VISION 20004/2010
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Entschieden im Glauben ausharren

Artikel drucken Christsein in einer Zeit, die Abschied von Gott zu nehmen scheint (Von Urs Keusch)

Kritik an Papst und Kirche gehören mittlerweile zum Alltag des Mediengeschäftes. Der Ton wird rauher, auch innerhalb der Kirche. Wie damit umgehen?
Laßt Euch nicht verunsichern, appelliert der Autor, intensiviert Euer Glaubensleben!
Bis vor zwei Jahren, bis zu seinem Heimgang zum Schöpfer, besuchte ich regelmäßig einen alten, arbeitssamen Mann ohne höhere Bildung, aber reich an Verstand, kernig und heiter, treu zu Christus und der Kirche stehend, betend, wenn er sonst nichts zu tun hatte und viel fastend für die jungen Menschen, wie er mir anvertraute.
Er erzählte mir mehr als einmal: „Sehen Sie, Herr Pfarrer, wir hatten in meiner Kindheit einen lieben, frommen Pfarrer, der sagte uns, es werde eine Zeit kommen, da würden die Menschen in Massen von Christus und Seiner Kirche abfallen, die Schlechtigkeit unter den Menschen werde überhandnehmen, der Islam nochmal mächtig sein Haupt erheben und Europa überfluten. Als Kind dachte ich: Das ist noch in weiter, weiter Ferne! Nie hätte ich gedacht, nie, daß ich das noch erleben würde. Nun ist alles in so kurzer Zeit gekommen: Abfall im Glauben, Sittenlosigkeit, nie hätte ich das für möglich gehalten, nie, nie, nie...“ Jedesmal, wenn mir der Mann das erzählte, war es mir, als wühlte es seine ganze Seele auf.
Auf diesen „Absturz im Glauben“ kam auch unser Papst mehrmals zu sprechen. Noch als Kardinal sagte er in einem Gespräch über die Letzten Dinge zu Vittorio Messori: „Tatsache ist, daß wir heute alle glauben, wir wären so gut, daß wir nichts anderes als den Himmel verdienen würden! Hierfür trägt gewiß eine Kultur die Verantwortung, die mit mildernden Umständen und Alibis versucht, den Menschen den Sinn für ihre Schuld, ihre Sünde zu entziehen. Jemand hat bemerkt, daß die heute vorherrschenden Ideologien von einem gemeinsamen Grunddogma getragen seien: der hartnäckigen Leugnung der Sünde, daß heißt gerade jener Wirklichkeit, mit der der Glaube an die Hölle, an das Fegefeuer verknüpft ist.“
Der heilige Franz von Sales drückt dasselbe mit einfachen Worten aus: „Wer Gott nicht viel liebt, der haßt auch kaum die Sünde“. Das ist wohl die beste Analyse und Diagnose der geistigen Lage unserer Zeit, die Gott nicht mehr anerkennt und respektiert und schon gar nicht mehr fürchtet und liebt, ja für die es Gott praktisch nicht mehr gibt. Diese Zeit haben viele prophetische Denker vorausgesehen.
So schreibt F. M. Dostojewskij bereits vor 120 Jahren: „Sobald sich die Menschheit einstimmig von Gott lossagt (und ich glaube, daß diese Periode eintreten wird), wird ganz von selbst die ganze frühere Weltanschauung zusammenstürzen und vor allem die ganze frühere Moral, und etwas völlig Neues wird kommen. Die Menschen werden sich zusammenschließen, um aus dem Leben alles herauszuholen, was das Leben geben kann, aber unbedingt für das Glück und für die Freude nur in dieser, hiesigen Welt. Der Mensch wird sich im Geiste göttlichen, titanischen Stolzes erhöhen, und der Gott-Mensch erscheint … Der Mensch, der stündlich und schon ohne Grenzen die Natur besiegt, durch seinen Willen und durch seine Wissenschaft, wird dadurch stündlich einen so hohen Genuß erleben, daß es ihm alle früheren Wonnen der himmlischen Genüsse ersetzt. Jeder erkennt dann, daß er völlig sterblich ist, ohne Auferstehung, und nimmt den Tod stolz und ruhig wie ein Gott auf sich…“ (in: Die Brüder Karamasow). Ähnliche Gedanken lesen wir bei Kardinal John H. Newmann, P. Josef Kentenich, Friedrich W. Foerster, Friedrich Nietzsche und anderen.
Eine große Mystikerin der Kirche, die selige Anna Katharina Emmerich, sah viele schreckliche zutreffende Bilder von der Zukunft der Welt und der Kirche und sagte einmal: „Ich hörte, daß Luzifer, wenn ich nicht irre, 50 oder 60 Jahre vor dem Jahre 2000 nach Christus wieder auf eine Zeitlang sollte freigelassen werden.“ Was haben wir im 2. Weltkrieg erlebt, den der Kulturphilosoph Friedrich W. Foerster - unbeeinflußt von jeder religiösen Deutung - als „einen Besuch aus der Hölle“ bezeichnet hat!
