VISION 20004/2007
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Wir glauben, weil Gott sich in der Geschichte geoffenbart hat

Artikel drucken Auseinandersetzung mit dem esoterischen Gedankengut des New Age

Im Westen hat sich das Denken verändert: Sei tolerant, jeder, wie er meint. Wer für absolute Wahrheit eintritt, ist suspekt. P. Verlinde, Priester, New-Age-Experte, bekehrter Ex-Jünger des Guru Maharishi setzt sich mit dieser New-Age-Sichtweise auseinander.

Tritt die Esoterik in gewisser Weise die Nachfolge der verschiedenen Religionen an?

P. Joseph-Marie Verlinde: Die Esoterik hat es immer schon abgelehnt, von einer bestimmten Religion vereinnahmt zu werden. Sie behauptet ja, die innere Wahrheit aller Religionen zu kennen und deren letzte Erfüllung zu bewirken, indem sie die Religionen zu ihrer einzigen universellen Quelle zurückführt. (...) Dieser Lehre zufolge waren alle Religionsstifter von derselben ewigen Lehre inspiriert. Zu ihr hätten alle Menschen, die über einen höheren Bewußtseinsstand verfügen, durch Inspiration Zugang. Leider hätten jedoch die weniger inspirierten Gläubigen den Sinn der Worte ihrer Meister nicht verstanden, sondern sie wortwörtlich interpretiert. Dadurch seien Dogmen und religiöse Institutionen entstanden. Aufgabe der Esoterik sei es nun, auf den Zustand zurückzugehen, der vor den Verformungen bestanden habe, also vor das, was die Religionen trennt und in Gegensatz zueinander bringt. Es geht der Esoterik darum, die Urtradition, die reine, ungeschaffene Weisheit wiederzuentdecken, die jene Geister erleuchtet, die sich für ihr Strahlen zu öffnen vermögen. ...

Heißt das also, daß dieser Lehre zufolge, alle Religionen gleichwertig sind und ihre eigentliche Wahrheit erst in der esoterischen Weisheit finden?

P. Verlinde: Genau. Jeder kann auch seinen eigenen “Religionsmix" zusammenstellen, indem er sich der Elemente aus verschiedenen Religionen nach seiner jeweiligen Sichtweise bedient - ohne jedoch den entsprechenden religiösen Institutionen zuzustimmen. Sie würden den spirituellen Fortschritt nur hemmen. Außerdem sei jeder frei, seine religiöse Sichtweise je nach persönlicher Entwicklung und momentanen Bedürfnissen zu ändern. Es gebe eine Unzahl von Wegen und keiner sei dem anderen vorzuziehen, denn alle mündeten in derselben einzigen Quelle. Wichtig sei nur, nicht in die Falle der Institutionen zu tappen, sich nicht von Dogmen einsperren und von moralischen Vorschriften entfremden zu lassen. Die Religionen seien nur Überreste der vergrabenen esoterischen Weisheit, die es aus ihrem religiösen Grab zu befreien gilt.

Beruhen die Religionen nicht auf historischen Ereignissen, die sie unverwechselbar machen?

P. Verlinde: Die esoterische Sichtweise beruht auf der Grundannahme, es gebe keine historische Offenbarung. Wer an der Geschichtlichkeit festhält, tut nichts anderes, als symbolischen Erzählungen einen historischen Anstrich zu geben. Eliphas Leve, eine im Okkultismus nicht zu umgehende Autorität, erklärt in aller Gemütsruhe: “Die Evangelien sind aus der Sicht der Wissenschaft nicht als historisch, sondern nur als Dokumente des Glaubens anzusehen, als Symbol der großen Sehnsüchte der Menschheit. Sie sind die perfekte Legende vom vollkommenen Menschen." Die nicht-christlichen Interpretationen des Christus' der Evangelien haben folgendes gemeinsam: Sie spielen die Bedeutung der historischen Ereignisse herunter. Diese werden nie an sich in Betracht gezogen, sondern immer nur aus der Warte möglicher symbolischer Bedeutung. So muß beispielsweise für David Spangler, dem einflußreichen Vordenker des New Age, “das Kreuz als Symbol der dynamischen Beziehung zwischen Geist und Materie interpretiert werden, zwischen Raum und Zeit. Sie bilden die Grundlage unseres vierdimensionalen planetarischen Universums. Das erlösende Blut muß als lebensspendende Energie des Christus interpretiert werden. Diese ergießt sich reichlich über unsere begrenzte Welt und regt damit zur Entdeckung des immanent Göttlichen an."

Lassen wir es bei dem Zitat: Alles ist Symbol und muß im Licht der unbefragten Prinzipien (Axiome) des Naturalismus gesehen werden, auf dem die erwähnte Urtradition aufbaut.

Wie soll der Christ auf diese Sichtweise reagieren?

