den einzelnen von Euch die Frage stelle: Wo hast du deinen Glauben her?, wird niemand vertikal zum Himmel aufzeigen und sagen: Mir ist das Wort Gottes vom Himmel zugefallen!, sondern er wird immer in die horizontale Linie auf diesen oder jenen Menschen weisen, der ihm das Wort Gottes horizontal zugesprochen hat.

Jeder von uns trägt das Wort Gottes in sich, aber nicht für sich, sondern immer für den anderen. Gott hat diese Horizontalität der Gnade gewollt. Darauf basiert unser Familienleben.

Unsere Kinder brauchen die gläubige Gemeinschaft von Mutter und Vater, von Geschwistern mit den Eltern, von Verwandten und Freunden, schließlich die Gemeinschaft einer lebendigen Pfarrfamilie und Familiengruppe, wo ihm die vielen anderen das Wort Gottes zusprechen. Als Gleichberufene, als Gleichbegnadete, als Gleichbeschenkte, als Menschen, die auf dem gleichen Weg gehen, sollten wir uns einander bei der Hand nehmen, um zusammen zum gemeinsamen Ziel zu gelangen.

Auszug aus der Predigt des Kölner Erzbischofs zum Abschluß des Symposiums Hauskirche im Salzburger Dom.

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