VISION 20004/2004
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Der Schulerfolg der Kinder hängt von den Eltern ab

Artikel drucken Kleinen Kindern muß man zu Hause beim Lernen helfen

Ferien, Erholung. Aber wie geht es im Herbst mit der Schule weiter? Wie sehr der Lernerfolg der Kinder vom Engagement der Eltern abhängt, erklärt im folgenden Gespräch ein erfahrener Psychologe.

Sie warnen vor der Versuchung, die Erziehung an die Schule zu delegieren. Ist es nicht Aufgabe der Schule, die intellektuellen Fähigkeiten des Kindes zu entwickeln?

François Dumesnil: Der Intellekt des Menschen wird nicht erst in der Schule entfaltet. Viele Eltern meinen, die Schule werde die Intelligenz ihrer Kinder entwickeln. Nein! Aufgabe der Schule ist es, Wissen zu vermitteln. Die Intelligenz geht jedoch weit über das Wissen hinaus, sie ist die Fähigkeit, die Realität zu begreifen. Intelligenz kann zum Schulerfolg beitragen. Die Schule jedoch kann nicht wirklich die Intelligenz wecken. Es ist nicht Aufgabe des Lehrers, das Lernen zu lehren. Er ist da, um Wissen zu vermitteln. Die Intelligenz des Kindes, das in die Schule eintritt, soll schon in Gang gesetzt sein, fähig, sich zu konzentrieren, aufmerksam zu sein, sich etwas zu merken. Das ist Aufgabe der Eltern noch vor dem Kindergartenalter.

Was können Eltern tun, um das zu erreichen?

Dumesnil: Einfach jede Gelegenheit nutzen, um das Kind auf etwas aufmerksam zu machen, ihm zu helfen, sich zu konzentrieren, Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung zu erkennen. So wird es entdecken, daß es über ein geistiges Rüstzeug verfügt, um sich mit den Gegebenheiten auseinanderzusetzen. Es geht weder darum, es mit Information zu überfüttern, noch aus ihm ein allwissendes Äffchen zu machen. Es soll einfach das Lernen lernen. Dabei muß man von seiner kleinen Welt ausgehen und sich nicht damit begnügen, auf seine Fragen zu antworten: Im Gegenteil, nicht zögern, es herauszufordern. Etwa: “Warum hat die Frau, die da aus dem Supermarkt kommt, im Einkaufswagen ein Paket mit Windeln? Was meinst Du?" Wichtig ist nicht die Antwort, sondern daß man das Kind dazu bringt, sich auf eine Frage zu konzentrieren, etwas zu analysieren. So entdeckt es die Freude am Nachdenken, am Finden von Lösungen.

Und was ist dann die Aufgabe der Eltern, wenn das Kind in die Schule geht?

Dumesnil: Damit das Kind die Schule als befriedigend erlebt, muß es Erfolg haben. Um ihm dazu zu verhelfen, müssen die Eltern zweierlei beachten: Zunächst das Aufgabenmachen überwachen. Täglich einen Blick auf die Hausaufgaben zu machen, ist das Minimum, das Eltern erfüllen sollten. Sie müssen überprüfen, ob die Aufgaben gemacht sind, auch wenn das Kind sie in ihrer Abwesenheit gemacht hat.

Das zweite Muß: Überprüfen, was in der Schule geschieht. Die Welt der Schule und der Familie zu trennen, ist ein Konzept, das Lehrer oft vertreten. Diese Trennung ist unannehmbar. Sie führt dazu, daß die Verantwortung der Eltern, die nicht delegiert werden kann, verloren geht. Schulversagen in der Volksschule ist oft auf mangelndes Üben zurückzuführen und dieses die Folge schlecht gemachter Hausaufgaben: keine Disziplin beim Lernen, Zwist mit den Eltern, schlampige Aufgaben, Unruhe und Konzentrationsmangel in der Schule... In allen Fällen können Eltern da
Abhilfe schaffen, wenn sie aufmerksam sind.

Wie sollen Eltern das Geschehen in der Schule überprüfen?

Dumesnil: Sie müssen darüber wachen, daß ihr Kind möglichst viel vom Lernstoff mitbekommt. Dazu reicht es, sich am Laufenden zu halten, sich die Noten, die Zeugnisse zu Gemüte führen, sich die Schularbeiten anzusehen, mit den Lehrern über das Verhalten des Kindes zu sprechen. Dabei geht es nicht darum, den Lehrer in Frage zu stellen, sondern einfach am Ball zu bleiben. ... Dank dieser Aufmerksamkeit können Eltern gezielt handeln, Unverstandenes aufarbeiten, das Erledigen von Hausaufgaben fördern. Und wenn es um Probleme des Verhaltens im Unterricht geht, mit dem Kind darüber reden.

Sie verlangen eigentlich recht viel von den Eltern.

