VISION 20002/2007
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Die Kirche: Licht und Schatten

Artikel drucken Kirchengeschichte ohne kritische Scheuklappen

Kirchengeschichte - ein heikles Thema. Kaum wird es in einer Gesprächsrunde angeschnitten, fallen die bekannten Totschlagworte: Inquisition, Kreuzzüge, Galilei, Hexenverbrennungen..."Das alles soll Jesus gewollt haben?!" Auch in kirchlichen Kreisen überwiegt der kritische Ansatz - nur keine Schönfärberei!

Tatsächlich, Schönfärberei wäre der falsche Ansatz. Aber was nottut, ist der unvoreingenommene Blick auf die zweitausendjährige Geschichte der Kirche, ein wohlwollender Rückblick eines gläubigen Historikers, der “Licht und Schatten" erkennt, der Fakten und Legenden auseinanderhält. Und genau das bietet Walter Brandmüllers gleichnamiges Buch. Der Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften setzt sich in 17 Essays mit gängigen Vorurteilen über die Kirche auseinander - und das in einer sehr verständlichen Sprache und ohne den Leser mit Detailinformationen zu überfordern. Weil die einzelnen Texte zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden sind, ergeben sich ab und zu geringfügige Wiederholungen mancher Gedanken. Das mag mancher Leser als störend empfinden, es hat mich jedenfalls nicht abgehalten, das Buch als spannende Lektüre in einem Zug zu lesen.

Besonders aktuell ist das Kapitel, das sich mit dem Werden Europas auseinandersetzt. Es macht deutlich, wie sehr dieser Kontinent letztlich ein Produkt der Kirche ist. Sie hat die “Zerfallsmasse des Römischen Reiches" weitergetragen und in einem “harmonischen wie ... auch konfliktgeladenen Zusammenspiel" zwischen Papsttum und Kaisermacht die mittelalterliche “Christianitas" gestaltet. Eines ihrer wesentlichen verbindenden Elemente: die Universität, “legitime Tochter der Kirche", wie sich der Autor ausdrückt.

Sie breitet sich nach 1200 als großmaschiges Netz von Hohen Schulen aus. Gleich strukturiert, mit den selben Lehrinhalten und Prüfungen, einem regen Austausch von Lehrern und Studenten tragen die Universitäten wesentlich zur geistigen Integration Europas bei.

Verbindend auch das von der Kirche gepflegte Latein, sowie die unzähligen Wallfahrten, die zu grenzüberschreitenden Begegnungen führen. “Auf den Pilgerwegen, an den Wallfahrtsorten traf sich die Christenheit, traf sich Europa, konnte europäisches Bewußtsein im Zeichen des Heiligen entstehen."

Interessant ist der Blick auf die Neuaufbrüche, die zur Wiederbelebung einer darniederliegenden Kirche immer wieder nötig waren. An drei Beispielen illustriert Brandmüller diese fortgesetzte Bewegung: der iro-schottischen Mission zu Beginn des Mittelalters, der Erneuerung im Gefolge des Konzils von Trient im Anschluß an die Wirren der Reformation und das Wiederaufblühen der französischen Kirche nach den verheerenden Stürmen der Revolution.

An vielen Stellen wird deutlich, welche Bedeutung dem Papsttum in der Kirche zukommt, wie wesentlich der Petrusdienst ist und welche Wirren entstehen, wenn dieser Dienst nicht der Berufung entsprechend ausgeübt worden ist. Deutlich wird aber auch, wie heftig auseinanderstrebende Kräfte, insbesondere in der Neuzeit, waren und wie sehr diese die Einheit - durchaus zum Nachteil der Teilkirchen - gefährdeten. Brandmüller hebt jedenfalls hervor, daß über alle Zeiten hinweg die Päpste das Glaubensgut unversehrt in seiner Fülle bewahrt und damit die Verheißung Christi erfüllt haben.

Lesenswert sind die Kapitel über die Kindheitsgeschichte Jesu in den Evangelien im Licht der Geschichtsforschung, interessant die Widerlegung der heutigen Kritik an deren Wahrheitsgehalt. Selbstverständlich geht der Autor in eigenen Kapiteln auf die “heißen Eisen" ein: Inquisition, Hexenverbrennungen, Kreuzzüge ...

Das Buch endet mit einem “Blick nach vorne". Da wird der historische Bußakt im Jahr 2000 angesprochen, den Papst Johannes Paul II. zur “Reinigung des Gedächtnisses" der Kirche gesetzt hat. Bei dieser Gelegenheit wurde vor der ganzen Welt kundgetan, daß die Kirche unserer Tage die Schuld ihrer Glieder nicht verdrängt, denn schuldig zu werden, ist Teil des Lebens jedes Menschen, zu jeder Zeit.

Diese klare Haltung ermögliche jedenfalls “eine aktive Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Wirklichkeit", hält der Autor fest, sie eröffne einen Weg der Versöhnung mit all jenen, die noch an den vielen Folgen “vergifteter Erinnerungen" leiden.

Christof Gaspari

Licht und Schatten. Kirchengeschichte zwischen Glaube, Fakten und Legenden. Von Walter Brandmüller. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2007, 222 Seiten, 16,90 Euro

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