VISION 20002/2010
« zum Inhalt Portrait

Die selige Marie-Alphonsine

Artikel drucken Botschaft an uns (Von Karl-Heinz Fleckenstein)

 

Marie Alphonsine Danil Ghattas mit dem Taufnamen Soultaneh Maria, was soviel wie „Maria Königin“ bedeutet, erblickte am 4. Oktober 1843 in Jerusalem das Licht der Welt. Schon als Kind trug sie den Wunsch im Herzen, ihr Leben total in den Dienst Gottes zu stellen. 14jährig klopft sie dann an die Klosterpforte der Schwestern vom heiligen Josef und wird tatsächlich als jüngste Postulantin angenommen. Ihren endgültigen Entschluß bekräftigt sie 1862 als 19jährige mit den ewigen Gelübden. In der katholischen Pfarrgemeinde von Betlehem durfte sie nun Kinder und junge Menschen mit den Wahrheiten des Katechismus vertraut machen. Gleichzeitig gründete sie dort Gebetsgruppen und förderte mit Begeisterung die Liebe zum Rosenkranzgebet. In der Tat hatte sie eine ganz spezielle Beziehung zu Maria.
In mehreren Visionen erschien ihr die Mutter Jesu. Einmal hörte sie, tief versunken im Gebet, eine Stimme: „Soultaneh, wach auf. Jemand wartet auf dich!“ Sie öffnete die Augen und sah Maria neben sich sitzen. „Ich möchte, daß du eine Ordensgemeinschaft mit dem Namen Rosenkranzschwestern gründest.“ Sie sollte sich besonders der Armen und Bedürftigen annehmen. Alphonsine war damals 37 Jahre alt und erschrak über diese Einladung. Als jedoch Maria in weiteren Visionen ihre Bitte wiederholte, wußte Alphonsine, daß sie nicht einer Selbsttäuschung zum Opfer gefallen war.
Ein Priester aus Nazaret, Yousef Tannous, erkannte, daß hier Gott Seine Hand im Spiel hatte. So machte er der Schwester Mut: „Sie haben ein gütiges Herz. Sie sind die Richtige für eine solche Aufgabe“. Er half ihr auch, am 24. Juli 1880 in Betlehem ein bescheidenes Haus für die ersten fünf Postulantinnen zu mieten. Dort brachten sie armen Mädchen das Nähen und Sticken bei, die so ihr tägliches Brot mit eigenen Händen verdienen konnten.
Nach und nach vergrößerte sich die Kommunität. Sr. Alphonsine blieb jedoch weiterhin in ihrer liebevollen schweigenden Art im Hintergrund. Während ihres irdischen Lebens ist sie nie als Ordensgründerin in Erscheinung getreten. Sie wollte nur eine einfache Mitschwester der anderen sein. Offiziell fungierte Abuna Joseph Tannous Yamine als Verantwortlicher der Gemeinschaft. Am 7. März 1885 erlebte Sr. Alphonsine einen Höhepunkt ihres Lebens: In Gegenwart des Lateinischen Patriarchen Vincent Bracco durfte sie mit acht Mitschwestern die feierlichen Ordensgelübde ablegen.
Im Juli 1885 wurde Mutter Marie Alphonsine mit einer Mitschwester in die Gemeinde von Jaffia in Galiläa versetzt. Die kleine Schwesterngemeinschaft sollte dem Ortspfarrer für pastorale Aufgaben zur Seite stehen.
Es geschah am 14. April 1886. Die Bauarbeiten am Schwesternhaus waren abgeschlossen. Mutter Marie Alphonsine und ihre Mitschwestern begannen, die Zimmer zu schrubben. Zum Glück gab es im Untergeschoß eine große Zisterne. Dort hatte man in der Regenzeit das Wasser gesammelt. Einige Mädchen  schöpften unter der Aufsicht von Sr. Catherine das Aufwaschwasser. Auf einmal schnappte die 12?jährige Nusseira nach einem Eimer, verlor das Gleichgewicht und fiel – schwupp – in das eiskalte, bis zum Rand gefüllte acht Meter tief gelegene Wasserbecken.
Nun riefen alle aus Leibeskräften um Hilfe. Die Sturmglocke wurde geläutet. In Sekundeneile war der ganze Ort auf den Beinen in Richtung Unglücksstelle. „Helft meinem Kind“, schrie die Mutter den passiv dastehenden Männern ins Gesicht.
Doch niemand wagte es hinabzutauchen. Endlich kam jemand mit einem Seil. Einer der Männer beugte sich über den Zisternenrand. In diesem Moment tauchte das Kind wild strampelnd an die Oberfläche. „Halte dich fest“, rief er Nusseira zu. Doch diese verließen die Kräfte. Wie bewußtlos sank sie in die Tiefe der Zisterne zurück. Die Eltern des Mädchens zerrissen vor Schmerz ihre Kleider. Einige der Umstehenden begannen, die Nonnen zu verfluchen. „Ihr  Betschwestern seid schuld an dem Unglück! Ihr sollt in der Hölle schmoren! Man sollte euch die Kehle durchschneiden!“
Marie-Alphonsine ließ diese Lästerungen stillschweigend über sich ergehen, sammelte ein paar Mädchen um sich und stimmte vor dem Allerheiligsten den Rosenkranz an. „O Madonna, unsere himmlische Mutter, ich bitte dich von ganzem Herzen, rette das Unglückskind,“ flehte die Oberin. Dann kehrte sie zur Zisterne zurück, den Rosenkranz in der Hand. Ein Mann versetzte ihr einen Fußtritt. „Dein Rosenkranz und deine Ave Maria sollen im Feuer verbrennen!“ Mutter Marie Alphonsine fiel blutend zu Boden, raffte sich wieder auf, kämpfte sich durch die tobende Menge bis zur Zisterne und warf ihren großen Rosenkranz hinein. „O Maria!“ rief sie voller Inbrunst, „laß das Kind herauskommen und hilf uns in dieser verzweifelten Lage!“
