VISION 20003/2008
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Teilen, was die Vernunft eingibt

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Die Amerikaner haben immer die Möglichkeit geschätzt, Gott frei und in Übereinstimmung mit ihrem Gewissen anzubeten. Alexis de Tocqueville, der französische Historiker und Beobachter der amerikanischen Angelegenheiten, war von diesem Aspekt dieser Nation fasziniert. Er bemerkte, daß dies ein Land sei, in dem Religion und Freiheit “auf das Innerste miteinander verknüpft" sind, wenn es darum geht, zu einer dauerhaften Demokratie beizutragen, die die sozialen Werte und die Teilnahme aller Bürger am Leben der Gemeinde stärkt.

Im Stadtgebiet ist es üblich, daß Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen und Religionen täglich miteinander in Kontakt treten: bei Geschäften, im sozialen Leben und im Bildungsbereich. Heute sitzen in den Klassenräumen im ganzen Land junge Christen, Juden, Muslime, Hindus, Buddhisten und somit wirklich Kinder aller Religionen nebeneinander, um miteinander und von einander zu lernen.

Diese Vielfalt bringt neue Herausforderungen mit sich, was einen tieferen Nachdenkprozeß über die Grundprinzipien der demokratischen Gesellschaft auslöst. Mögen andere eure Erfahrungen beherzigen und erkennen, daß eine geeinte Gesellschaft wirklich aus einer Pluralität von Völkern hervorgehen kann - “ex pluribus unum; aus vielen, eine" -, vorausgesetzt, daß alle die religiöse Freiheit als ein grundlegendes Bürgerrecht anerkennen.

Die Aufgabe, den religiösen Frieden hochzuhalten, ist nie vollendet. Neue Situationen und Herausforderungen laden Bürger und Führer dazu ein, darüber nachzudenken, wie ihre Entscheidungen dieses grundlegende Menschenrecht respektieren. Der Schutz der Religionsfreiheit innerhalb der Rechtsstaatlichkeit ist kein Garant dafür, daß Völker - insbesondere Minderheiten - von ungerechten Formen der Diskriminierung und des Vorurteils verschont werden. Das verlangt den ununterbrochenen Einsatz aller Mitglieder der Gesellschaft - um dafür zu sorgen, daß den Bürger die Gelegenheit gegeben wird, Gott friedfertig anzubeten und ihr religiöses Erbe an ihre Kinder weiterzugeben.

Die Weitergabe der religiösen Traditionen an die kommenden Generationen hilft nicht nur, ein Erbe zu bewahren; sie erhält und nährt am heutigen Tag zudem die Kultur, die sie umgibt. Dasselbe gilt für den Dialog zwischen den Religionen: Beide - sowohl die Beteiligten, als auch die Gesellschaft - werden bereichert. Wenn wir im gegenseitigen Verständnis wachsen, erkennen wir, daß wir miteinander den Respekt vor ethischen Werten teilen, die von der menschlichen Vernunft erkannt werden können und von allen Menschen guten Willens geschätzt werden. Die Welt bettelt um ein gemeinsames Zeugnis für diese Werte.

Deshalb lade ich alle religiösen Menschen ein, Dialog nicht nur als Mittel zur Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses zu begreifen, sondern auch als Weg, um der Gesellschaft insgesamt zu dienen. Wenn die religiösen Gruppen von diesen moralischen Wahrheiten Zeugnis geben, die sie mit allen Männern und Frauen guten Willens gemein haben, werden sie einen positiven Einfluß auf die breitere Kultur ausüben und ihre Nachbarn, Arbeitskollegen und Mitbürgern dafür begeistern, sich an der Aufgabe zu beteiligen, die Bande der Solidarität zu festigen. Mit Worten von Präsident Franklin Delano Roosevelt: “Nichts Großartigeres kann unserem Land heute passieren als ein Wiederaufleben des Glaubensgeistes."

Ansprache vor den Hirten und Führern der großen Religionen am 17.4.08 in Washington DC

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