P. Verlinde: Indem er sie entschieden zurückweist. Hier geht es um das Zentrum der jüdisch-christlichen Offenbarung. Das bedeutet nicht, daß man die menschlichen Bemühungen aller Kulturen, sich dem Göttlichen zu nähern, verachtet. Aber wenn der “Ganz Andere" aus Seinem Schweigen hervortritt, um unseren tastenden Bemühungen entgegenzukommen, dann ist es notwendig, ganz Ohr zu sein und sich für Ihn zu öffnen. Nun hat sich Gott eben entschieden, sich auf objektive Weise mitten in die Geschichte hinein durch ganz reale Ereignisse zu offenbaren. Diese Offenbarung erreicht ihren Höhepunkt in der Menschwerdung Seines Sohnes, Jesus Christus. Keine Frage: Symbolische Interpretationen können unser Verständnis für dieses Geheimnis bereichern, aber zunächst geht es darum, die Offenbarung so anzunehmen, wie sie stattfand: “Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit." (Joh 1,14) Der Apostel spricht weder von einer Vision, noch von einem Mythos. Er besteht auf der Realität der Menschwerdung, wenn er in seinem 1. Brief schreibt: “Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefaßt haben, das verkünden wir: das Wort des Lebens. Denn das Leben wurde offenbart; wir haben gesehen und bezeugen und verkünden euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns offenbart wurde." (1Joh 1,1f)

Im Gegensatz zum New Age ist das Christentum keine Gnosis; das von Jesus Christus geoffenbarte Heil ist kein Geheimwissen, das man sich durch Einweihung aneignen könnte. Es ist ein menschlich-göttlicher Akt, der in der Geschichte stattfindet, um deren Verlauf radikal zu ändern. Jesus hat tatsächlich Sein Blut für das Heil der Welt vergossen: “Einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite, und sogleich floß Blut und Wasser heraus. Und der, der es gesehen hat, hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr. Und er weiß, daß er Wahres berichtet, damit auch ihr glaubt." (Joh 19, 34f) Die jüdisch-christliche Offenbarung ist wesentlich geschichtlich. Wer die Bedeutung der geschichtlichen Ereignisse herunterspielt, beraubt sie ihrem Wesen. (...)

Behaupten Sie also, das Christentum sei den anderen Religionen - insbesondere den Naturreligionen - überlegen?

P. Verlinde: Als Glaubender könnte ich nur schwer etwas anderes sagen. Der Glaube besteht ja in einer übernatürlichen Erleuchtung. Er läßt jene, die ihn annehmen, erkennen, daß sich Gott in der Heiligen Schrift offenbart. Der Glauben läßt den Gläubigen erkennen, daß Jesus von Nazareth, das Wort Gottes, unsere Menschennatur angenommen hat, um uns Anteil an Seiner göttlichen Natur zu geben. Daher wäre es für einen Christen ganz inkonsequent, dem eigenen Glauben denselben Stellenwert einzuräumen wie menschlichen Lehren - denen übrigens mit Respekt zu begegnen ist. Denn sie sind lebendige Zeugnisse für die Suche nach Gott, die das menschliche Herz bewegt, seitdem es Menschen auf Erden gibt. Der Christ behauptet ja nicht, Autor einer den anderen Traditionen überlegenen religiösen Lehre zu sein. Im Gegenteil, er betont ausdrücklich, daß sein Angebot weder von ihm selbst, noch von irgendeiner menschlichen Tradition stammt, sondern von Gott selbst. Unser einziges Anliegen ist, die Gnadenbotschaft, die wir unverdient vom Vater empfangen haben, mit anderen zu teilen. Eine Botschaft, die Er uns durch den Sohn mitgeteilt und durch den Geist vermittelt hat.

Im Gegensatz zu den oft geäußerten Vorwürfen, empfindet der Christ den anderen gegenüber kein “Überlegenheitsgefühl", als hätte er aus seinem tiefsten Inneren eine Weisheit hervorgebracht, welche die Lehrer anderer Traditionen erblassen lasse. Er tritt einfach nur als Jünger Jesu auf, von Ihm gesandt, um allen die Gute Nachricht, die er selbst empfangen und die sein Leben verändert hat, zu verkünden. Wir müssen auch nicht alle überzeugen: “Mein Auftrag ist nicht, Sie zu überzeugen," sagte die kleine Bernadette Soubirous zu ihrem Pfarrer, “sondern es Ihnen zu sagen."

Und: Ist nicht übrigens jeder Gläubige - welcher Religion auch immer - davon überzeugt, daß die Lehre, der er anhängt, “wahrer" ist als alle anderen? Glaubte er das nämlich nicht, würde er seiner Tradition wohl den Rücken kehren, um sich jener zuzuwenden, der er größere Nähe zur Wahrheit zubilligt. Da die Menschen heute diese Logik durchaus einsehen, wenn es um Anhänger anderer Traditionen geht, fragt man sich: Warum sollten die Christen da eine Ausnahme sein und sich dem Vorwurf aussetzen, sie seien intolerant, fanatisch, wenn sie verkünden, Jesus sei “der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,16)?

