VISION 20001/2009
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Blickt nicht zurück, geht voran!

Artikel drucken Ein Appell, Gott ins öffentliche Gespräch zu bringen (Von Christof Gaspari)

Unbehaglich ist es geworden. Selbstverständliches: daß Geld auf der Bank sicher ist, Erträge abwirft, daß man mit einer auskömmlichen Pension rechnen kann, daß Geld halbwegs seinen Wert behält erscheint heute fragwürdig.

Der Finanzsektor, von dem viele die längste Zeit kaum Notiz nahmen, bestenfalls hörten, daß die Aktienkurse laufend neue Rekordhöhen erreichten, steckt in einer tiefen Krise. Kein Mensch weiß, welche Abgründe sich noch auftun werden, die Experten lassen erkennen, daß auch sie ratlos sind und die Politiker haben alle Hände voll damit zu tun, den kleinen Mann zu beruhigen. Billionen Euros aus öffentlichen Haushalten sollen den Zusammenbruch des Systems verhindern helfen.

Keine Sorge, ich habe jetzt nicht die Absicht, Sie, liebe Leser, mit Finanzmarktfragen zu beschäftigen. Auch die langsam um sich greifende Wirtschaftskrise -- 2009 soll bekanntlich ein Jahr der Rezession, also des Rückgangs der wirtschaftlichen Leistung werden - soll heute nicht mein Thema sein. Wohl aber möchte ich Sie einladen, der Frage nachzugehen: Funktioniert das System einfach nur vorübergehend schlecht? Oder gibt es nicht tiefere, geistige Wurzeln für die derzeit beobachteten Probleme?

Daß unser Wirtschaftssystem leistungsfähig ist, hat es in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg zur Genüge bewiesen. Freies Unternehmertum, Bemühungen um eine halbwegs gerechte Verteilung der Einkommen, Öffnung der Grenzen für den Warenverkehr, technische Neuerungen haben zu einem nie dagewesenen materiellen Wohlstand geführt.

Wenn all das sinnvolle Instrumente der Wirtschaftspolitik sind - warum dann die Krisen? Denn Krisen treten immer dann auf, wenn sich Konstellationen ergeben, die mit den realen Gegebenheiten nicht im Einklang stehen. Warum also die Friktionen?

Ein wesentlicher Grund liegt in der Eigendynamik, die unser Wirtschaftssystem in der pluralistischen Gesellschaft Europas in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Was bedeutet das, pluralistische Gesellschaft? Es handelt sich um eine Form menschlichen Zusammenlebens, die jedem einzelnen zubilligt, Fragen nach dem Sinn des Lebens nach eigenem Ermessen zu beantworten. Anders gesagt. Jeder gibt seinem Leben selbst Sinn, entwickelt sein eigenes Wertesystem, entscheidet selbst über Gut und Böse. So weit, so gut.

Problematisch wird die Sache, weil jene Instanzen, die unser Zusammenleben durch Spielregeln (Gesetze, Verordnungen, usw...) steuern, verhalten sich in Sinnfragen sich ebenfalls weltanschaulich neutral gebärden, ein Image übrigens das einer näheren Prüfung nicht standhält. Ich behaupte nämlich, daß wir - trotz des vielgerühmten Pluralismus in weltanschaulichen Fragen - ein Wertesystem haben, das uns und unser Verhalten, unsere Art zu denken und die Welt zu sehen, stark prägt. Es wird meist nicht ausgesprochen artikuliert. Wir folgen ihm mehr oder weniger bewußt, mit mehr oder weniger schlechtem Gewissen, mit mehr oder weniger Enthusiasmus.

Bevor ich nun inhaltlich über dieses Wertesystem spreche, bin ich Ihnen eine Definition dieses Begriffs schuldig. Das Wertesystem einer Gesellschaft ist die Summe jener selbstverständlichen Leitsätze, die das Zusammenleben der Menschen, ihr gemeinsames Tun regeln. Jede Gesellschaft braucht ein solches Wertesystem Es ist der Kitt, der die Menschen zusammenhält, der aus vielen einzelnen eine handlungsfähige Gemeinschaft macht. Geordnetes menschliches Tun und ein halbwegs friedliches Zusammenleben erfordert einen Grundkonsens über den Sinn des menschliches Lebens.

