VISION 20001/2009
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Das Wirtschaften: eine Tugend

Artikel drucken Ein Begriff im Wandel der Zeiten

Im Wirtschaften das Um und Auf menschlicher Aktivität zu sehen, ist eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Es ist an der Zeit, sich auf die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs zu besinnen.

Der Begriff “Ökonomie" bezeichnet im allgemeinen alle Austauschbeziehungen zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Der Ökonom einer Gemeinschaft managt deren materielle Angelegenheiten. Man vergißt nur allzu leicht, daß der Begriff ökonomisch zunächst gedanklich mit genügsam und einfach in Verbindung steht.

Wirtschaftlich zu handeln, ist eine Tugend. Erst der Überfluß und die Wachstumstheorien haben uns die Sicht auf diese Tatsache verstellt. Außerdem stachelt die Werbung unsere Begierde an und orientiert unsere Vorstellungen vom Lebensglück auf den Konsum hin.

Vor dem Industriezeitalter war Werbung verboten: Der Handwerker mußte auf den Kunden warten, durfte ihn nicht anlocken. Diese Regelung trifft immer noch auf Notare und Ärzte zu, die mit der Qualität der von ihnen erbrachten Leistung konkurrieren. Die Ideologie des materiellen Wachstums ist bestrebt, Bedürfnisse zu wecken, denen für das eigentliche Lebensziel, das geistige Wachstum, keine vorrangige Bedeutung zukommt.

Georges Bernanos hat das realistisch beschrieben: “Paris-Marseille in einer Viertelstunde, wirklich toll! Eure Söhne und Töchter mögen zugrunde gehen - dennoch wird es die große Herausforderung bleiben: Euer Fleisch mit Lichtgeschwindigkeit zu befördern. Wovor lauft ihr Dummköpfe denn davon? Wovor ihr flüchtet, das seid leider ihr selbst."

Durch Umkehrung der Werte hat sich das Materielle an die Stelle des Geistigen gesetzt, ohne daß wir es recht merkten. Man begnügt sich nicht mehr mit dem, was man sinnvoller Weise braucht, sondern will den Überfluß genießen, um jeden Preis über Komfort verfügen. Eine Innovation folgt der nächsten. Milliarden werden aufgewendet, um auf dem Mars zu gelangen, während Milliarden von Menschen an Hunger sterben.

Zwei gegensätzliche Strömungen treffen da aufeinander: Die eine schlachtet unsere Gelüste, unsere Begierde, unseren Hang zum Konsum aus. Sie ist die Folge der evolutionistischen Sicht der Menschheitsgeschichte, deren Endziel das Industriezeitalter sei. Diese Sichtweise liegt sowohl dem Liberalismus wie auch dem Sozialismus, deren gemeinsamer Nenner der Materialismus ist, zugrunde. Beide unterscheiden sich nur durch die Mittel, dieses Ziel zu erreichen.

Die andere Strömung beruht auf der Hierarchie der Werte, die einem berühmten Satz des heiligen Ignatius, folgendermaßen lautet: Die materiellen Werte nutzen, so viel man davon braucht, aber nie mehr, als man davon braucht. Das Gebet der Komplet erinnert daran: Seid nüchtern und wachsam.

Generationen hindurch wurde im Geist der Genügsamkeit erzogen: Man wirft nichts weg, man repariert, man flickt. Das Brot, selbst das harte, war heilig. Speisereste bekamen die Tiere, die wenigen Abfälle landeten auf dem Kompost im Garten. Bedürfnisse wurden durch örtliche Versorgung befriedigt, was den Aufwand für Verpackung, Transporte und Konservierung minimierte. Frische, rohe Milch vom Bauern kam auf den Tisch. Man sparte mit Rohmaterial. Man nahm sich Zeit, begnügte sich mit dem, was man hatte. Man wirtschaftete sorgsam.

Diese Gewohnheiten wurden durch die industrielle Zivilisation weggefegt. Heute wird alles zum Wegwerfgut. Bedingt durch die Verstädterung erfordert das teure Wiederaufbereitung, Wasserkläranlagen, ein unvorstellbares Schlamassel.

Der Sachzwang wird uns dazu bringen, das Wirtschaften wiederzuentdecken. Es ist nämlich nicht so sehr eine Wissenschaft als vielmehr eine Tugend und eine Kunst.

Benjamin Guillemaind
Auszug aus “L'Homme Nouveau" v. 20.12.08

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