VISION 20001/2009
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Schritt für Schritt ohne das Ziel vor Augen

Artikel drucken In Medjugorje einen “Schock der Wahrheit" erlebt

Von zwei Ereignissen einer höchst bemerkenswerten Pilgerfahrt nach Medjugorje möchte ich berichten; nicht zur Selbstdarstellung, sondern als Zeugnis für Geschehenes, Unspektakuläres - und doch Wunderbares.

Eine Fahrt nach Medjugorje war für mich stets auf die eine oder andere Weise eine Herausforderung. Meine letzte Begegnung mit dem Leben in diesem Gnadenort lag bis vergangenen September schon etliche Jahre zurück; bei der letzten Reise gab's da eine höchst unerfreuliche Situation, die mich ein Wiederkommen bis jetzt scheuen ließ. Bis jetzt.

Vielleicht mußte sich in meinem Leben erst wieder einmal alles so richtig “spießen", daß ich den Gedanken, nach Medjugorje zu fahren, ernsthaft überlegen konnte. Nein, das war's eigentlich auch nicht, “gespießt" hatte es sich auch schon früher - und trotzdem vermied ich peinlichst den Gedanken, vielleicht doch wieder hinzufahren.

Es war eigentlich ganz anders. Meine Frau Christa hatte die Idee, fragte mich, was ich denn dazu sagen würde, wenn wir, ob wir nicht, vielleicht sollten wir, “... es wäre doch schön, wieder einmal nach Medjugorje zu fahren". Merkwürdigerweise sagte ich “ja", oder genauer: “von mir aus".

Aber, einmal angemeldet, ging's los: Innerlich bäumte sich alles dagegen auf, ich wollte nicht ... oder doch? Technische Schwierigkeiten, bedingt durch unser abgelegenes Wohnen, ungeklärte Fragen, zurückgelassene Verpflichtungen, alles Mögliche kam hoch, stemmte sich dagegen.

Aber das soll ja ganz normal sein - sagte man mir.

Letztlich saßen wir dann doch im Bus, anfangs ganz froh, wieder einmal Gemeinschaft erleben zu können. Das allerdings verflüchtigte sich mit der Dauer der Fahrt. Körperliche Beschwerden im Gefolge einer nicht allzu lang zurückliegenden Operation schoben sich in den Vordergrund, das lange Sitzen wurde beinahe zur Qual, und die Anfechtungen - nur als solche kann ich die immer wieder kommenden Erinnerungen bezeichnen - kamen ungefiltert wieder.

Endlich angekommen hatte ich auch schon genug. Gereizt und durch Schmerzen verkrampft wollte ich niemanden mehr sehen. Nur mehr schlafen.

Der nächste Morgen war nicht viel besser, trotzdem wollte ich mich irgendwie nicht von der Gemeinschaft ausschließen, die - rosenkranzbetend - auf den Erscheinungsberg wollte. Zwar sah ich keine Chance, den Aufstieg selber auch zu bewältigen, aber wenigstens ein, vielleicht zwei “Gesätzchen weit" wollte ich es versuchen.

Glücklicherweise hatte Christa einen Stock mitgenommen, der, nach anfänglichem Zögern angenommen, mir eine echte Hilfe wurde. Irgendwie, schrecklich mühsam, fand ich mich dann doch beim Kreuz, beim Ort der Erscheinungen wieder, etwas überraschend für mich selbst.

Völlig außer Atem bemerkte ich P. Lier, der, abseits sitzend, mit seiner österreichischen Fahne sich kennzeichnend, zwar keinen Beichtstuhl (sondern eine Beichtstelle) anbot, jedoch gleichsam einen Gegenpol zum Kreuz darstellte: Hier das Zeichen der Erlösung, das Kreuz, dort der Priester des Heilandes, der den Weg zur Erlösung durch die Beichte weisen wollte und konnte.

Von meinem inneren Chaos beinahe getrieben, stolperte ich zu ihm, und beinahe verzweifelt schmiß ich den in mir tobenden Unfrieden hin. P. Liers Güte und die Klarheit seiner Worte rückten zurecht, gaben Hoffnung - für niemanden, der ihn kennt, überraschend, und doch immer wieder ein Ereignis der besonderen Art.

