VISION 20006/2005
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Aufruf zur Rettung der Vernunft

Artikel drucken Europa schneidet sich von seinen Wurzeln ab

Zwei Autoren machen sich Gedanken über die geistige Situation Europas. Ihre Analyse deckt sich über weite Strecken, was erstaunlich ist, bedenkt man ihre weltanschaulichen Standpunkte: Ein Philosoph, Vizepräsident des italienischen Senats, der sich als Atheist bekennt: Marcello Pera, der jedoch erstaunlich gut über die Botschaft Christi informiert ist und in vielem christliche Positionen vertritt. Und Kardinal Joseph Ratzinger, bei der Abfassung der Texte Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, nunmehr Papst Benedikt XVI.

Zwei Vorträge und ein Briefwechsel zwischen den Autoren werden in Ohne Wurzeln wiedergegeben: Ein Vortrag Marcello Peras an der Päpstlichen Lateranuniversität im Mai 2004 und einer von Kardinal Ratzinger in Subiaco knapp vor seiner Wahl zum Papst. Die große Übereinstimmung der Analyse, aber auch die durchaus wichtigen Unterschiede werden im Briefwechsel der beiden auf erhellende Weise sichtbar.

Die Grundproblematik der geistigen Situation Europas kommt im Untertitel, “Der Relativismus und die Krise der Europäischen Kultur" zum Ausdruck. Sehr ausführlich sind Peras Analysen zu dieser Fehlentwicklung, die den Menschen den festen Boden unter den Füßen entzieht. Dieser Relativismus, der sich auch in der Theologie eingenistet habe, lähme die westlichen Gesellschaften, die sich von ihren Wurzeln, den christlichen Werten abgeschnitten hätten, stellt Pera fest. Er mache ihn auch unfähig, sich der Auseinandersetzung mit dem Islam, die sich zuspitzt, angemessen zu stellen. In dieser Auseinandersetzung diagnostiziert Pera das Vorherrschen eines “neuen Geistes von München", der es ablehne, die bestehenden Gefahren überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

Nicht nur für den Christen sehr erleuchtend sind dann die Ausführungen von Kardinal Ratzinger. Er kennzeichnet die Kultur des Westens als eine, die “in bisher nirgendwo in der Menschheit gekannten Weise Gott aus dem öffentlichen Bewußtsein verbannt" und im “radikalsten Widerspruch nicht nur gegen das Christentum, sondern gegen die religiösen und moralischen Traditionen der Menschheit" steht - und zwar weltweit. Denn diese Kultur erhebt den Anspruch weltweiter Geltung. Aufgetreten, um die Vernunft gegen überzogenen religiösen Dogmatismus zu verteidigen, habe sich die Kultur der Aufklärung von ihren Wurzeln, dem christlichen Menschenbild, abgeschnitten, was zur Folge hat, daß sie - orientierungslos - mittlerweile ihren eigenen zentralen Wert, die Vernunft, zerstöre.

In dieser Situation sei die Kirche aufgerufen, zur Rettung der Vernunft anzutreten, der Vernunft, die sich nur wahrhaft entfalten könne, wenn sie vom Licht des lebendigen Gottes erleuchtet sei. Daher Ratzingers Einladung an die Gesellschaft unserer Tage, so “zu leben und das Leben zu gestalten", “als ob es Gott gäbe". Das werde jenen, die dem Glauben fernstehen, umso leichter fallen, je mehr die Christen “durch einen erleuchteten und gelebten Glauben Gott glaub-würdig machen in dieser Welt".

CG

Ohne Wurzeln. Der Relativismus und die Krise der Europäischen Kultur. Von Marcello Pera und Joseph Ratzinger. St. Ulrich Verlag, Augsburg 2005, 157 Seiten, 17,40 Euro.

Diese und andere Bücher können bezogen werden bei: Christoph Hurnaus, Waltherstr. 21, 4020 Linz, Tel/Fax: 0732 788 117; Email: hurnaus@aon.at

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