VISION 20006/2003
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Stärke, was im Sterben lag!

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Der christliche Glaube hat die Kultur (Europas) geformt und sich mit seiner Geschichte so unlösbar verflochten, daß diese gar nicht verständlich wäre, würde man nicht auf die Ereignisse verweisen, die zunächst die große Zeit der Evangelisierung und dann die langen Jahrhunderte geprägt haben, in denen sich das Christentum - wenn auch in der schmerzlichen Spaltung zwischen Ost und West - als die Religion der Europäer durchgesetzt hat.

Auch in Neuzeit und Gegenwart, wo die religiöse Einheit sowohl infolge weiterer Spaltungen unter den Christen als auch wegen der Loslösungsprozesse der Kultur vom Horizont des Glaubens mehr und mehr zerbröckelt ist, kommt der Rolle des Glaubens immer noch eine wichtige Bedeutung zu.

Aus der biblischen Auffassung vom Menschen hat Europa das Beste seiner humanistischen Kultur entnommen, Inspirationen für seine geistigen und künstlerischen Schöpfungen gewonnen, Rechtsnormen erarbeitet und nicht zuletzt die Würde der Person als Quelle unveräußerlicher Rechte gefördert. Auf diese Weise hat die Kirche als Hüterin des Evangeliums zur Verbreitung und Konsolidierung jener Werte beigetragen, die die europäische Kultur zu einer Weltkultur gemacht haben.

All dessen eingedenk, verspürt die Kirche heute mit neuer Verantwortung die Dringlichkeit, dieses kostbare Erbe nicht zu vergeuden und Europa durch die Wiederbelebung der christlichen Wurzeln, in denen es seinen Ursprung hat, bei seinem Aufbau zu helfen.

Möge die gesamte Kirche in Europa spüren, daß das Gebot und die Einladung des Herrn: Gehe in dich, bekehre dich, “werde wach und stärke, was noch übrig ist, was schon im Sterben lag!" (Offb 3, 2), an sie gerichtet ist. Dieses Erfordernis ergibt sich auch aus der Betrachtung der heutigen Zeit: Die ernste Situation der religiösen Gleichgültigkeit so vieler Europäer; die Anwesenheit so vieler Menschen auch auf unserem Kontinent, die Jesus Christus und seine Kirche noch nicht kennen und die noch nicht getauft sind; die Säkularisierung, die breite Schichten von Christen ansteckt, die so denken, entscheiden und leben, ,,als ob Christus nicht existierte'': Das alles löscht unsere Hoffnung nicht aus, sondern macht sie demütiger und befähigt sie besser, allein auf Gott zu vertrauen. Von seinem Erbarmen empfangen wir die Gnade und die Bereitschaft zur Umkehr .

Obwohl es, wie in der im Evangelium erzählten Episode vom Sturm auf dem See ... manchmal den Anschein haben mag, daß Christus schlafe und sein Boot der Gewalt der Wellen preisgebe, ist die Kirche in Europa aufgerufen, die innere Gewißheit zu pflegen, daß der Herr durch die Gabe seines Geistes immer in ihr und in der Geschichte der Menschheit gegenwärtig und wirksam ist. Er setzt seine Sendung in die Zeit hinein fort, indem er die Kirche zu einem Strom neuen Lebens macht, der im Leben der Menschheit als Hoffnungszeichen für alle fließt.

Auszug aus dem Apostolischen Schreiben “Ecclesia in Europa".

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