VISION 20001/2009
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Glaubensverkündigung hinter Gefängnismauern

Artikel drucken Wenn Häftlinge wöchentlich zum Gebet für die Anstalt zusammenkommen (Horst Reeh)

“5 vor 11" - eine interessante Vortragsreihe der Hochschule in Heiligenkreuz. Am 25. November stand ein Bericht über die missionarische Tätigkeit in der Strafanstalt Hirtenberg am Programm, den ich mir nicht entgehen lassen wollte, vor allem da ich Andreas Hornig, Pfarrer in Oberwaltersdorf, der die Arbeit leitet, sehr schätze. Und ich wurde nicht enttäuscht: Es gab eindrucksvolle Zeugnisse über das Wirken Gottes hinter Gefängnismauern - hier in Österreich, also gleich nebenan. Aber lesen Sie selbst... CG

Wir erleben die Nähe Gottes

Geht es Ihnen auch so? Sie lesen Zeitung, verfolgen die Fernsehnachrichten - und sind hinterher allzu oft deprimiert. Deprimiert angesichts der Not und des Elends in weiten Teilen der Welt. Erschütternde Berichte, die uns tagtäglich erreichen. Christliche Nächstenliebe und aktive Menschlichkeit können die Not nicht beseitigen, wohl aber lindern. Auch wir arbeiten in einem absoluten Tabubereich und deswegen sprechen wir diese Realität und Problematik “Menschen hinter Gittern" auch an...

Mich führte ein Anruf ins Gefängnis: Es war der Hilferuf eines Insassen namens Johann an einen Pfarrer. Dieser fragte wiederum mich, ob ich Interesse hätte, ins Gefängnis zu gehen, um dort zu helfen - und ich sagte ja.

Das war im Jahr 2000. Damals begann ich mit der Gefängnisarbeit in der Justizanstalt Hirtenberg mit Erlaubnis des Anstaltsseelsorgers Andreas Hornig und der zuständigen Anstaltsleitung.

Hier sieht man die Macht und die Auswirkung eines Wortes: Ja - oder nein. Hätte Pfarrer Hornig statt einem Ja ein Nein gegeben, hätten inzwischen ca. 800 Insassen des Gefängnisses weder einen Glaubenskurs (den Alpha-Kurs), noch die Bibelschule absolvieren können!

Wie fing alles an? Wir haben mit Bibelrunden begonnen, einmal pro Monat hatten wir einen Gastsprecher, einmal eine Frage-Antwort-Stunde, einmal Lobpreis und Anbetung und einmal zeigten wir christliche Filme.

2002 beschlossen wir, Alpha-Kurse, also Kurse, die in den Glauben einführen, in unser Gefängnisprogramm aufzunehmen. Im März 2003 war es dann soweit: Im deutschsprachigen Raum wurde der erste Alpha-Kurs im Gefängnis abgehalten. Der Erfolg war wirklich erstaunlich, sodaß wir beschlossen, dieses Instrument weiter in unserer Gefängnisarbeit einzusetzen. So läuft inszwischen in Hirtenberg bereits der 12. Gefängnis Alpha-Kurs. Und insgesamt haben wir in verschiedenen Gefängnissen bereits 20 solche Kurse abgehalten. Diese Kurse eröffnen für die Verkündigung im Gefängnis besondere Möglichkeiten, im Glauben zu wachsen: Zunächst erleben die Insassen den Kurs als Teilnehmer, die in die Schönheit des Glaubens an den Dreifaltigen Gott eingeführt werden. In einem weiteren Kurs können sie schon als Kleingruppenleiter und später sogar als Referenten mitwirken.

Stellvertretend sei das Zeugnis von Paulus (Name geändert) angeführt: Er war ein Kindersoldat in Liberia. Als er etwa 13 Jahre alt war, wurde er in der Schule verhaftet, mußte dann sieben Jahre als Kindersoldat dienen. Er wurde dabei psychisch und physisch arg mißhandelt und mußte entsetzliche Greueltaten miterleben. Es verschlug ihn dann nach Österreich, wurde straffällig und verurteilt. Noch heute leidet er unter Schlafstörungen, Angstzuständen, Kopfschmerzen, Alpträumen, wiederholendes Erleben des Traumas... Lange Zeit hat er Drogen genommen, um den Schmerz zu vergessen - ist davon allerdings mittlerweile losgekommen. Er hat am ersten Alpha-Kurs teilgenommen, wurde dann als Kleingruppenleiter und später als Referent eingesetzt. Mit Gottes Hilfe hat er sein Leben neu gestaltet. Er machte auch die Bibelschule, unterrichtete dann dort und evangelisierte im Gefängnis so erfolgreich, daß er uns ca. 100 Insassen zuführte. Jetzt möchte er Theologie studieren.

Die Menschen in der Anstalt sind teilweise ohne jegliche Unterstützung von draußen. Bei unseren Angeboten aber haben sie Gott erkannt. Derzeit betreuen wir in Hirtenberg 57 Häftlinge wöchentlich. Das sind 12 Prozent der Insassen der Justizanstalt. In Hirtenberg gibt es mittlerweile fünf Abteilungen, in welchen pro Tag zwei Stunden lang die Zellentüren offen bleiben.

Hier haben die Insassen begonnen, sich in Gruppen zum Gebet zu treffen, und zwar spezifisch für die Anstalt, die Anliegen der Betreuer und natürlich auch für die persönlichen Anliegen der Insassen. In jeder Abteilung kommt also die Belegschaft an zwei Tagen pro Woche zum Gebet zusammen. So wird an jedem einzelnen Tag Gott bestürmt und eingeladen, mit uns zu sein und uns beim Aufbau unseres Dienstes zu helfen. Weiters haben wir begonnen, an jedem Mittwoch bei Brot und Wasser zu fasten.

Ich denke, daß diese wunderbare Arbeit von “Gesprengte Ketten" (siehe Kasten) jedem einzelnen von uns sehr viel bringt. Ich darf sagen, daß sie in mir eine innere Wandlung hervorgerufen hat. All das, was wir hier machen - nicht nur das Beten, Singen, Diskutieren - läßt uns die Nähe zu Gott fühlbarer erfahren. Zumindest erlebe ich es so!

Ich freue mich schon jede Woche auf die nächste Alpha-Runde und Bibelschule. Es ist wie gutes Essen, man bekommt es nicht täglich, aber zweimal pro Woche. Ich finde, daß viel mehr Leute, nicht nur hier im Gefängnis, sondern auch draußen in der Welt, diese Nähe zu Gott suchen sollten.

Jedenfalls finde ich es sehr wichtig, daß die Gefängnisevangelisation weitergeführt wird. Vielleicht gibt es dann eines Tages mehr Menschen, die beten, als solche, die Verbrechen begehen. Dieser Gefängnisdienst ist wichtig, wichtiger als vieles andere in unserer Welt.

Das Ermutigende an unserer Gefängnisarbeit ist, daß Kardinal Christoph Schönborn, der Anstaltsseelsorger, die Anstaltsleitung, die Beamten und der Soziale Dienst hinter uns stehen und daß jene Häftlinge, die uns bildlich gesprochen am Anfang angespuckt und verhöhnt haben, jetzt unsere Aushängeschilder und unsere Befürworter sind.

Horst Reeh

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