VISION 20003/2006
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„Jetzt bleibt mehr Zeit für die Kinder..."

Artikel drucken Kein leichter Abschied vom Karrieredenken

Erfolgreich im Beruf, glücklich verheiratet, zwei Kinder - und dennoch... Er nimmt eine Auszeit, ein Jahr, um sein Leben neu zu ordnen und erkennt: Ehe und Kinder sollen einen größeren Stellenwert im Leben bekommen.

Du hast von Mitte 2004 an ein Sabbatjahr eingelegt, also Dein Berufsleben für ein Jahr unterbrochen. Was war der Anlaß dafür?

Johannes Reinprecht: Wir haben uns dafür entschieden, weil ich folgendes gemerkt hatte: Mache ich so weiter wie bisher, so wird es mich “zerbröseln" - sprich: ich zerbreche. Mir war klar, ich würde dann nicht mehr auf dem Weg sein, den ich eigentlich ursprünglich gehen wollte. Konkret: Nach etwa zehn stressigen Berufs- und fünf Ehejahren habe ich gespürt: Mein Gebets- und mein Eheleben leiden, die Beziehung zu den Kindern - Johanna war vor kurzem geboren und Clemens knapp zwei Jahre alt - kommt zu kurz. In Gedanken habe ich mir ausgemalt: Wie schaut das in 25 Jahren aus, wenn ich so weitermache (intensive, belastende 50 Stundenwochen, zeitaufwendige andere Beschäftigungen)? Meine Kinder sind dann junge Erwachsene, ich kenne sie eigentlich gar nicht wirklich, sie haben mich nie gefragt, wenn es um für sie relevante Fragen ging, irgendwie war ich ein Fremder für sie geblieben. Hingegen hätte ich gut für ihren materiellen Wohlstand gesorgt... Diese Vorstellung hat mich abgeschreckt. Wenn ich langfristig mit meinen Kindern eine intensive Beziehung haben will, muß ich sie auf ein solides Fundament stellen. Und dieses erfordert, daß ich Zeit für sie habe. Es kommt auf die Zeit miteinander an. Sie ist der wesentliche Faktor, weil Voraussetzung für die Qualität der Beziehung.

Sind das Erkenntnisse, die Dir im Sabbatjahr gekommen sind?

Reinprecht: Als ich mich zu dem Sabbatjahr entschlossen habe, hatte ich eine gewisse Sorge, daß manches in Brüche gehen könnte. In meinem Umfeld habe ich ja erlebt, daß Ehen zerbrechen, “unsinkbare Schiffe" untergehen. Andererseits hatte ich Sehnsucht nach einer tragenden Familiengemeinschaft, die für jeden von uns bereichernd ist und Entwicklung ermöglicht.

Wie ist das Sabbatjahr dann gelaufen?

Reinprecht: Da war vieles nicht so, wie ich es mir erwartet hatte. In den ersten fünf Monaten mußte das Haus, in dem wir jetzt wohnen, saniert werden, und wir haben unter äußerst beengten Verhältnissen gelebt - alles sehr belastend. Nach dieser Zeit war ich so richtig “sabbatjahrreif". Dann erst hat sich ein guter Rhythmus eingespielt: des Gebetes, der Familienzeit... Aber auch das war nicht die Idylle, von der ich geträumt hatte, kein monatelanger Höhenflug.

Also eher ein Flop oder doch wichtige Erkenntnisse?

Reinprecht: Ich habe mich - auch in einem Seminar - mit meiner “Visionsfindung" auseinandergesetzt. Wie sollte es in Beruf, Familie, Freizeit, Kirche für mich weitergehen? Das war insgesamt sehr bereichernd - auch wenn dabei kein fix-fertiges Ergebnis herausgekommen ist. Da ist nach wie vor vieles erst im Werden. Allerdings habe ich mich in diesem Jahr entschlossen, von da an Teilzeit zu arbeiten, drei Tage in der Woche. Das macht einen bedeutenden Unterschied zu früher aus. Ich bin nicht mehr im selben Arbeitsstreß. Jetzt bleibt Zeit für die Kinder und für andere Engagements, etwa für eine katholische Familiengruppe. Gewachsen ist in diesem Jahr eine große Sehnsucht nach Gott. Vorher habe ich Stille kaum ausgehalten. Heute ist für mich die Zeit der Stille, der Anbetung wichtig geworden, ein großer Gewinn.