Dumesnil: Ich habe noch nie gehört, daß den Eltern zu Schulbeginn gesagt wurde: “Sie sind es, die den Erfolg ihres Kindes in diesem Jahr gestalten werden." Und dennoch: Die Qualität der elterlichen Begleitung wird im großen Ausmaß für den Erfolg des Kindes sorgen und zu dessen Ausgeglichenheit beitragen. Sogar bei einem Lehrer, der nicht den Vorstellungen entspricht...

Bis zu welchem Alter des Kindes müssen sich die Eltern da engagieren?

Dumesnil: Mehrere Jahre lang, jedenfalls bis zum Ende der Volksschule, ist es wichtig, daß die elterliche Aufmerksamkeit allgegenwärtig ist. Meistens bleibt der Einfluß der Eltern auch noch in der Unterstufe der AHS sehr wichtig. Dann wächst das Kind aus dieser Konstellation heraus. Sein Wissen übersteigt dann manchmal schon das der Erwachsenen. In der Pubertät gilt es dann, von einer Beziehung der vorgegebenen zu einer der anerkannten Autorität zu gelangen. Wo dieser Respekt fehlt, ist dies ein Zeichen für eine mittelmäßige Eltern-Kind-Beziehung. Das Kind entzieht sich dann leicht ganz dem Einfluß. Die Eltern müssen also jene Periode nutzen, in denen sie jeden Vertrauensvorschuß bei ihren Kindern besitzen, um ihnen bestmöglich bei ihrer Entwicklung zu helfen.

Besteht dann nicht die Gefahr, daß die Kinder allzu abhängig werden, wenn die Eltern dauernd hinter ihnen her sind? Wie soll das Kind dann lernen, auf eigenen Beinen zu stehen?

Dumesnil: Es geht keinesfalls darum, daß die Eltern die Rolle einer Art Dauerprothese übernehmen. Sie müssen das Kind soweit bringen, eigenverantwortlich zu handeln. Bleibt man auf dem Niveau: “Mach Deine Aufgabe und Du bekommst einen Schlecker!", so wird das Kind für den Schlecker arbeiten und nicht, weil es seine Aufgaben zu erfüllen hat. In den ersten zwölf Lebensjahren müssen die Eltern ihre Kinder dazu anhalten, das zu tun, was sie von ihnen verlangen - ihnen dabei aber auch begreiflich machen, daß dies das Beste für sie ist. ... Wenn die Eltern stark gegenwärtig sind, sich viel einbringen, gute Beziehungen schaffen, wird das Kind, sobald man es sich selbst überläßt, sich selbst in die Hand nehmen.

Autonomie ist Ihrer Meinung nach also nicht das Ergebnis eines Lernprozesses?

Dumesnil: Nein, sie stellt das Endstadium einer Entwicklung dar. Unter dem Motto, man müsse dem Kind Verantwortung beibringen, verfolgen manche Eltern nicht, was es tut. Die nachteiligen Folgen davon sind offenkundig. Dann heißt es: “Du hast nichts gemacht, dein Buch vergessen? Dann schau' eben, wie du mit deinem Lehrer zurechtkommst! Dann wirst du lernen, dich um deine Sachen zu kümmern, dich zusammenzureißen..." Dann tritt folgendes Problem auf: Das Kind erkennt zwar seine Fehler, lernt aber nicht alles Übrige. Auf diese Weise entsteht ein Defizit, das sich nachteilig auswirkt. Es treten negative Folgen ein, wie fehlende Lernmethode, wiederholte Erfahrungen des Scheiterns, unregelmäßige Leistungen. Gut ist es hingegen, die Arbeit zu überwachen, das vergessene Buch auszuborgen - und das Kind zu bestrafen, damit es nicht wieder so handelt. Kurzum verhindern, daß es in eine Situation des Scheiterns gerät - bis es eben eigenverantwortlich zu handeln vermag.

Wie kann man Kindern den Eindruck vermitteln, daß man unbedingt hinter ihnen steht?

Dumesnil: Durch die Aufmerksamkeit und die Intensität des fürsorglichen Blicks, den man auf sie wirft. In vertrauten Beziehungen zu den Eltern reift im Kind das Gefühl dafür, daß es ein einmaliges Wesen ist. Bis zur Pubertät gelingt es, die Dinge wieder in den Griff zu bekommen, weil man noch einen unmittelbaren Einfluß auf das Kind auszuüben vermag. Nachher ist es schwieriger.

François Dumesnil ist Autor von Parent responsable, enfant équilibré (Verantwortunsvolle Eltern haben ausgeglichene Kinder), Ed. De l'Homme, 1998. Er arbeitet seit 25 Jahren mit Problemkindern. Das Interview ist ein Auszug aus "Famille Chrétienne" v. 3.9.98.

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