Worauf einigt man sich nun in der pluralistischen Gesellschaft? Was ist ihr Kitt? Sie begnügt sich mit dem scheinbar Offenkundigen: der Mensch habe nun einmal Bedürfnisse (nach Essen, Wohnen, Unterhaltung, Bildung, Kleidung, Ortsveränderung...). So sei es als gesellschaftliches Ziel ausreichend, diese Bedürfnisse maximal zu befriedigen. Auf dieser Ebene läßt sich scheinbar ein allgemeiner Konsens erzielen. Diesem Ziel lassen sich die gemeinsamen Anstrengungen unterordnen. Was darüber hinausgeht, meint man in den privaten Bereich abschieben zu können.

Diese Option ist nicht neutral. Sie führt zu einem krassen Materialismus, führt dazu, daß Produzieren und Konsumieren zum obersten gesellschaftlichen Ziel wird. Die Versorgung mit Gütern ist nicht mehr nur ein Aspekt eines größeren Lebensentwurfs, sondern wird zum Lebensinhalt schlechthin. Das Wirtschaften wird entgrenzt, Produzieren und Konsumieren gelten als in sich gut, egal, was es ist und mit welchem Aufwand es geschieht. Wie tief verwurzelt diese Sichtweise heute ist, wird deutlich an den Bemühungen, in der jetzigen Krise nur ja den Konsum anzukurbeln (“Gott sei Dank, das Weihnachtsgeschäft in Österreich war ok!"). Viel zu konsumieren, ist zur Bürgertugend geworden.

Daher auch die große Bedeutung der Werbung. Denn wo der Bedarf gedeckt zu sein scheint, müssen neue Bedürfnisse geweckt werden, neue Konsumbereiche erschlossen, neue verbesserte Produkte die noch funktionsfähigen älteren ersetzen. Das falsche Menschenbild von der Unersättlichkeit des Menschen wird auf diese Weise künstlich am Leben erhalten.

Wir haben es somit mit einer Vergötzung des Wirtschaftens zu tun - und damit auch der Instrumente, welche die Wirtschaft bisher erfolgreich gemacht haben.

Auch hier wieder: die Instrumente an sich sind nicht schlecht. In ihrem überzogenen Einsatz wenden sie sich aber gegen den Menschen. Dazu gehören u.a. die Internationalisierung (Öffnen der Grenzen), die Spezialisierung (vertieftes Wissen und Können in Einzelbereichen), die Rationalisierung (Organisation nach vernunftbestimmten Kriterien), die Mechanisierung (Übertragung von Leistungen an Apparate), die Digitalisierung (Aufbereitung von Information zur elektronischer Verarbeitung)...

Nicht die Instrumente an sich sind das Problem, sondern die Überzeugung, nur durch Forcierung dieses Instrumentariums könne Wirtschaft erfolgreich sein. Vor dieser Art von Vergötzung warnen die päpstlichen Enzykliken: keine Vergötzung des Marktes, keine Vergötzung der Demokratie... (Seite 6-7)

Und damit kommen wir zu einer wichtigen Feststellung: Das Wirtschaftsgeschehen folgt nicht ehernen Gesetzen, wie wir sie aus den Naturwissenschaften kennen. Während der letzten Jahrzehnte versuchte man zwar, das dieses Geschehen mit mathematischen Modellen zu erfassen und damit vorhersehbar zu machen. Gerade in Krisenzeiten aber zeigt sich, daß die Bemühungen ziemlich illusorisch sind.

