VISION 20005/2007
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Du bist Petrus, der Fels

Artikel drucken Biblische Grundlagen des Petrusdienstes, vor allem bei Matthäus (Von Univ.-Prof. Lothar Wehr)

Die Vorrangstellung des Petrus und dessen Nachfolger ist kein Konstrukt feudalen Denkens, sondern wesentlicher Teil der Offenbarung. Welch große Vollmacht dem Petrus von Jesus erteilt wird, zeigen die folgenden Ausführungen.

Markus kommt das Verdienst zu, das Gedächtnis an Petrus bewahrt zu haben. Keine andere Person neben Jesus kommt bei Markus so häufig vor wie Petrus, (...) an ganz entscheidenden Stellen im Wirken Jesu. Gleich am Beginn des öffentlichen Auftretens Jesu, im Anschluß an eine erste Zusammenfassung Seiner Verkündigung berichtet Markus von der Berufung des Petrus. Zusammen mit seinem Bruder Andreas gehört Petrus zu den Erstberufenen. Und Petrus wird da als erster genannt, noch vor seinem Bruder.

Später wird Petrus dann aus der größeren Schar der Jünger in den Zwölfer-Kreis berufen. Und auch da erwähnt Markus den Petrus betont an erster Stelle. Hier erwähnt Markus, daß Petrus der Beiname des Simon ist. Genau in der Mitte des Markus-Evangeliums spricht Petrus das berühmte Bekenntnis stellvertretend für alle Jünger: “Du bist der Messias, Du bist der Christus." Hier wird im Markus-Evangelium zum erstenmal der Christustitel öffentlich ausgesprochen.

Schließlich begegnet uns Petrus noch an einer anderen wichtigen Stelle: Am Ende wird er mit den Osterzeugen eigens hervorgehoben - und zwar namentlich genannt, vor den anderen Jüngern. Den Frauen sagt der Engel am Grab: “Nun aber geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat."

An allen diesen Stellen ist Petrus herausgehoben: Er ist der Erstberufene, der Erstgenannte unter den Zwölfen, er ist der Sprecher der Jünger und am Ende deutet sich auch seine nachösterliche federführende Rolle an. Allerdings wird Petrus, wie die anderen Jünger, im Markus-Evangelium keineswegs durchgehend positiv gezeichnet. Auch im Versagen, in der Glaubensschwäche, in der Feigheit ist Petrus das Beispiel eines Jüngers. (...)

Wenn wir nun auf Matthäus blicken, können wir grundsätzlich sagen: Auch für ihn ist Petrus zum einen das Beispiel eines Jüngers mit Stärken und Schwächen, zum anderen - und das hat Matthäus stärker ausgebaut - eine besondere Autorität in der Kirche. Matthäus hat die Kontraste massiv hervorgehoben: Petrus schwört bei seiner Verleugnung sogar einen Meineid (“Wieder leugnete er und schwor: ich kenne diesen Menschen nicht") - und dann ist die Reue anschließend umso stärker: Petrus “weinte bitterlich", sagt Matthäus.

Matthäus hat die Autorität und die grundlegende Bedeutung des Petrus für die ganze Kirche betont. Das geschieht vor allem durch das berühmte Felsen-Wort, aber auch durch andere Stellen.

(...) Nun zu Matthäus 16: Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger: Für wen halten die Leute den Menschensohn? Sie sagten: Die einen für Johannes, den Täufer, andere für Elija, wieder andere für Jeremia oder sonst einen Propheten. Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Simon Petrus sagte zu ihm: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes! Jesus sagte zu ihm: Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.

Und dann schließt sich noch eine Szene an, in der Petrus wieder etwas negativer gezeichnet wird: Von da an begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären, er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden; er werde getötet werden, aber am dritten Tag auferstehen. Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe; er sagte: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen! Jesus wandte sich um und sagte: Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.

