VISION 20007/2007
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Nur Gott macht uns heil

Artikel drucken Die Esoterik nimmt dem Menschen seine eigentliche Größe (Von P. Dr. Clemens Pilar)

Tarotbild: die Hohepriesterin

Spiritualität ist “in" - ohne Zweifel. Ein Aufatmen unter Christen, die befürchtet hatten, der Mensch verliere sich im blanken Materialismus? Ohne Religion kann der Mensch doch nicht leben!

Ich weiß, daß manche so denken. Meine Gefühle aber sind gemischt. Denn in all der “neuen Spiritualität" finde ich wenig Erlösendes. Vieles an der neuen Geistlichkeit erscheint mir, wie der Schritt aus der Gefängniszelle in den Gefängnishof. Nicht mehr. Denn wenn der Materialismus eine Haltung des Machens - der Technik eben - gefördert hat, so lebt diese Haltung in der neuen Spiritualität (die gar nicht so neu ist) fort.

Esoterik und esoterische Spiritualität, so hat man unlängst festgesellt, sei in Europa die am stärksten wachsende “religiöse" Strömung. In Scharen gehen auch Christen in das andere Lager über, meist ohne es zu bemerken. Langsam und schleichend werden die wesentlichen Inhalte des Erlösungsglaubens ersetzt. Die Begriffe bleiben noch dieselben - werden aber anders gedeutet.

Ich habe selber lange geschlafen, habe nicht erkannt, wie geschickt die “Lüge der Schlange" an den Menschen herankommt, ihn einschläfert und verführt. Lange habe ich nicht begriffen, daß der Vater der Lüge, “wenn möglich auch die Auserwählten" von der Wahrheit wegführen will. Doch heute weiß ich, daß er versucht, das höchste, wunderbarste Geheimnis des Glaubens aus den Herzen der Christen zu reißen.

Heute verstehe ich, daß in der Esoterik ein Angriff auf das Allerheiligste stattfindet. Deshalb kann ich nicht mehr lachen, wenn ich sehe, wie im Religionsunterricht Mandalas gemalt werden, in katholischen Bildungshäusern Yoga angeboten wird, und in pfarrlichen Mütterseminaren Kurse über Kinesiologie und Bachblüten abgehalten werden.

Aber ich weiß heute auch mehr als früher, das Wesentlichste unseres Glaubens zu formulieren. In der Auseinandersetzung mit der esoterischen Flut wurde mir überdeutlich, worin der Schatz unseres Glaubens eigentlich besteht.

Heute weiß ich, daß die Lebenskraft nicht die “Vis vitalis" der Paramediziner oder das “Chi" der Taoisten oder das “Prana" der Hinduisten ist. Heute weiß ich, daß die Lebenskraft nicht etwas ist, keine kosmische Energie, die das All erfüllt, sondern jemand, unfaßbar und geheimnisvoll!

So steht es im Johannesevangelium: “Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.... Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt." (Joh 1, 3f.9) Und im Psalm 27,1 heißt es: “Der Herr ist die Kraft meines Lebens" Der Gedanke, daß mein Leben keine Kraft dieser Welt ist, macht mich glücklich.

Ich weiß, daß das Leben mir fortwährend von Gott geschenkt wird. Auch jetzt in diesem Augenblick. Das Wort ist das Licht, das “Lebenslicht", das mich in diesem Augenblick erleuchtet. Ein Kind hat einmal gesagt: “Wenn Gott mich nicht mehr lieben würde, ich würde augenblicklich aufhören zu sein." Gottes Liebe hält mich im Sein. Weil Er jetzt in diesem Augenblick meinen Namen liebend nennt, bin ich!

Ich weiß, daß meine “Lebenskraft" nur zunimmt in dem Maß, in dem ich sie von Gott annehme. Es ist der Akt der Anbetung, der mich erstarken läßt. Wie absurd der Gedanke, Tropfen könnten eine “verstimmte Lebenskraft" korrigieren oder gar heilen! Wie absurd, die Lebenskraft durch Körperübungen aufzunehmen.

Ich habe begriffen, daß der Vater der Lüge unseren Sinn vernebeln möchte für unsere Abhängigkeit von Gott. Er hat das Leben zu einer kosmischen, geschöpflichen Kraft erklärt. Viele Christen haben diese Lüge schon geschluckt. Mir aber sagt die hl. Schrift, daß kein Mensch das Leben fassen und ergreifen kann (vgl. Gen 3,22), sondern, daß es mir von Gott fortwährend geschenkt werden muß.

Jede Rede von Ganzheitlichkeit ist religiöse Rede. Ganz kann ich als Mensch nur mit und in Gott sein. Denn ich bin geschaffen zur Anbetung Gottes, zum ewigen Dialog der Liebe. So sagt ja auch die Heilige Schrift, daß aller Mangel, alle Not dieser Welt, auch die Krankheit und der Tod, Folge der Sünde, der Trennung von Gott ist. Nicht bloß ein gestörtes Schwingungsmuster der Seele (wie absurd!) .

Es ist die logische Folge: Wie man das Leben zu etwas gemacht hat, so hat man heute die Seele zu etwas gemacht. Dann holt man sich für “ganzheitliche Heilung an Leib, Seele und Geist" Information in Tropfenform, oder man löst “Energieblockaden", damit die Seele wieder richtig schwingt. Wie wenige bemerken den teuflischen Zynismus, der in diesem Tun steckt, wie wenige den eklatanten Angriff auf die Menschenwürde!