Die Organisation und die Funktionsweise der Wirtschaft ist nun einmal Ergebnis menschlicher Entscheidungen. Sie wird von Wertentscheidungen gesteuert. Fragen wie: Welchen Stellenwert räumen wir dem Straßen-, welchen dem öffentlichen Verkehr ein? Für welche Produkte öffnen wir die Grenzen zu welchen Ländern? Lassen wir Konkurrenz zwischen Krankenkassen, Ärzten oder Apotheken zu? Sollen Post und öffentliche Verkehrsmittel privatisiert werden? - All das sind Fragen, deren Beantwortung aufgrund von Wertentscheidungen erfolgen - und nicht aufgrund naturgesetzähnlicher Notwendigkeit. Wir hätten grundsätzlich die Freiheit, diese Fragen nach eigenem Gutdünken zu entscheiden. Dieser Freiheit begeben wir uns erst, wenn wir als oberstes Ziel gemeinsamer Aktivitäten einen Spitzenplatz im internationalen, wirtschaftlichen Wettrennen festschreiben.

Die jetzige Krise wäre eine Gelegenheit, die Existenz der vielen Freiräume wahrzunehmen, die Frage nach dem tiefen Sinn all unseres Bemühens ins Gespräch zu bringen und viele Weichen neu zu stellen. Es ist ja unübersehbar: Selbst im Bereich der Wirtschaft, auf den sich seit Jahrzehnten alles konzentriert, stoßen wir an Grenzen, die das Überleben des Systems gefährden. Übrigens nicht zum ersten Mal. Das Jahr 2002 war ein Vorgeschmack auf das jetzige Geschehen.

In diesem Zusammenhang sei noch folgende Frage gestellt: Warum geht gerade diese Krise so an die Substanz? Weil sie unser behagliches materielles Leben im reichen Westen infrage stellt. Solange wir in Saus und Braus (jedenfalls im Vergleich zu den Generationen vor uns) lebten, gelang es einem Großteil von uns mehr oder weniger gut, über die Katastrophen, die uns ja seit langem begleiten, hinwegzusehen.

Einige seien in Erinnerung gerufen, nur um klarzumachen, daß schon längst Anlaß zu tiefgreifender Erneuerung gegeben wäre: Da ist die unfaßbare systematische Tötung von Millionen ungeborener Kinder (Ergebnis von Nützlichkeitsüberlegungen, ob sie in unser Leben passen oder nicht), die wachsende Bereitschaft, schwer leidende Alte zu “entsorgen", das Elend der mißbrauchten, verlassenen Kinder, jener aus geschiedenen Ehen, die Überforderung der alleinerziehenden Mütter, die Alarmsignale aus der Umwelt: Zunahme der Stürme, verschmutzte Meere, Klimaerwärmung, Voranschreiten der Wüsten, dann das himmelschreiende Elend in der Dritten Welt (3 Milliarden Menschen lebten 2004 mit weniger als zwei, eine Milliarde mit weniger als einem Euro pro Tag, während die reichsten 1% der Menschheit über 40% des weltweiten Vermögens verfügen)...

All das sind nicht nur Fehlleistungen eines Systems, die wir demnächst beseitigen könnten. Es ist die Folge von falsch gesetzten Prioritäten, die sich aus irrigen Vorstellungen vom erfüllten Leben in unseren Breiten ergeben. Hier muß angesetzt werden. Davon hängt alles ab.

“Duc in altum", fahrt hinaus auf den See, hat uns Papst Johannes Paul II. als Auftrag mit ins neue Jahrtausend mitgegeben. Verkündet Jesus Christus! Entwickelt einen “neuen Dynamismus", blickt nicht zurück! Es geht um eine Generalmobilmachung der Christen.

Ein erster Schritt sollte das Brechen des Tabus sein, daß der Glaube reine Privatsache sei und nichts mit dem wirklichen Leben, dem öffentlichen, dem wirtschaftlichen, dem universitären zu tun habe. Die Überzeugung, daß Jesus Christus Herr der Geschichte ist und im Leben wirkt, muß zunächst natürlich uns selbst prägen, damit wir anderen davon erzählen können. Aber wenn Gott wirklich mit uns ist, so kann dieseinfach keine Privatsache bleiben!

Also mehr Mut! Aus allem, was wir aus der Offenbarung wissen, ist klar, daß in schwierigen Situationen stets alles von der Glaubenserneuerung abhing. Diese Wahrheit gilt auch hier und heute. Das ist kein frommer Spruch, sondern die ganz reale Voraussetzung für eine gedeihliche Zukunft - heute, wie schon immer.