Petrus spricht also zunächst das bedeutende und zutreffende Bekenntnis im Namen aller Jünger. Dies wird von Jesus auch gelobt: Jesus preist Petrus selig. Diese Seligpreisung ist im Neuen Testament etwas ganz Außergewöhnliches, Einmaliges. Nirgends sonst wird ein Jünger seliggepriesen, weil Gott ihm etwas geschenkt hat. Die Seligpreisungen sind sonst an eine besondere Leistung gebunden, oder weil jemandem eine bestimmte Eigenschaft zukommt: Selig die Armen, heißt es in den Seligpreisungen.

Gott hat Petrus Einsicht gegeben in etwas, was den Menschen eigentlich verborgen ist, worauf der Mensch von sich aus nie käme. Hier wurde Offenbarung geschenkt. Wegen dieses gnadenhaften Geschenks wird Petrus selig genannt.

Bemerkenswert ist an dieser Seligpreisung auch, daß Petrus nicht nur wegen seines Christusbekenntnisses seliggepriesen wird, wie es die Einheitsübersetzung nahelegt. Denn dieses “das" (“haben dir das offenbart") steht nicht im Originaltext. Dort ist die Formulierung allgemeiner: “haben dir Offenbarung geschenkt". Petrus ist also allgemein Offenbarung geschenkt worden. Er ist diesbezüglich aus den Jüngern herausgehoben. Auch das macht diese Seligpreisung zu etwas Besonderem. Petrus ist hier Offenbarungsempfänger schlechthin unter den Jüngern.

Im Kontrast dazu steht dann das Ende der Szene. Hier wehrt sich Petrus gegen das Leiden Jesu und muß sich von Jesus eine scharfe Zurechtweisung gefallen lassen. Petrus wird nicht nur Satan genannt, sondern auch ein “Skandalon", das ist etwas, was jemanden zu Fall bringt. Petrus wird hier zum Widersacher und Versucher Jesu, indem er sich gegen dessen Leiden wehrt.

Zwischen diesen Stellen gegensätzlicher Charakterisierung des Petrus steht nun die berühmte Einsetzung zum Fels der Kirche. Zunächst wird dem Simon, wie Petrus eigentlich heißt, der Beiname Petrus übertragen. Daran schließt sich ein griechisches Wortspiel an, das im Deutschen kein Gegenstück hat. Für die Zuweisung des Namen Petrus wird eine Begründung gegeben: Simon heißt jetzt Petrus, weil er die “Petra" , im Griechischen der Fels ist. Petrus ist deswegen der Fels, der Fels “meiner Kirche", sagt Jesus.

Was bedeutet nun diese Felsenfunktion des Petrus? Petrus ist der Grundstein der Kirche, auf ihm ruht die Kirche, auf ihn bleibt sie immer bezogen, sie kann sich nie von ihm lösen. An diesem Stein hat die Kirche ihre Festigkeit, ihren Bestand. Und das Zweite, was gesagt wird: Die Mächte der Unterwelt werden diese Kirche nicht überwältigen. Dahinter steht die Vorstellung, daß dieser Stein, dieser Fels auch die Unterwelt, die Welt der Todesmächte verschließt, sodaß diese Todesmächte die Kirche nicht bedrohen können. Petrus verschließt also die Tore zur Unterwelt. Petrus gibt somit als Fels der Kirche Bestand und Sicherheit.

Mit der Kirche ist natürlich die Gesamtkirche gemeint. Jesus hat nicht mehrere Kirchen gegründet. (...)

Petrus wird nicht nur zum Fels der Kirche eingesetzt, sondern ihm wird auch Schlüsselgewalt übertragen. “Ich werde ihm die Schlüssel des Himmelreiches geben", heißt es. Dieses Wort ist in Verbindung zu sehen mit dem Wehe Jesu gegen die Schriftgelehrten. Da heißt es: Wehe euch ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr verschließt den Menschen das Himmelreich. Ihr selbst geht nicht hinein, aber ihr laßt auch die nicht hinein, die hineingehen wollen. (Mt 23,13)

Die Pharisäer und Schriftgelehrten sind hier Negativgestalten, die sich von der Botschaft Jesu nicht überzeugen lassen. Durch ihren Starrsinn verschließen sie den Menschen das Himmelreich. Petrus hingegen hat die Schlüsselgewalt, um den Menschen das Himmelreich aufzuschließen.

