VISION 20003/2008
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Vergebung entwaffnet jeden Feind

Artikel drucken Wer vergibt unterscheidet zwischen der Person und deren Sünde (Von Kardinal Audrys J. Backis)

Jene, die durch Gottes Barmherzigkeit wiedergeboren sind, müssen selbst diese Barmherzigkeit verbreiten! Wir sind die lebendigen Steine, die Christus einlädt, ein geistiges Haus zu erbauen, ein Haus voller Liebe und Barmherzigkeit.

Das ist nicht allein die Berufung der Priester und Ordensleute, sondern Ihr alle seid zu diesem Dienst berufen: in der Familie, den Gemeinschaften, der Universität oder den Schulen, den Institutionen oder der Politik - egal, wo wir hingestellt sind. Alle, die wir von Gottes Vergebung berührt wurden, wir müssen diese Geste der Barmherzigkeit jenen, denen wir begegnen, zuteil werden lassen.

“In alle Ewigkeit werde ich Gottes Barmherzigkeit preisen" - so singen wir in den Hymnen. Aber wie sollen wir die Barmherzigkeit Gottes loben? Durch unser Leben! Nicht mit schönen Worten, sondern mit konkreten Taten, wie es der Apostel Paulus lehrt: “Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!" (Kol 3,13)

Wenn wir dem, der uns gekränkt hat, vergeben, so ist es, als ob wir sagten: Deine Würde ist weitaus größer als Dein Fehler. Wenn wir vergeben, reißen wir die Mauern nieder, die zwischen Familienmitgliedern, zwischen Nachbarn, Arbeitskollegen und Völkern bestehen. Die Vergebung ist der Angelpunkt des Friedens. Sie entwaffnet Feinde, weil man gegen die Vergebung nicht ankämpfen kann - man kann sie nur annehmen oder ablehnen. Daher ermutigt die Heilige Schrift uns mit den Worten von Paulus: “Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat." (Eph 4,32)

Vielleicht habt Ihr schon vor einigen Jahren von Christian, einem Trappisten aus Tibhérine in Algerien gehört, der geahnt hatte, daß er ermordet werden würde und in seinem Testament folgendes an seinen künftigen Henker geschrieben hatte:

“Und auch Du bist eingeschlossen, Freund meines letzten Augenblicks, der Du nicht weißt, was Du tust! Ja, auch für Dich will ich diesen Dank und dieses A-Dieu, das Du beabsichtigt hast. Daß es uns geschenkt sei, uns als glückliche Schächer im Paradies wiederzusehen, wenn es Gott, dem Vater von uns beiden, gefällt."

Erinnern wir uns auch an unseren geliebten Papst Johannes Paul II., der nach dem Attentat, als er außergewöhnlich großes Leiden zu ertragen hatte, in sich die Kraft fand, ins Gefängnis zu seinem “Mörder" zu gehen, um ihm zu vergeben.

Wenn wir vergeben wollen, müssen wir vor allem zwischen der Person und der Sünde unterscheiden. Nur so können wir den anderen mit barmherzigen Augen ansehen und für ihn beten. “Vater vergib ihm/ihr, denn er/sie weiß nicht, was er/sie tut." Das ist der Umstieg von der menschlichen Gerechtigkeit, die auf Angriff mit Angriff antwortet, zur göttlichen, die auf Angriff mit Barmherzigkeit und Opfer reagiert. Um so leben zu können, bedarf es allerdings der Hilfe Gottes. Da müssen wir den Herrn Tag für Tag bitten: “Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern."

Die Kraft zu vergeben kommt von Gott, aber die Entscheidung dazu muß in unserem Inneren wachsen. Die Vergebung ist ein Geschenk Gottes. Wir können nur demütig um Seine barmherzige Liebe bitten, die sich mittels der Vergebung, die wir unserem Bruder schenken, in unsere Herzen senkt. Unser Wunsch zu vergeben ebnet dem Heiligen Geist den Weg, der die “Agape" schenkt - die Liebe, die sogar den Feind umfaßt. Die Frucht der Vergebung ist die Freude, die nicht nur der empfindet, dem verziehen wird, sondern auch jener der verzeiht.

Wir Christen sind aufgerufen, das Böse mit dem Guten zu besiegen. Der heilige Apostel Petrus ruft uns auf: “Seid alle eines Sinnes, voll Mitgefühl und brüderlicher Liebe, seid barmherzig und demütig! Vergeltet nicht Böses mit Bösem noch Kränkung mit Kränkung! Statt dessen segnet; denn ihr seid dazu berufen, Segen zu erlangen." (1Petr 3,8f)

Das ist die Evangelisation der göttlichen Barmherzigkeit, die die Kirche uns anvertraut hat.

Der Autor ist Erzbischof von Vilnius, sein Beitrag ein Auszug aus seinem Vortrag gehalten am 3.4.08 in der Chiesa della Natività in Rom.

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