Was für ein Dammbruch aller christlichen Wertbestände haben wir seither erlebt (68-Revolution)! Wie greift nun das Antichristentum fast ungehindert um sich und besetzt die höchsten Sitze in den Regierungen und Organisationen dieser Welt. Es ist die Zeit, die unser Herr und Gott in diesen beiden Worten zum Ausdruck bringt: „Weil die Gottlosigkeit überhandnimmt, wird die Liebe bei vielen erkalten… Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben finden?“ (Mt 24,12; Lk 18,8).
Ich denke, daß alle (oder doch viele), die heute in Liebe Jesus Christus und Seiner Kirche anhangen, für diese Dinge ein erleuchtetes Auge haben, allen voran unser Papst. Es lohnt sich, ihm gut zuzuhören, wenn er über solche Dinge spricht! Und ich denke, er wird uns in Zukunft in dieser Hinsicht noch Wichtiges zu sagen haben. Wer Ohren hat, der höre!
In der Offenbarung, in der abschließenden Mahnung, sagt Gott - gleichsam als Vermächtnis - zum Seher Johannes und Er sagt es auch uns: „Wer Unrecht tut, tue weiter Unrecht, der Unreine bleibe unrein, der Gerechte handle weiter gerecht, und der Heilige strebe weiter nach Heiligkeit. Siehe, ich komme bald, und mit mir bringe ich den Lohn, und ich werde jedem geben, was seinem Werk entspricht“ (Off 22,11-12).
Für uns, die wir Christus und Seiner Kirche treu bleiben wollen, heißt das: Lassen wir keinesfalls locker, im Gegenteil! Streben wir noch viel entschiedener nach Heiligkeit, das heißt nach gelebter Tugend! Schließen wir uns im Gebet noch enger an Christus an. Lesen wir noch aufmerksamer die Evangelien und die Apostelbriefe.
Gehen wir noch eifriger zu den Sakramenten, bemühen wir uns mehr als bisher um tätige Nächstenliebe, vernachlässigen wir auf keinen Fall die Geistliche Lesung, die Betrachtung. (Ich kann ihnen kaum ein besseres Buch empfehlen als Die Nachfolge Christi). Nur auf diese Weise können wir im Glauben ausharren. Nur so wird uns die Hoffnung stark und unbesiegbar machen und die Liebe uns nicht abhanden kommen.
Und noch etwas: Lassen wir uns von dem scheinbar Gewaltigen nicht beeindrucken, das heute in der Welt geschieht. Ich meine von dem gigantischen Abfall vom Glauben, von der maßlosen Verführung (auch in vielen Teilen der sogenannten Volkskirche), vom Kampf gegen die Kirche, der letztlich ein Kampf gegen Christus ist. Paulus sagt: „Laßt euch durch niemand und auf keine Weise täuschen! Denn zuerst muß der Abfall von Gott kommen und der Mensch der Gesetzwidrigkeit erscheinen“ (2 Thess 2,3ff).
Die Verführung der Menschen und Christen, der Kampf gegen Christus und seine Kirche, gegen das Leben, gegen die Keuschheit, gegen die Schöpfung - dieses Antichristentum kann noch Formen annehmen, die wir uns heute kaum vorstellen können. Im 13. Kapitel der Offenbarung werden wir gewarnt: „Und es wurde ihm [dem Widerchristlichen] erlaubt, mit den Heiligen zu kämpfen und sie zu besiegen“. Sie zu besiegen! Das ist nicht aufgeschrieben, um uns Angst zu machen, sondern um uns die Augen für diese Wirklichkeit zu öffnen und uns mit Starkmut zu erfüllen.
Noch erschütternder als diese apokalyptischen Prospektiven empfinde ich die Worte unseres Papstes: „Heute sehen wir auf wahrhaft erschreckende Weise: Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von den äußeren Feinden, sondern erwächst aus der Sünde in der Kirche. Und darum ist es für die Kirche zutiefst notwendig, daß sie neu lernt, Buße zu tun“.
Werden wir es noch lernen, wo wir doch seit über 150 Jahren (Lourdes) immer wieder von der Kirche dazu aufgerufen werden - und von Maria, der Mutter der Kirche, angebettelt werden, damit ihre Kinder nicht verloren gehen? Werden wir es noch tun? Zum Glück gibt es vereinzelt Menschen, die es tun: still, oft sehr einsam, verborgen, unerkannt, heroisch und in großer mitleidender Liebe zum gekreuzigten Lamm. Sie sind die Heiligen unserer Zeit, die Hoffnung der ganzen Welt.

Der Autor ist Pfarrer em. in Bad Ragaz/Schweiz.

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