VISION 20004/2006
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Vorrang für die Einheit

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Zu Beginn seines Amtes in der Kirche von Rom, die Petrus mit seinem Blut getränkt hat, übernimmt sein jetziger Nachfolger ganz bewußt als vorrangige Verpflichtung die Aufgabe, mit allen Kräften an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit aller Jünger Christi zu arbeiten. Das ist sein Bestreben, das ist seine dringende Pflicht. Er ist sich dessen bewußt, daß dafür die Bekundung aufrichtiger Gefühle nicht ausreicht. Es bedarf konkreter Gesten, die das Herz erfassen und die Gewissen aufrütteln, indem sie jeden zu der inneren Umkehr bewegen, die die Voraussetzung für jedes Fortschreiten auf dem Weg der Ökumene ist.

Der theologische Dialog ist notwendig, und die Untersuchung der geschichtlichen Beweggründe dieser Entscheidungen, die in der Vergangenheit geschehen sind, ist ebenfalls unerläßlich. Aber am dringendsten ist die “Reinigung des Gedächtnisses", die von Johannes Paul II. so oft hervorgehoben wurde und die allein die Herzen darauf vorbereiten kann, die volle Wahrheit Christi aufzunehmen.

Vor Ihn, den höchsten Richter allen Lebens, muß jeder von uns hintreten in dem Bewußtsein, daß er Ihm eines Tages Rechenschaft ablegen muß über das, was er getan, und das, was er nicht getan hat im Hinblick auf das große Gut der vollen und sichtbaren Einheit aller seiner Jünger. Der jetzige Nachfolger Petri läßt sich in erster Person diese Frage stellen und ist bereit, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um das grundlegende Anliegen der Ökumene zu fördern.

Auf den Spuren seiner Vorgänger ist er fest entschlossen, jede Initiative zu pflegen, die angemessen erscheinen mag, um die Kontakte und das Einvernehmen mit den Vertretern der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu fördern. Ja, ihnen sende ich bei dieser Gelegenheit meinen herzlichen Gruß in Christus, dem einen Herrn aller.

In diesem Augenblick gedenke ich der unvergeßlichen Erfahrung, die wir alle anläßlich des Todes und des Begräbnisses des verstorbenen Johannes Paul II. gemacht haben. Um seine sterbliche Hülle, die auf dem bloßen Erdboden ruhte, hatten sich die Oberhäupter der Nationen, Personen jedes Standes, und besonders die Jugendlichen in einer unvergeßlichen Umarmung der Liebe und Bewunderung versammelt. Die ganze Welt hat voll Zuversicht auf ihn geschaut. Vielen schien es, daß diese eindrucksvolle Teilnahme, die von den Medien bis an die Grenzen des Planeten übertragen wurde, gleichsam ein gemeinsamer Hilferuf an den Papst von seiten der heutigen Menschheit war, die sich, von Unsicherheiten und Ängsten beunruhigt, die Frage nach ihrer Zukunft stellt.

Die Kirche von heute muß in sich das Bewußtsein ihrer Aufgabe schärfen, der Welt die Stimme dessen anzubieten, der gesagt hat: “Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben« (Joh 8,12). Bei seiner Amtsübernahme weiß der neue Papst, daß es seine Aufgabe ist, vor den Männern und Frauen von heute das Licht Christi leuchten zu lassen: nicht das eigene Licht, sondern das Licht Christi.

Auszug aus der Predigt Benedikt XVI. bei der Eucharistiefeier mit den Kardinälen in der Sixtinischen Kapelle am 20. April 2005.

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