VISION 20002/2004
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Wallfahren ist Beten mit den Füßen

Artikel drucken Eine alte Faszination wird wiederentdeckt

Wohl kaum jemand hat heutzutage nicht schon im Bekanntenkreis oder in den Medien von Menschen erfahren, die nach Santiago de Compostela gepilgert sind. Der gegenwärtige Wallfahrtsboom erfaßt aber auch nähere Ziele, ob dies ein Fackelzug zu einer nahegelegenen Kapelle oder die altbewährten Fahrten nach Mariazell oder Altötting sind. Eine alte Praxis scheint neu belebt zu werden.

Egon Mielenbrink beschäftigt schon lange das Phänomen der Wallfahrt, das sich bereits in vorchristlicher Zeit und in den anderen Weltreligionen findet. Im Bistum Münster ist er als Priester mit der Familien- und Wallfahrtsseelsorge betraut. In seinem schmalen Buch über Wallfahrten deutet er anschaulich Wesen und Faszination des “Betens mit den Füßen".

Der Autor beleuchtet zuerst die Geschichte der Wallfahrt durch die Jahrhunderte. So kam es ständig zu einem Auf und Ab, nie aber gänzlich zum Verschwinden von Pilgerreisen. Nicht selten als ein unausgesprochener Protest gegen anti-kirchliche Machthaber verstanden, wurden Prozessionen und Wallfahrten immer wieder verboten.

Im zweiten Teil beschreibt Mielenbrink die Wallfahrtsfrömmigkeit. Die verwendeten Gebete und Lieder kommen dabei ebenso zur Sprache wie bestimmte für Pilgerfahrten typische Dinge wie Fahnen, Abzeichen und Kerzen. Eine Wallfahrt ist Sinnbild des eigenen Lebens und der Verheißung der himmlischen Herrlichkeit: man bricht auf aus dem Alltag, nimmt Mühen und Schmerzen in Kauf, um ans Ziel zu gelangen.

Schließlich bietet dieses Buch konkrete Hinweise für die Organisation und Gestaltung von Wallfahrten. Alle, die sich selbst im wahrsten Sinne des Wortes auf den Weg machen wollen, finden somit nicht nur wertvolle Gedankenanstöße über den Sinn von Wallfahrten, sondern auch konkrete Überlegungen zu ihrer Durchführung.

Der häufigste Einwand gegen Wallfahrten lautet, daß Gott doch nicht nur auf einigen Hügeln wohnt und beileibe nicht unsere Schinderei braucht, um uns nahe zu sein. Tatsächlich ist Gott im Alltag kein anderer und nicht mehr versteckt als in einer Wallfahrtskirche. Dieses Buch hat mir aber erneut bewußt gemacht, daß wir auf einer Wallfahrt oft andere sind, daß wir im Unterwegssein offener werden und so manches an einem von Gebeten geprägten Ort anders sehen und verstehen. Wenn wir bewußt auf Gott hin unterwegs sind, werden wir andere. Da genügt es eben nicht immer, nur in Gedanken bei ihm zu sein; Gott will uns mit Haut und Haaren, und Wallfahrten können uns helfen, daß wir mit Leib und Seele auf Ihn zusteuern.

Vielleicht ist dieses "ganzheitliche" Verständnis vom Menschen auch der Grund, warum heute Jugendliche und der Kirche Fernstehende gerade durch Wallfahrten das Christentum und die Kirche in neuer Strahlkraft und mit neuem Geschmack erleben dürfen. So kann nicht selten die Wallfahrt zum Aufbruch in ein neues Glaubensleben werden.

Bernhard Eckerstorfer OSB

Beten mit den Füßen. Über Geschichte und Praxis von Wallfahrten. Von Egon Mielenbrink. Topos plus Taschenbuch 368, Kevelaer 2001. 134 Seiten, Euro 8,90.

Diese und andere Bücher können bezogen werden bei: Christoph Hurnaus, Waltherstr. 21, 4020 Linz, Tel/Fax: 0732 788 117; Email: hurnaus@aon.at

 

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