Die bitter notwendige Absolution war dann der Auftakt zu völlig neuer Sichtweise, zum - noch zögerlichen - Beginn inneren Friedens.

Den nächsten Tag hatte die Gruppe dem Kreuzberg gewidmet. Da ich von den Schwierigkeiten des Weges auf den Erscheinungsberg noch recht gezeichnet war, sah ich keine Möglichkeit, mich anzuschließen; die Gefahr, ein echtes Problem zu werden, war einfach zu groß, obwohl ich wirklich gerne den Kreuzweg mitgegangen wäre.

Trotz der vernunftgebotenen Resignation ließ mich der Kreuzberg nicht los, und am darauffolgenden Tag versuchten Christa und ich, wenigsten ein Stück weit, vielleicht bis zur 3. Station, den Kreuzweg zu gehen.

Bei der 3. Station war dann tatsächlich Schluß. Christa gab mir zwar ein Schmerzmittel, das aber - wenn überhaupt - mindestens eine Stunde benötigt hätte, bevor auch nur eine geringe Wirkung zu bemerken gewesen wäre. Also kehrten wir um, die Vernunft gebot und ich gehorchte.

Schon im Begriff, wieder den Berg hinunterzusteigen, drehte ich mich wieder um, wollte noch eine Station gehen. Ich war so betroffen, daß ich wieder aufgeben mußte, daß es so sinnlos schien, den wirklich gewünschten Kreuzweg weiterzugehen. Während dieses Weges zur 4. Station war mein Gebet nur ein Vaterunser, begleitet nur von schwer bedrückenden Gedanken, nur ein Stück für Stück, Schritt für Schritt sich weiter raufen. Anders kann ich das nicht sagen. Und immer wieder der Gedanke: Sinnlos, aufgeben - und der Gegengedanke: Wieder aufgeben?

Wie, das läßt sich von mir nicht klar rekonstruieren, aber irgendwie kam ich bis zur 13. Station. Erst dort begann ich die Möglichkeit, vielleicht doch bis zum Kreuz zu gelangen, als realistisch zu begreifen. Nicht früher; wirklich nicht früher.

Schweißgebadet, völlig fertig, bis zuletzt stolpernd, war ich dann beim Kreuz.

Auf diesem Weg lernte ich einiges. Vielleicht war das auch der tiefere Sinn dieses “Kampfes um den Kreuzberg": Es sind die ganz kleinen Schritte, die man gehen soll, die kleinen Wegstrecken des Heute, die - oft nur mit größter Mühe - nicht aufgegeben werden sollten. Sinn? Sieht man doch meist nicht oder nur schwer, vage. Können? Wenn's richtig dick kommt im Leben - kann man da noch viel tun? Was überhaupt kann man denn, wenn sich's wirklich spießt? Die Schmerzen, die jeder von uns im Laufe seines Lebens zu tragen hat, ob seelisch oder körperlich, sie sind so gänzlich unvermeidlich, wenn man sich auf den Kreuzweg, den Kreuzberg des Lebens, einläßt.

Aber da ist jemand, der das sieht, der den Weg kennt, seine Mühen und - vor allem - das Ziel. Uns wird vielleicht erst recht spät, sozusagen bei der 13. Station, das Ziel bewußt, seine mögliche Erreichbarkeit. Aber da ist jemand, der uns bei all unserer Stolperei auch den Stock, die Stütze gibt: den Schock der Wahrheit in der Beichte, wie das P. Lier bei der Heimfahrt so treffend formuliert hatte.

Der Schock der Wahrheit. Daß es gilt, scheinbar wider alle Vernunft weiter zu stolpern, nicht aufzugeben. Daß es gilt, dem Bösen, der uns so leicht mutlos macht, keinen Raum zu geben; und wenn es doch passiert (und es wird ja wohl immer wieder passieren - von Station zu Station des eigenen Lebens), daß die Mutlosigkeit, das Schmerzliche, die menschliche “Vernunft" überhand zu nehmen droht, dann möge der Weg zur Beichte, zum “Schock der Wahrheit" über uns selbst, niemals zu weit für uns sein.

Wolfgang Stadler

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