VISION 20006/2010
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Der selige John Henry Newman

Artikel drucken Botschaft an uns (Helmut Hubeny)

Aufgewachsen im traditionell-liberalen Milieu erlebt John Henry als 15jähriger seine „erste Konversion“, danach wendet er sich dem evangelikalen Anglikanismus zu. Antichristliche Kritik anerkennt der junge Mann als plausibel. Die Auseinandersetzung mit den Kirchenvätern, den Texten des klassischen Altertums und den mathematisch-naturwissenschaftlichen Autoren wie New?ton führen John Henry schließlich zur Abschlußprüfung. Ab 1822 gehört Newman dem Lehrkörper der Universität Oxford an.
Nun empfindet er die Evangelikalen als doktrinär, eng, subjektivistisch. Er wendet sich der aufkommenden hochkirchlichen „Oxford-Bewegung“ zu, die sich den Versuchen des britischen Staates widersetzt, die Eigenständigkeit der Kirche einzuschränken. Zwischen 1833 und 1841 erscheinen unter seiner Federführung Flugschriften, Traktate und wissenschaftliche Abhandlungen.
Diese „Tracts for the Time“, erneuern die entschlossene Absage an den theologischen Liberalismus, betonen die apostolische Herkunft und Vollmacht des bischöflichen Amtes und kämpfen gegen die Degeneration der anglikanischen Kirche zu einer „reinen Kreatur des Staates“. Theologisch bemühen sich die „Tracts“ um eine Neuentdeckung der katholischen – altkirchlichen – Wurzeln des Anglikanismus. Obwohl sich Newman dabei ungewöhnlich scharf von Rom abgrenzt, wird er einer gezielten Rekatholizierung verdächtigt.
In seiner Lebensgeschichte drückt er es so aus: „Die katholische Kirche war anfangs viele Jahrhunderte lang in allen Ländern eine Einheit gewesen. Dann hatten verschiedene Teile ihren eigenen Weg eingeschlagen und damit Wahrheit und Liebe geschädigt, aber nicht aufgehoben. Es handelt sich hauptsächlich um die drei Zweige dieser Kirche: die griechische, die lateinische und anglikanische. Jeder derselben war Erbin der frühen, ungeteilten Kirche“.
Von nun wird Newman von der „protestantischen“ Fraktion der Church of England mit schweren Angriffen verfolgt, aber auch viele der ehemaligen Freunde des anglo-katholischen Flügels rücken langsam von ihm ab. „Immer mehr zog ich mich in mich selbst zurück und fühlte meine Einsamkeit.“ John Henry wendet sich neuerlich den Kirchenvätern zu, um „die wahre Kirche der Vergangenheit“ zu studieren. Die Studien brachten ihn schließlich dazu, sein Pfarramt und seinen Lehrauftrag zurückzulegen.
Er lebte im Zwiespalt: „Ich brachte es gelegentlich nicht über mich, andere durch gefühllose logische Folgerungen zu erschrecken und zu ärgern … Wenn ich gefragt werde, bin ich oft gezwungen, eine Meinung zu äußern, um nicht als Heimlichtuer zu gelten. Stillschweigen sieht wie eine Arglist aus. Und es ist mir nicht lieb, wenn die Menschen mich schätzen oder um Rat fragen, weil sie meine Meinung in einem Sinne auffassen, der nicht der ihre ist. All dies machte meine Lage sehr schwierig.“
1845 läßt sich Newman in die römisch-katholische Kirche aufnehmen. „Die Geschichte meiner Bekehrung ist schlichtweg zu?rückzuführen auf den Verlauf meiner Bemühungen, eine Lösung der Kontroverse (zwischen dem Glauben und der Kirche) herbeizuführen … Ich hatte im Sinn, alle Hindernisse, die dem Glauben an den apostolischen und katholischen Charakter der anglikanischen Kirche im Wege standen, zu beseitigen und allen das Recht zu sichern, im hellen Tageslicht offen zu bekennen; ‚Unsere Kirche lehrt den ursprünglichen alten Glauben’ … (Aber es) steht fest, daß wir uns von der großen Gemeinschaft der Christen in der Welt getrennt haben, wie auch immer wir uns deswegen rechtfertigen mögen.“
Newman bleibt unbestechlich: „Für die römischen Katholiken habe ich vorläufig keine Sympathien. Ich kenne niemanden unter ihnen, und was ich über sie hörte, mißfällt mir.“ Auch in der katholischen Kirche kommt es mit ihm zu Auseinandersetzungen, besonders wegen seiner Betonung der theologischen Kompetenz der Laien, seinem Einsatz für die Freiheit der Wissenschaft, seiner moderaten Stellungnahme 1870 zum Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes und seiner Feststellung, daß manche Päpste im Dienst an der christlichen Überlieferung gefehlt hätten, weshalb man keinesfalls behaupten könne, die Päpste seien niemals im Unrecht oder Irrtum gewesen.
Die Ehrenpromotion 1877 wird für John Henry Newman zur endgültigen Aussöhnung mit seiner alten Universitätsstadt, die Ernennung zum Kardinal 1879 und schließlich seine Seligsprechung am 19. September 2010 zur großen Anerkennung in der katholischen Kirche. So hat Kardinal Newmans Klarstellung der theologischen Urteilsfähigkeit der Laien im 2. Vatikanischen Konzil späte Früchte getragen. Sein Bildungskonzept und das von ihm leidenschaftlich gelebte Ineinander von christlich-spiritueller und theologisch-wissenschaftlicher Kompetenz ist sein bis heute gültiges Vermächtnis. Es macht ihn zum „Kirchenvater der Moderne“.
Großartig beschreibt der selige John Henry Newman in seiner analytischen, sympathisch „weltlichen“ Sprache die Situation, der auch wir uns heute besonders ausgesetzt fühlen: „Zwei große Prinzipien bestimmen den Verlauf der Religionsgeschichte, Autorität und Privaturteil. Die protestantischen Schriftsteller nehmen gewöhnlich an, daß sie das ganze Privaturteil für sich haben und wir die Erben des ganzen überwältigenden Druckes der Autorität seien. Doch das ist nicht der Fall. Gerade in der großen katholischen Gemeinschaft und in ihr allein finden beide Kontrahenten Platz in diesem fruchtbaren, nie endenden Zweikampf. Es ist für das Leben der Religion angesichts ihrer umfassenden Tätigkeit und ihrer Geschichte geradezu notwendig, daß dieser Kampf unaufhörlich weitergeführt wird. Jede Äußerung der Unfehlbarkeit wird durch einen angestrengten und vielseitigen Einsatz der Vernunft hervorgebracht – mag die Vernunft ihr Verbündeter oder ihr Gegner sein, und wenn die Unfehlbarkeit ihre Aufgabe erfüllt hat, fordert sie wiederum eine Reaktion der Vernunft heraus … So ist die katholische Christenheit nicht eine einfache Verkörperung des religiösen Absolutismus, sondern sie zeigt ein immer neues Bild von Autorität und persönlichem Urteil, die beide abwechslungsweise hervor- und zurücktreten wie die Gezeiten Ebbe und Flut. – Sie ist eine große Gemeinschaft menschlicher Wesen mit eigensinnigem Intellekt und stürmischen Leidenschaften, die durch die Schönheit und Majestät einer übermenschlichen Macht in einer Einheit zusammengehalten wird … in der das Rohmaterial der Menschennatur, das so vortrefflich, so gefährlich und für die göttlichen Absichten doch so geeignet ist, durch unaufhörliche geräuschvolle Bearbeitung umgeschmolzen, veredelt und neu gestaltet wird.“