Diese Schlüsselgewalt ist eine, die er auf Erden ausüben soll. “Was du auf Erden binden wirst, wird auch im Himmel gebunden sein." Also eine durchaus irdische Funktion, die Petrus als Apostel ausüben soll. Damit soll er den Menschen den Zugang zum Himmelreich eröffnen. Petrus ist also nicht der Himmelspförtner, den wir aus vielen Witzen kennen.

Was ist mit diesem Binden und lösen gemeint? Binden und Lösen sind rabbinische Begriffe für das Erlauben und Verbieten in Gesetzesfragen: Festzulegen, was nach der Thora, dem Gesetz des Mose, erlaubt und verboten ist; aber auch disziplinarische Maßnahmen können mit binden und lösen bezeichnet werden.

Petrus werden also mit dem Schlüsselbild umfangreiche Vollmachten übertragen. Er entscheidet, was einem Christen erlaubt und verboten ist. Was er in konkreten Entscheidungsfällen tun darf und was nicht.

Hier spiegelt sich die Erfahrung, die wir in unserer Zeit auch kennen, daß das, was Jesus einmal gesagt hat, in die konkrete Lebenspraxis umgesetzt werden muß, daß sich aber nicht alles, was einem an konkreten Problemen im Leben begegnet, direkt aus der Verkündigung Jesu ergibt. Sie muß da vielmehr auf neue Situationen angewandt werden. Wir kennen das, wenn es heute um Fragen der Bioethik geht, um Fragen des Lebensschutzes am Anfang und am Ende des Lebens, Fragen des Umgangs mit Sterbenskranken, Patientenverfügungen... Da finden wir keine direkten Aussagen Jesu. Da geht es darum, daß die Kirche Antworten finden muß, die dem Geist der Verkündigung Jesu entsprechen. Die Botschaft Jesu bedarf einer ständigen Aktualisierung. (...) Diese Aufgabe wird Petrus hier übertragen.

Dieses Problem der Aktualisierung trat schon sehr früh in der Kirche auf. Da ging es darum, ob Heiden in die Kirche aufgenommen werden dürfen oder ob sie zuerst Juden werden, also auf das Gesetz verpflichtet werden müssen, um Fragen des Sabbatgebots, von Ehescheidungen, bei Ehen, in denen der christliche von seinem heidnischen Partner an seiner Glaubensausübung gehindert wird... Für die Beantwortung solcher Fragen mußte es Autoritäten geben. Paulus war es zunächst für seine Gemeinden. Petrus war es, wie wir hier lesen, wohl für die Gemeinde des Matthäus, aber auch für die gesamte Kirche. Auf diese besondere Funktion des Petrus in Lehr-, aber auch in Disziplinarfragen läuft also diese Perikope mit dem Felsenwort hinaus.

Bemerkenswert ist, daß Petrus sehr früh nicht nur im Einflußbereich des Matthäus-Evangeliums, sondern überall, wo Christen sich zusammenfanden, als gesamtkirchliche Autorität akzeptiert wird. Petrus wird schon sehr früh geographisch in der ganzen Kirche als Autorität akzeptiert und auch theologisch in allen Bereichen des Heiden- und des Judenchristentums. Petrus ist eine weit übergreifende, gesamtkirchliche Autorität, während die Autorität des Paulus doch zunächst auf seine Gemeinden beschränkt bleibt, auch die des Jakobus. Das sind mehr lokal begrenzte Autoritäten, während Petrus' Autorität von Anfang an gesamtkirchlich anerkannt wird.

Univ.-Prof. DDr. Lothar Wehr ist Prof. für Neutestamentliche Wissenschaft in Eichstätt, sein Beitrag ein Auszug aus seinem Vortrag: “Der Papst ist Petrus!" am 4. September in Heiligenkreuz im Rahmen des Triduums zur Vorbereitung auf den Papstbesuch.

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