VISION 20001/2010
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Europas Staatsdoktrin: die Gottlosigkeit

Artikel drucken Über die Weltanschauung der europäischen Gemeinschaftsorgane

Ein Blick auf den Globus genügt, um zu erkennen, daß Europa nicht aus geographischen Gründen als eigener Kontinent in Erscheinung tritt. Eigentlich ist es der westliche Ausläufer der asiatischen Landmasse, durch Bergketten, Flüsse und Meere fein gegliedert. Was kennzeichnet dann diesen Erdteil?
Was Europa zum Kontinent macht, erkennt man auf einer Religionslandkarte: Es ist jener Raum, der seit mehr als 1.000 Jahren, zum Teil seit 2.000 Jahren von der Botschaft Christi geprägt ist. Diese Tatsache macht seine Identität aus.
Dieses prägende Merkmal wird allerdings heute verdrängt, ja geleugnet. Die Debatten rund um den Gottesbezug in der EU-Verfassung machten endgültig deutlich, daß die Neukonstruktion Europas nicht auf dem Fundament des Christentums stattfinden sollte. Ja, sie beruft sich nicht einmal auf Gott, den Schöpfer, also auf eine höhere Instanz als es der Mensch ist. Basis der Neukonstruktion bilden die Menschenrechte. 54 Artikel enthält die Charta der Grundrechte der EU (Amtsblatt v. 18.12.2000).
Was kennzeichnet nun dieses Fundament? Es ist eine menschliche Satzung, die abgeändert werden kann. Die 1950 beschlossene Konvention zum Schutz der Menschenrechte des Europarats hat bis 2002 insgesamt 13 Zusätze erhalten. Sie ist also kein wirklich festes Fundament, wie es die zeitlos gültige Offenbarung Gottes im Neuen Testament darstellt, sondern eine in die Verfügungsmacht der weltlichen Autorität, der Staatengemeinschaft bzw. der Staaten, gegebene Richtschnur.
Die Staatengemeinschaft teilt dem Bürger Rechte zu. Sie ist oberste Instanz, bestimmt, was Recht ist, ohne Bezug zu einem übergeordneten Prinzip, wie es die Offenbarungsreligionen kennen. Für diese ist das Wort Gottes maßgebend. Menschliche Satzungen müssen mit ihm in Einklang stehen - auch wenn sie nicht wortgetreu aus den geoffenbarten Texten abgeleitet sind. Kurzum: Im Hintergrund der Rechtsordnung stand im christlichen Europa das christliche Menschenbild. Dieses diente als Referenz für die Rechtsordnung.
Nunmehr stehen wir aber am Ende einer Entwicklung, die mit der Französischen Revolution eingesetzt und in den totalitären Systemen des Nationalsozialismus und des Kommunismus schon einmal Höhepunkte erreicht hat, nunmehr aber auf demokratischem Weg ebenfalls zur Richtschnur geworden ist: Oberste Instanz sind menschliche Normen. Heute sind es die von der Staatengemeinschaft festgelegten Menschenrechte, die nunmehr den Glaubens- und Religionsgemeinschaften den Rahmen für deren Aktivitäten abstecken. Keiner Religion wird ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Religiöse Neutralität ist angesagt.
Bemerkenswert in dieser Hinsicht ist die Entschließung des Europarates vom 29. Juni 2007. Ein wichtiges Dokument, weil der Europarat sich ja als Wächter über die Menschenrechte versteht.
Auffallend ist, daß nirgends in der Entschließung die christliche Prägung Europas erwähnt wird. Festgehalten wird nur, die Religionen seien wichtig, „weil es historisch eine Tatsache ist, daß bestimmte Religionen jahrhundertelang gegenwärtig gewesen waren und Europas Geschichte beeinflußt haben.“ (Nr. 1) Kein Bezug zum Christentum, keiner zur Gegenwart.
Hervorgehoben wird der rein private Charakter der Religion, und zwar, „daß jedermanns Religion, inklusive der Option, sich zu keinem Glauben zu bekennen, eine ausschließlich private Angelegenheit darstellt.“ (Nr. 4) Damit wird die Öffentlichkeitswirksamkeit von Religion auf Lobbyismus beschränkt, eine Art Interessenvertretung wie jede andere. Und außerdem wird Glaube und Unglaube auf dieselbe Stufe gestellt. Ja mehr noch: Durch diese scheinbare Neutralität in Sachen Weltanschauung wird de facto die Glaubens- und Gottlosigkeit in allem, was öffentlich zu entscheiden ist, etabliert. Der Glaube verliert seinen öffentlichkeitswirksamen Charakter. Eine Umkehr hat sich vollzogen: Nicht mehr der Staat richtet sich nach Wegweisungen eines sinngebenden Glaubens, sondern der Glaube wird vor das Tribunal des Staates gestellt.