Die pluralistische Theologie der Religion meint, daß die Christen im Interesse eines interreligiösen Dialogs auf jeden Überlegenheitsanspruch verzichten sollten. Was halten sie davon?

P. Verlinde: Heute, da sich die Kultur jedes Landes für weltweite Einflüsse geöffnet hat, ist der interreligiöse Dialog eine Notwendigkeit. Allerdings setzt dieser zwei oder mehrere Gesprächspartner voraus, die dieser Bezeichnung auch gerecht werden: also repräsentative Vertreter ihrer jeweiligen Tradition. Klarerweise wird jeder die Fragen aus dem Blickwinkel seines Glauben beurteilen. Daher werden sich die Akzentsetzungen voneinander unterscheiden. Wer diese Unterschiede unter den Tisch fallen läßt unter dem Vorwand, man müsse einen Konsens erreichen, respektiert die Voraussetzungen für den wahren Dialog nicht. Sogar katholische Theologen sind dieser “Versuchung" erlegen. So verlangte etwa P. Raimon Panikkar, daß das Christentum eine stärker “ökumenische" Haltung annehmen und sich passiv öffnen müsse für andere Religionen: “Ökumenismus bedeutet nicht so sehr, daß ich auf andere zugehe, mich für sie interessiere und daß ich ihnen sage, ich sei ihnen gegenüber tolerant, bereit von ihnen zu lernen, uns auf neutralem Boden (...) zu unterhalten. Vielmehr heißt das: Ich empfange sie bei mir, (...) gehe das Risiko ein, daß sie mir Gewalt antun, das heißt, mich ändern. Ich ändere mich, indem ich mich den anderen öffne (...) und wachse über mich hinaus: Das Christentum verzichtet auf sich und ersteht neu, denn verzichten heißt über die bekannte Universalität des Christentums, das Spezifische an der christlichen Botschaft und die Überlegenheit der christlichen Religion hinauszugehen."

Keine Frage, jede menschliche Begegnung sollte zu einer Art Bekehrung führen, inklusive eines gewissen Zurücknehmens der eigenen Person. Keinen Platz hat dabei aber ein Verzicht auf das Evangelium, ganz im Gegenteil: Es geht darum seine Botschaft umzusetzen. Der ökumenische Dialog kann nur auf dem Hintergrund wahrer Liebe gedeihen. Sie setzt den Respekt des Gesprächspartners und die Offenheit für alles, was in dessen Botschaft wahr, gut und aufbauend ist, voraus. Den Maßstab aber, um dies zu unterscheiden, kann ich nur dem eigenen Glauben entnehmen (...). Sobald ich denke, daß die Ansichten meines nicht-christlichen Gesprächspartners in mir Zweifeln am eigenen Glauben wecken könnten, müßte mich mein Gewissen dazu drängen, mich aus dem Dialog zurückzuziehen. Ich wäre ja kein repräsentativer Vertreter des christlichen Glaubens mehr. Das Gespräch fortzusetzen, obwohl ich das Credo der Kirche nicht mehr vertrete, wäre sowohl Verrat am Christentum wie Irreführung meiner nicht-christlichen Gesprächspartner.

P. Panikkar geht sogar noch weiter: Seiner Ansicht nach könne das Christentum in Europa nur überleben, wenn es auf das verzichtet, was es ist, um in einer neuen Form “aufzuerstehen". Das “Spezifische seiner Botschaft" würde da nicht mehr in Erscheinung treten. Das läuft schlicht und einfach auf die Negation des Christlichen hinaus. Um diesen Preis zu “überleben", bedeutet Glaubensabfall verbunden mit Feigheit. Es läuft darauf hinaus, daß man Ehre und Wertschätzung, die vom Menschen kommen, der Treue zu Jesus Christus, der uns durch Sein Blut am Kreuz gerettet hat, vorzieht.

P. Verlinde ist Gründer der Gemeinschaft “Famille de St. Joseph" mit Niederlassungen in Lyon und Nancy. Dieser Text ist ein Auszug aus dem Interview: “Pourquoi répondre au Da Vinci Code?" Siehe: www.finalage.net


Sondernummer Esoterik

Wegen des oft geäußerten Interesses an dem Thema haben wir, wie angekündigt, im Mai eine 16seitige Sonderausgabe von VISION 2000 zum Thema Esoterik herausgebracht. Auflage: 10.000 Stück. Etwa 5.000 davon haben wir schon an Interessenten zur Weitergabe versandt.

Das Heft bietet eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Thema aus christlicher Sicht und mit einigen gängigen Praktiken sowie eine Reihe von Zeugnissen von Menschen, die mit der Esoterik in Berührung kamen und sich davon freimachen konnten.

Wenn Sie Interesse an dem Thema haben, rufen Sie uns an, wir schicken Ihnen gerne Exemplare der Sondernummer zu, insbesondere auch zum Weitergeben und Verteilen. Die Autoren: P. Verlinde, P. Clemens Pilar, A. und C. Gaspari, Rosa Stummer, u.a.

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