Nein, ich bin nicht etwas, ich bin jemand. Und Gott allein weiß, wer ich wirklich bin. Und deshalb kann allein Er mich ganz heil machen. Die heilende Information, die meine Seele braucht: Gottes Wort, mit dem Er mich ruft, Sein Wort, in dem Er sagt, daß Er mich liebt.

Man sagt den Menschen heute, der Kosmos sei ein in sich ruhendes Ganzes. Wie ein geschlossener Kreis, in dem sich die Muster immer und immer wiederholen. Ziel des Menschen sei es, dieses Muster in sich selbst zu finden und sich als Teil des Musters im Großen zu erkennen. Mandalas nennt man die Meditationshilfen, die man benützen soll, um sich selber in dieser kosmischen Ganzheit zu finden. Sie überfluten unsere Gesellschaft und - Herr, erbarme Dich! - sie überfluten unseren Religionsunterricht!

Ich aber weiß, daß ich im Kosmos - in der Schöpfung - meine Ganzheit und meine Ruhe nicht finden kann. “Unruhig ist mein Herz, bis es Ruhe findet in Gott," hat der hl. Augustinus gesagt. Das Fundament meines Seins ist nicht die Natur. Ziel meines Strebens ist nicht, den Frieden zu finden durch das Aufgehen in “kosmischer Harmonie".

Sünde nennt man auch “Conversio ad Creaturam", die Hinwendung zur Kreatur, zum Geschöpflichen. Wer im Geschaffenen den Frieden sucht, wird an innerer Leere verbrennen. Denn allein das Kreuz Christi erlöst uns aus unserer Verfallenheit an die Natur und die Geschöpfe. Aber das Erlöserkreuz stört die Rundheit des Mandalas! Denn es sagt mir: Ich brauche jemanden, der mir die Arme entgegenstreckt und mich aus dem Sumpf zieht! Nicht meine ruhmvolle Erkenntnis, sondern der schmachvolle Sühnetod des Erlösers, der sich in Liebe an mich verschenkt, führt mich zum Frieden.

Vom Menschen sagt man heute, daß er Abbild des Kosmos sei. Alles spiegle sich in allem wieder. Wie im Großen so auch im Kleinen, wie oben so auch unten. Ich aber weiß, daß ich kein Abbild des Kosmos bin. Vielmehr ist der Mensch geschaffen als Abbild und Gleichnis Gottes (vgl. Gen 1, 26). Und Gott überragt diesen Kosmos unendlich. Und da Gott diesen überragt, überragt auch der Mensch den Kosmos.

Allein im Blick auf den transzendenten Gott kann ich verstehen, wer ich bin. Allein im Blick auf das Urbild, kann ich auch das Abbild begreifen. Nicht in der Meditation kosmischer Muster finde ich meine Identität, sondern im Hören auf die Stimme Gottes, die mir sagt: Ich liebe Dich!

Liebe brauche ich, um leben zu können. Unter einem Blick der Liebe muß ich sein, damit ich wachsen und blühen kann, einem Blick, in dem ich lesen kann, daß ich angenommen bin, so wie ich bin. Einen Blick, der wie die Sonne ist, voll Wärme und Licht.

An dieser Liebe mangelt es so vielen. So viele Kinder entbehren dieser Grundnahrung ihrer Existenz. Aber anstatt sich der eigentlichen Not zu stellen, sagt man den Kindern, sie funktionieren noch nicht ganz richtig! Die Hirnhälften seien nicht koordiniert. Kinder, die nichts mehr brauchen, als Liebe, Zuwendung, Akzeptanz und Verständnis, will man “reparieren", indem man sie Achterschleifen in die Luft zeichnen und Bewegungsübungen machen läßt. Mir laufen eiskalte Schauer über den Rücken!

Lange könnte ich die Liste fortsetzen. Ich weiß heute, daß die neue Spiritualität nicht zu einer tieferen Geistigkeit führt. Im Gegenteil: Die tiefste Quelle der Freude und der Geistlichkeit wird verschüttet. Die Beziehung zu jemandem, der mich liebt, zu Gott, der mich geschaffen hat, und von dem ich abhänge, wird schleichend untergraben. Viele Christen sind den Verführermächten schon auf den Leim gegangen. Manche mehr, manche weniger. Viele schlafen noch, während der Dieb schon eingebrochen ist, um das Wertvollste und Herrlichste aus ihren Herzen zu reißen: die innige Beziehung zu Gott, dem Vater.

Wenn ihr doch wüßtet, was Gott gibt...! Ich weiß, daß meine Gedanken unpopulär, nicht zeitgemäß sind. Ich sage sie nicht, um jemanden zu verurteilen. Ich sage es, weil ich weiß daß es jemanden gibt, der jeden Menschen unendlich liebt und unendlich beschenken möchte. Ich weiß, daß es dieser Jemand, Gott der Vater, ist, den jeder Mensch braucht, um leben zu können, um heil zu werden, um die Fülle zu finden und den Frieden. Diese Fülle kann kein Mensch erzeugen, keiner durch sein “Know How" erlangen. Sie wird geschenkt, von einem Gott, der reine Barmherzigkeit ist. Gott gibt Leben, Er gibt Fülle. Er schenkt sich selber! Das allein ist das Heil des Menschen: Gott lieben zu dürfen in Ewigkeit.

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