VISION 20002/2010
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Größte Intimität und tiefste Andersartigkeit

Artikel drucken Die Unterschiede der Geschlechter

Je grundlegender eine Wahrheit ist, umso schwieriger ist es, sie zu rechtfertigen. Die Grundprinzipien lassen sich nicht beweisen. Man müßte dazu auf noch tiefere Grundsätze zurückgreifen, was ein Widerspruch in sich ist. Genau da liegen die Schwierigkeiten der heutigen Debatten: Man soll das beweisen, was bisher als selbstverständlich galt ... Worauf soll man sich da stützen? Ich denke, man kann jene Grunderfahrung heranziehen, die jede Frau, jeder Mann machen, quasi einen "transzendenten Hausverstand", der von der erlebten Erfahrung ausgeht.

Da müssen wir wieder über den Leib sprechen. Wir wissen, daß die Haut der Frau anders als die des Mannes ist, daß das weibliche Lächeln sich vom männlichen unterscheidet, ebenso wie die männliche Stimme von der weiblichen, daß die Reaktion der Mutter anders ist als die des Vaters. Hier spricht also die spürbare Erfahrung, wo die Ideologie in die Irre geht.

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Der Geschlechtsunterschied betrifft das ganze menschliche Wesen. Allerdings gibt es Bereiche, in denen er besonders deutlich wird. Zwei dieser Bereiche sind herauszuheben: die sexuelle Begegnung und die Elternschaft. Gerade da aber setzt heute die Infragestellung an. Was immer man auch sonst über Homosexualität denken mag: zwischen Mann und Frau spielt sich etwas ab, was es anderswo nicht gibt. Nur hier gibt es sexuelle Ergänzung im engeren Sinn des Wortes. Es gibt ein männliche Art von Lusterfahrung, die anders ist als die weibliche. Gleiches gilt für die Elternschaft: In der Zeugung findet die Geschlechtsdifferenz ihre deutlichste und am wenigsten anzuzweifelnde Ausprägung. Sie ist das Fundament der Unterschiede. Wie schon Aristoteles sagt: Muttersein bedeutet, in sich hervorbringen; Vatersein heißt, in einem anderen Leib zu zeugen. Hier haben wir es mit einer Unterscheidung zu tun, die sich nicht beseitigen läßt. Denn alle technischen Umwege werden nie die körperliche Erfahrung ersetzen können - auch wenn sich die heute vorherrschende Ideologie genau darum bemüht.

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Die Frau ist für den Mann die große Unbekannte. Freud bezeichnete sie als "schwarzen Kontinent" und Gleiches gilt wohl umgekehrt. Wenn ich als Mann auf eine Frau zugehe oder als Frau auf einen Mann, so bewege ich mich auf Unbekanntes zu, nicht nur auf ein andersartiges, sondern auf das andere Geschlecht. Halten wir da etwas inne. Es reicht nicht zu sagen, das weibliche Geschlecht sei anders als das des Mannes. Der Begriff der Ungleichheit reicht da nicht. Schließlich gibt es ja Unterschiede zwischen allen Menschen. Die sexuelle Differenz ist jedoch nicht eine unter vielen. Hier haben wir es mit etwas anderem zu tun als mit Charakter-, Temperaments- oder kulturellen Unterschieden. Bei der Sexualität reicht die Unterschiedlichkeit tiefer. Die Frau hat nicht nur ein anderes Geschlecht als ich, sondern ist das andere Geschlecht. Es ist das entgegengesetzte Geschlecht, das mir gegenübersteht, das Geschlecht, das nicht meines ist, das ich nicht bin. Es handelt sich also um einen Unterschied, der Ausdruck einer Andersartigkeit ist. Zu ihr führt der weiteste und schwierigste, übrigens nie zu Ende gegangene Weg. Und daher ist die Ehe auch eine lebenslange Berufung. Das ist ja das Wunderbare an der Ehe, daß die größte Intimität in der tiefsten Andersartigkeit geschenkt wird. Da bekommt der Begriff vom "Bund" seine tiefste Bedeutung.

Xavier Lacroix

Der Autor ist Philosoph und Moraltheologe an der Uni Lyon. Seine Aussagen sind einem Interview in "Famille Chrétienne" v. 28.10.2006 entnommen.

 

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