VISION 20002/2010
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Jetzt hilft nur noch beten!

Artikel drucken Gedanken über die Erfahrung tiefer Not

Allgemein beten Menschen besonders in höchster Not: beim Blitzeinschlag in nächster Nähe und dem "erschütternden" Donner anschließend, der den ganzen Körper mitdröhnen läßt; beim Verschüttetwerden durch eine donnernde und atemberaubende Lawine, die uns schon nahe an den zu erwartenden Tod brachte; beim lebendig Begrabenwerden durch ein Erdbeben in Erwartung des kommenden nächsten Stoßes, beim fortgeschleudert Werden durch eine riesige unerwartete Flutwelle bei einem Tsunami in Erwartung der nächsten; meistens also wenn man hilflos den Naturgewalten ausgesetzt ist.

Warum beten fast alle Menschen unabhängig von ihrer religiösen Überzeugung und Gewohnheit und Erziehung in solchen Situationen? Ist dies menschlich, vielleicht sogar spezifisch menschlich? Beten Tiere? Worin besteht das Beten in diesen Nöten?

Dazu einige Gesichtspunkte:

Der Mensch erfährt sich in solchen Situationen als das, was er eigentlich, in seinem Selbst ist: als von sich aus Hilfloser, als einer, der vieles unverdient erhielt. Zutiefst in seinem Inneren erlebt er sich als Abhängiger. Als Machtloser ruft er zu dem, von dem er spürt, daß er "Zuständiger" ist. Das erahnt, erhofft, "weiß" er existenziell. Die Ontologie, das Wissen um das Sein, bricht durch. Der in Not Geratene erlebt dies. Er erlebt ziemlich genau wie, wer und was er ist. Aus dieser erlebten, erfahrenen und durchschaubaren Einsicht wird klar: "Hier hilft nur noch beten." Aus meiner Sicht ist das eine Chance für eine menschliche Grunderfahrung: So bin ich eigentlich. Wenn Not beten lehrt, ist Not dann eine Gelegenheit, richtig Mensch zu werden? Noch eine Denkhilfe: Was geschieht, wenn einer dann davongekommen ist? Erzählt er dann, was er getan hat? Daß er nur noch beten konnte? Dazu noch einige Gedanken: Naturgewalten helfen uns dabei, eigentlich zu werden. Sie zeigen auf undiskutierbare Art, wer wir sind. Daraus folgt für mich: Beten ist, sich so zu positionieren, wie wir sind; uns so zu fühlen, zu denekn, ganz so zu sein, wie Gott uns will - genau so wie Er uns will. Dann sind wir "richtig" nach Seinem Willen. So wären wir in der Lage zu beten, eben uns Ihm mit unserem eigenen Sein, unserer von Ihm geschenkten Eigentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Und das wäre auch, Ihm das "zurückzugeben", was Er uns vorher schon gegeben hat - durch und durch.

So sehe ich das Beten. Das ist nicht nur Anbetung. Unsere Eigentlichkeit, unsere Situation, jetzt einfach ganz, in der Tiefe ganz auch mit Bitt-, Dank-, Bußgebet usw., wie es sich konkret ergibt, nie ohne die Welt, nie ohne den Nächsten, nie ohne Leid, nie ohne Freude und Liebe, nie ohne Hoffnung und Glaube.

Josef Bättig

Der Autor ist Arzt für Innere Medizin in Muttenz/Schweiz.

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