VISION 20002/2010
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Wozu beten, wenn ich nichts spüre?

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Du spürst nichts beim Beten, du hörst nichts, du weißt nicht, was du sagen sollst? Bravo! Endlich fängst du an, wirklich zu beten. Suche Gott und nicht Gefühlsaufwallungen!
Wer hat bloß diese merkwürdige Idee in die Welt gesetzt, daß sich immer etwas ereignen muß, wenn wir beten? Von Kindheit an sind wir da auf eine falsche Fährte gesetzt worden, wenn uns wohlmeinende Erwachsene fragten: „Hast du schon dein Gebet erledigt?“ Als wäre das Beten eine Sache, die man erledigen könnte.
Anderen geht es nicht darum, etwas zu erledigen, sie folgen einem anderen Idealbild vom Beten: etwas spüren, sagen, hören, verstehen… Es geht um „etwas“. Im tatsächlichen Leben ist dieses „Etwas“ gar nicht so häufig anzutreffen. Meist ist das Gebet eher karg, jedenfalls hält es diese Versprechungen nicht. Dann ist man enttäuscht. Die Versuchung ist groß, Gott Vorwürfe zu machen: Würde Er uns lieben, müßte Er doch unseren Erwartungen entsprechen. Oder man ergeht sich in Selbstvorwürfen: Wenn wir Gott wirklich liebten, müßten wir doch mit Ihm in Kontakt treten können.
(…) Ich werde ihnen sagen, welches Zeitwort am besten beschreibt, worum es beim Beten geht: Es ist das Zeitwort „sein“. Beten ist dasein, mit Ihm sein. Darum geht es beim Gebet. (…)
Das Problem liegt nicht in der Abwesenheit Christi oder in Seinem Rückzug aus der Geschichte. Papst Johannes Paul II. hat es uns bei seinem ersten Frankreichbesuch klar gesagt:?„Es gibt ein einziges Problem, immer und überall: ob wir in Christus sind.“
Was nützt es, die Realpräsenz Christi (in der Eucharistie, aber auch in den anderen Sakramenten, in der Kirche, im Dienst an den Armen) zu betonen, wenn wir selbst nicht anwesend, wirklich dabei sind? Als Jesus die Apostel ausschickt, allen Menschen die Gute Nachricht zu bringen, stellt Er eindeutig fest:?„Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Damit das „bei uns Sein“ gelingt, müssen aber mindestens zwei mitwirken. Das ist die Basis der Glaubens?erfahrung, der lebendigen, der gelebten: Mit Ihm zu sein, der mit uns sein wollte.
Der Wert deines Gebets läßt sich daher nicht ablesen an der Zahl genialer Einfälle oder wunderbarer Hochgefühle, die du dabei erlebst. Vielmehr geht es darum, daß du dich traust, dich der Begegnung mit Gott auszusetzen, an dem Ort, an dem du bist, in dem jeweiligen Moment. Die Bibel spricht „von Angesicht zu Angesicht“. Spirituelle Autoren von „Herz zu Herz“. Was ist also wichtig? Daß Er dich antreffen kann, dich! Dann wirst auch du Ihn finden, Ihn.

Alain Bandelier
Auszug aus Famille Chretienne v. 15.6.06

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