Wichtige Daten im Leben des Seligen

Geboren ist John Henry Newman am 21. 2. 1801 in London als Sohn des Bankiers John Newman und seiner Frau Jenima, geb. Fourdrinier. 1817 immatrikulierte er im Trinity College in Oxford, wo er 1820 sein Studium mit dem B.A. abschloß und von 1822 bis 1845 Fellow des Oriel College in Oxford war. 1824 wurde er Diakon, 1825 Priester der anglikanischen Kirche. Von 1828 bis 1843 war er Pfarrer von St. Mary’s in Oxford und ein führendes Mitglied der Oxford-Bewegung.
1845 erfolgte sein Übertritt in die katholische Kirche, in der er 1847 zum Priester geweiht wurde. 1848 und 1849 gründete er die Oratorien in Maryvale, Birmingham und London. Weiters war er von 1851 bis 1858 Gründungsrektor der katholischen Universität Dublin. 1879 erfolgte seine Ernennung zum Kardinal.
Gestorben ist Newman am 11. 8. 1890 in Edgaston/Birmingham.
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Um den seligen John Henry, sein Denken und Fühlen gut kennenzulernen, sei die Lektüre von Apo??logia pro vita sua empfohlen. Newman schildert darin die Geschichte seiner Konversion, Ergebnis eines langen Ringens und eines Denkprozesses, der ihn erkennen ließ: Nur die Katholische Kirche steht in ungebrochener Tradition mit der Urkirche.
Apologia pro vita sua – Geschichte meiner religiösen Überzeugungen. Von John Henry Newman. Verlag Media Maria, 448 Seiten, 24,90 Euro.

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