„Da kann deine Madonna  nicht mehr helfen“, schrie einer voller Hohn. „Das Kind liegt schon fast eine Stunde auf  dem Grund.“ Ohne darauf zu reagieren,  kehrte die Oberin in die Kirche zurück und betete inständig vor dem Tabernakel weiter. Plötzlich wurde die Kirchentüre aufgerissen. „Mutter Marie Alphonsine, schnell, Nusseira ist gerettet. Unfaßbar! Plötzlich stieg sie aus der Zisterne, den Rosenkranz um den Hals. Mit den Händen hielt sie sich am Seil fest.“
Das noch vom Wasser triefende Mädchen klammerte sich an Schwester Marie Alphonsine. „Wie bin ich glücklich über das, was ich unten in der Zisterne gesehen habe! Am Liebsten wäre ich für immer unten geblieben. Mit einem Mal erblickte ich einen hell erleuchteten Rosenkranz um meinen Hals. Als wären tausend Kerzen daran. Dann hörte ich eine Stimme: ‚Fasse das Seil an!’ Also grabschte ich danach und jetzt bin ich da.“
In Oktober 1886 wurde Mutter Alphonsine erneut nach Betlehem gesandt, wo sie eine Schule gründete. 1887 begann sie mit drei Schwestern in der Stadt Salt ihre erste Mission in Jordanien. 1909 wurde sie ins Mutterhaus nach Jerusalem berufen. Von dort begann sie 1917 mit der Gründung eines Waisenhauses in dem nahe gelegenen Ort Ain-Karem. Dort, in der Heimat Johannes des Täufers, konnte sie ein Leben der Einkehr und Stille führen. Am  25. März 1927 verließ Marie Alphonsine während des Rosenkranzgebetes diese Welt mit den Worten „Der Rosenkranz ist unser wahrer Schatz“ auf den Lippen.
Dieser Schatz hat sich bis heute durch bis jetzt anhaltende, zahlreiche Berufungen der Rosenkranzschwestern vermehrt: in Israel, Palästina, Jordanien, Libanon, Ägypten, Syrien, den Vereinten  Arabischen Emiraten, Abu Dhabi, Sharjah, Kuwait und in Rom.
Das Wunder, das der Vatikan für die Seligsprechung anerkannt hat, ereignete sich am 30. Mai 2003: In dem Jerusalemer Stadtteil Beit Hanina feierte eine Gruppe Mädchen den Geburtstag ihrer muslimischen Mitschülerin im Garten des elterlichen Hauses. Sie sangen Lieder und tanzten im Reigen um das Geburtstagskind. Unter ihnen befand sich auch die  katholische 17jährige Natalie, die das muslimische siebenjährige Kind Jasmin hielt. Sie waren sich nicht bewußt, das die Tanzfläche sich über einer zugewachsenen Jauchegrube befand, nur mit einem brüchigen Eisenrost zugedeckt.
Während die ausgelassene Schar ihre Freundin hochleben ließ, hörte Helene, Natalies Mutter die Kirchglocken zum „Engel des Herrn“ läuten, legte die Biographie von Sr. Marie Alphonsine, in dem sie gerade las, weg und begann das erste Ave Maria zu beten. Von einer dunklen Vorahnung geplagt, fügte sie hinzu: „Heilige Maria, Mutter Gottes, Sr. Marie Alphonsine beschützt und bewahrt unsere Kinder vor allen bösen Überraschungen.“
Immer noch hüpften die Kinder herum, als plötzlich die Erde unter ihnen nachgab. Elf Kinder fielen in die stinkende Brühe. Gott sei Dank blieben sie an dem Rost bis zu den Knien in der Jauche hängen. Eine Freundin von Natalie, rief plötzlich mit schriller Stimme: „Wo sind Natalie und Jasmin? Natalie und Jasmin sind weg!“ Sie mußten in die fünf Meter tiefe Jauchegrube gefallen sein. „Hiiiilfe!“ Nach fünf Minuten kam ein junger Mann herbeigerannt.
Sein Leben riskierend ließ er sich in das übel riechende Naß hinab und schupste die beiden Mädchen nach oben. Im Krankenhaus stellten die Ärzte zu ihrem großen Erstaunen fest: „Die Kinder haben nichts von der stinkenden Brühe geschluckt. Von ein paar Kratzern abgesehen, sind sie völlig unversehrt. Unglaublich.“ Natalie ist heute 24, studiert in Betlehem Betriebswirtschaft und war bei der Seligsprechung in Nazaret als Zeugin des Wunders anwesend.
Als Mutter Marie Alphonsine neben Mirjam Baouardyals zweite palästinensische Ordensschwester am 22. November 2009, dem Christkönigsfest, in der Verkündigungsbasilika in Nazareth seliggesprochen wurde, schenkte der Himmel den Christen im Heiligen Land eine Patronin der Hoffnung und des totalen Vertrauens auf Gott, eine, die sich nichts von dieser Welt erwartete, aber alles von ihrer himmlischen Mutter, der Königin des Rosenkranzes.

© 1999-2024 Vision2000 | Sitz: Hohe Wand-Straße 28/6, 2344 Maria Enzersdorf, Österreich | Mail: vision2000@aon.at | Tel: +43 (0) 1 586 94 11