Natürlich, niemand Patentlösungen für die anstehenden Probleme. Aber eines wissen wir: Aus der höheren Sicht des Glaubens an die reale Allmacht Gottes läßt sich alles, was uns und allen Experten als unabänderlicher Sachzwang erscheint, aufbrechen. Daher ist es so wichtig, für unsere Eliten zu beten, für die Bekehrung der Politiker, der Wissenschafter und Manager. Gerade sie brauchen eine neue Perspektive, um ihr Wissen und ihre Macht lebensträchtig einzusetzen.

Die Richtung unserer Bemühungen ist somit vorgegeben. Beim Weltjugendtreffen in Australien hat Papst Benedikt die Jugend aufgerufen: “Gestärkt durch den Geist und gestützt auf die Weitsicht des Glaubens, ist eine neue Generation von Christen dazu berufen, zum Aufbau einer Welt beizutragen, in der das Leben angenommen, geachtet und geliebt und nicht abgelehnt, wie eine Bedrohung gefürchtet und zerstört wird. Eine neue Zeit, in der die Liebe nicht gierig und selbstsüchtig, sondern rein, treu und wahrhaft frei, offen für andere und voll Achtung für ihre Würde ist, ihr Wohl sucht und Freude und Schönheit ausstrahlt. Eine neue Zeit, in der die Hoffnung uns von der Oberflächlichkeit, der Lustlosigkeit und der Ichbezogenheit befreit, die unsere Seele absterben lassen und das Netz der menschlichen Beziehungen vergiften. Liebe junge Freunde, der Herr bittet Euch, Propheten dieser neuen Zeit zu sein, Boten seiner Liebe, die die Menschen zum Vater hinziehen und eine Zukunft der Hoffnung für die ganze Menschheit aufbauen."

Christof Gaspari


Gründe für die Krise der weltweiten Finanzmärkte

Die Wiener Zeitung zählt in ihrer Ausgabe vom 3. Jänner 34 Gründe für die Finanzkrise auf. Im folgenden ein Überblick über einige der angeführten Punkte:

* Zu viel Geld im Umlauf, viel mehr als dem Realvermögen entspräche. Vor allem die USA druckten zu viel Geld, um die Konjunktur zu Beginn des Jahrtausends anzukurbeln und die enorm teuren Kriege in Afghanistan und im Irak zu finanzieren.

* Leichtfertige Vergabe von Hypothekarkrediten an nicht zahlungskräftige Bürger und weit überbewerte US-Immobilien.

* Die Sonderstellung der USA als Leitwährungsland gestattet dem Land über seine Verhältnisse zu leben.

* Ein verlorenes Risikobewußtsein: das Grundprinzip jeder Veranlagung, daß hoher Ertrag hohes Risiko bedeutet, wurde unverständlicherweise übersehen.

* Die Rating-Agenturen (sie beurteilen die Sicherheit von Geldanlagen) haben versagt und die Anleger auf's Eis geführt.

* Versagt haben auch die Finanzmarktaufseher, deren Aufgabe es ist, die Banken wirksam zu kontrollieren.

* Zu wenig Eigenkapital bei den Banken. Dadurch sind sie nicht krisenfest.

* Auch Europas Staaten machten bei sinkendem Wachstum große Defizite, um die Wirtschaft anzukurbeln, ohne in der Hochkonjunktur Rücklagen zu bilden. Fast überall steigen die Staatsschulden. Alles lebt über die Verhältnisse.

* Blütezeit der Spekulation, an der sich auch öffentliche Haushalte, Industrieunternehmen beteiligten. Die Spekulation trieb wichtige Preise (insbes. den Ölpreis) in schwindelnde Höhen.

* Kurzfristiges Denken beherrscht weite Kreise des Managements, nicht zuletzt wegen der erfolgsabhängigen Entlohnung der Manager (hohe Jahresgewinne = hohes Einkommen. Dieser Umstand fördert eine Mentalität des “Hinter mir die Sintflut".

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