Hat sich das Jahr auch auf Eure Ehe ausgewirkt?

Reinprecht: Ja. Unsere Beziehung ist viel intensiver, was nicht heißt, daß wir nicht auch Konflikte und nicht bewältigte Probleme haben. Aber eines steht fest: Das Jahr hat uns gut getan.

Wie wirkt sich das nun konkret auf die Beziehung zu den Kindern aus?

Reinprecht: Ich bin für sie jetzt viel vertrauter als früher, bin einer, der fehlt, wenn ich einmal länger in der Arbeit bin. Bei längerer Abwesenheit merke ich jetzt auch, daß ich die Kinder irgendwie wieder neu “erobern" muß. Dabei ist wichtig, daß mich Marietta den Kindern in den Zeiten meiner Abwesenheit als fehlend vermittelt, als einer, der aber bald kommt.

Wie kommst du mit der veränderten Berufssituation zurecht?

Reinprecht: Das ist schwierig. Ich bin 38 und in einer Lebensphase, in der man schon auf dem Weg ist, Karriere zu machen. Ich war vorher in einer Funktion mit Führungsverantwortung. Der Ausstieg aus dem Karrierepfad - obwohl ich kein Aussteiger im engeren Sinn bin - wurde vielfach nicht verstanden. Es gibt eben unterschiedliche Lebenskonzepte: Karriere- oder Familienorientierung. Damit sage ich nicht, daß Karriere und gelungene Familie nicht vereinbar seien - aber es ist sicher sehr anstrengend und schwierig. Man muß viel Energie einsetzen, Kompromisse machen, muß Glück und vor allem viel Gnade Gottes haben. Um es klar zu sagen: Der Verzicht auf die Karriere schmerzt, weil man als Mann in meinem Alter ja der Welt einen Hax'n ausreißen will.

Und was hast Du gewonnen?

Reinprecht: Manchmal habe ich mir gedacht - und es auch gesagt: Ich leiste mir den Luxus, Zeit für Frau und Kinder zu haben. Heute sage ich das nicht mehr. Mittlerweile weiß ich: Es ist kein Luxus, sich diese Zeit zu nehmen. Es ist lebensnotwendig, eine Frage des Überlebens unserer Ehe, der Beziehung zu den Kindern. Was ich hier lebe, ist ein ganz normales Vatersein. Das bedeutet: Meiner Familie Priorität einzuräumen. Verglichen mit der Karriere, den vielen Annehmlichkeiten, die unsere westliche Welt bietet (Urlaub, Wellness, sportliche Betätigung, materieller Überfluß...) haben für mich Frau und Kinder Vorrang. Das war nicht immer so. Mein Bewußtseinsprozeß diesbezüglich hat eine Zeit gedauert. Denn erst wie mir Marietta begegnet ist, wurde mir bewußt, wie wichtig die Ehe ist, erst in der Beziehung zu meinen Kindern ist mir halbwegs klar geworden, was es heißt, Vater zu sein, für diese Kleinen Verantwortung zu tragen...

... aber doch auch viel Freude zu erleben...

Reinprecht: Da gibt es immer wieder Momente, in denen ich als Vater tiefes Glück empfinde. Ich erinnere mich da an einen Abend vor ein oder zwei Wochen. Ich kam nach einem längeren Arbeitstag heim, Marietta und die Kinder waren noch auf. Johanna und Clemens sind auf mich zugestürmt, haben mich umarmt. Dann haben wir uns auf eine Matratze, die im Kinderzimmer ist, gelegt, ein Kind links unter dem Arm, eines rechts und langsam ist Johanna in meinem Arm eingenickt und auch Clemens hat sich sichtlich bei mir wohlgefühlt. In diesem Moment habe ich tief empfunden: Das ist wunderschön... Solche Momente sind es, die in meinem Herzen die immer wieder aufkommende Zweifel: lege ich zu wenig wert auf Karriere, auf Beruf, vernachlässige ich die Pflege meiner Fähigkeiten...?, ganz in den Hintergrund treten lassen.

Das Gespräch führte CG.

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