Dieser schreibt vor, was in Sachen Religion zu geschehen hat. So heißt es etwa in der Europaratsentschließung: „Selbst Länder, in denen eine Religion vorherrscht, sind verpflichtet, die Ursprünge aller Religionen zu unterrichten.“ (Nr. 14)
Oder bezüglich der Religionsfreiheit: „ Diese Freiheit ist allerdings nicht unbegrenzt: Eine Religion, deren Lehre oder Praxis unvereinbar mit anderen Grundrechten ist, wäre nicht akzeptabel.“ (Nr. 16) Und: „Auch dürfen die Staaten nicht die Verbreitung religiöser Grundsätze gestatten, die im Falle ihrer Umsetzung Menschenrechte verletzen würden. Bestehen diesbezüglich Zweifel, müssen die Staaten von den religiösen Führern unzweideutige Stellungnahmen betreffend den Vorrang der Menschenrechte gegenüber religiösen Prinzipien, wie dies die Europäischen Menschenrechtskonvention vorsieht, verlangen.“ (Nr. 17)
Das klingt zunächst einleuchtend, öffnet tatsächlich aber massiven Eingriffen in die Lehre und Praxis der Kirche Tür und Tor. Man denke nur daran, daß Art. 17 der EU-Menschenrechtscharta festschreibt: „Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, (…), der Religion oder der Weltanschauung, (…) oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.“
In welche Richtung das gehen kann, wurde kürzlich in Großbritannien deutlich. Da schrieb der tschechische EU-Kommissar für „Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit“, Vladimir Spidla, in einem Brief folgendes an die englische Regierung: Großbritannien müsse seine Gesetze abschaffen, die aus religiösen Gewissensgründen Ausnahmen vom Prinzip der Nicht-Diskriminierung zulassen (siehe S. 30). Im Klartext: Die Kirche dürfe sich beispielsweise nicht weigern, Homosexuelle anzustellen oder Kinderpatenschaften für homosexuelle Paare zu vermitteln.
Und wohin der Zug gehen wird, läßt sich noch aus Nr. 24.2 der erwähnten Resolution erkennen. Darin wird aufgerufen, „schrittweise jene Elemente aus der Gesetzgebung zu entfernen - wenn dies der Wille der Menschen ist -, die voraussichtlich vom Standpunkt des demokratischen, religiösen Pluralismus diskriminierend sein könnten.“
Damit ist das neue Dogma formuliert: der Säkularismus, der ohne Gottesbezug die Gesellschaft nach sozialen, politischen, wirtschaftlichen Zweckmäßigkeiten managt und sich als eigene Weltanschauung etabliert - mehr oder weniger unbemerkt. Denn die religiösen Feste blieben erhalten, der Religionsunterricht, die Fronleichnamsprozession…
Aber auf gesellschaftlicher Ebene fand stillschweigend eine Revolution statt: Seit Jahrzehnten regelt eine ins Kraut schießende Gesetzgebung mehr und mehr Lebensbereiche mit detaillierten Vorschriften: wann und wie lang geparkt werden darf, welche Hygienemaßstäbe in Gastgewerbeküchen eingehalten werden müssen, was auf Nahrungsmittelverpackungen angegeben sein muß… Internationale Vereinbarungen, EU-Richtlinien, Gesetze, Verordnungen, Bescheide, all das greift regulierend in das Leben der Bürger ein.
Vielfach handelt es sich um das pragmatische Regulieren von routinemäßig ablaufenden Lebensvollzügen mit wenig weltanschaulichem Bezug. Und trotzdem: Allein die Tatsache, daß wir uns einem Lebensstil unterwerfen, der eine solche Flut von Regulierungen erforderlich macht, ist Ausdruck einer unausgesprochenen Wertentscheidung. Das mag zunächst erstaunen, weil es uns so selbstverständlich geworden ist. Blickt man aber näher hin, so wird deutlich, daß wir es hier mit den Folgen der Entscheidung für ein Leben zu tun haben, das im Hier und Heute seine Erfüllung sucht: lustbetont, konsumorientiert, auf materiellen Wohlstand, auf Freiheit von persönlichen Bindungen ausgerichtet.
Unbemerkt hat sich Europa dem Säkularismus und damit einem dezidiert gottlosen Menschenbild verschrieben, das hinter den Entwicklungen steht, die heute als weitgehend selbstverständlich angesehen werden.
Auf diesem geistigen Hintergrund versteht man gut, warum der Menschenrechtsgerichtshof des Europarates einstimmig für das Abhängen der Kruzifixe gestimmt hat.

Christof Gaspari

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