VISION 20004/2012
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Ein Jahr der Entscheidung

Artikel drucken Gedanken zur Einberufung des Glaubensjahres (Von Ignaz Steinwender)

Die Kirche sei stets zu reformieren, wird gern zitiert. Über das Wie bestehen jedoch Meinungsunterschiede. Wahre Re­form ­ge­schieht dort , wo der Glau­be ver­tieft und freudig  weitergegeben wird.  Das ist die Herausforderung für das Jahr des Glaubens.

Als ich gehört habe, dass der Heilige Vater ein Jahr des Glaubens ausrufen wird, da habe ich mich spontan gefreut, einfach deswegen, weil ich weiß, dass der Heilige Vater zielstrebig nach vorne geht, dass alles, was er tut, im Sinne der Tugend der Klugheit einem guten, geistlichen Zweck entspricht, weil in seinem Pontifikat eben deutlich wird, wie sicher und konsequent er seine Herde leitet. Wegen seiner beeindruckenden Klarheit kann man ihm mit einem sehenden Glauben folgen.
Nach dem Willen des Papstes soll das Jahr des Glaubens am 11. Oktober, das heißt am 50 Jahrestag des Beginns des II. Vatikanischen Konzils (1962-1965), beginnen. Damit ist ein wichtiger Bezugspunkt hergestellt, auf den ich später eingehen möchte.
Als der Heilige Vater ein Jahr des Priesters ausrief, da dauerte es nicht lange, und es brachen schwere Angriffe auf die Kirche herein, gerade auf das Priestertum, nicht zuletzt gespeist durch tatsächliche schwere Fehlgriffe von Priestern in der Vergangenheit. Man mag dies jetzt als Zufall sehen, als gezielte Reaktion der Gegenseite auf das Priesterjahr oder als von der Vorsehung verfügte Reinigung im Sinne der Ausrufung dieses Jahres, jedenfalls war das Jahr des Priesters ganz wichtig.
Und ich bin fest davon überzeugt: Überall dort, wo Akzente des Papstes aufgegriffen wurden und wirklich versucht wurde, das Wesen des Priestertums wieder neu zu bedenken, sind Samen gesät worden, die aufgehen werden. So könnte es auch sein, dass gerade im Jahr des Glaubens unser gemeinsamer Glaube besonders angefochten werden wird, jener Glaube, den die Konzilsväter tiefer bedachten, den sie vielen Menschen der Welt zugänglich machen wollten, jener Glaube, der in den Jahrzehnten nach dem Konzil in manchen Teilkirchen ins Wanken geriet, jener Glaube, den der Papst in uns allen stärken möchte.
Als das II. Vaticanum begann, machte der Begriff „Aggiornamento“, das etwa mit Verheutigung übersetzt werden könnte, die Runde und bewegte viele Gemüter, ein geflügeltes Wort, das der spätere Selige, Papst Johannes XXIII. in einer Ansprache verwendet hatte. Aggiornamento wurde für viele geradezu zu einem Schlüsselbegriff. Für die einen stand es für das Ziel, die Kirche der Welt anzupassen, für andere dafür, mit den Methoden der heutigen Zeit und dem Interesse für alle menschlichen Bereiche die Wahrheit Christi mit missionarischem Eifer in alle Bereiche der Welt zu tragen. Demzufolge gab es zwei Wege, die nebeneinander innerhalb der einen Kirche beschritten wurden und deren „Früchte“ die heutige Situation kennzeichnen.
Der erste Weg sieht in seiner Extremform so aus: Viele meinten in ihrer einseitigen Auslegung des Begriffes Aggiornamento, dass der Glaube selbst, der Inhalt des Glaubens, der Welt, dem Denken der Menschen, den Zeitströmungen angeglichen werden müsse oder könne. So entstand die unbiblische Idee, die Kirche müsse sich der Welt anpassen – im Gegensatz zum Apostelwort: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt und erneuert euer Denken …“ (Röm 12,2).
Dieses Anpassungsdogma hat dazu geführt, dass das missionarische und apostolische Bewusstsein, ja mehr noch das katholische Selbstbewusstsein vielfach geschwunden ist. Dort, wo sich Katholiken bzw. Ortskirchen dieser Anbiederungsmentalität verschrieben haben, kam es zum Verlust der Glaubenssubstanz, zum Rückgang der Berufungen,  zu einem katholischen Minderwertigkeitskomplex und zum Verlust der Achtung vor der Kirche. Wo die Kirche sich der Welt angepasst, wo sie ihr inneres Wesen, ihre Seele, das, was sie von der Welt unterscheidet, aufgegeben hat, dort ist sie überflüssig geworden. Das Salz, das seinen Geschmack verloren hat, wird weggeworfen und von den Menschen zertreten. Kirchengeschichtlich sind wir dabei, in diese Phase einzutreten.
Eine analoge Entwicklung kann man auch im Leben der Priester und der einzelnen Gläubigen beobachten. Wenn ein Pfarrer versucht, sich möglichst in allem anzupassen und zu tun, was die Mehrheit will, wenn er nur mehr das verkündet, was die Leute gerne hören, dann wird er zunächst noch gelobt, er ist noch gerne gesehen als Zeremonienmeister und für die Verschönerung von Fes­ ten, bald aber wird die Achtung vor ihm sinken. Er wird überflüssig werden. Wenn ein Katholik lau wird und versucht, sich in allem anzupassen, dann gilt er zunächst als fortschrittlich, er muss sich von „extremen Gläubigen“ abgrenzen und vielleicht durch Seitenhiebe auf die Kirche profilieren. Bald wird er seine Anziehungskraft verlieren und belächelt werden, die Karikatur eines Katholiken. Am Ende gibt es nur mehr die Alternative: Umkehr oder Abkehr.
Der zweite Weg sieht in etwa so aus: Die Kirche sieht sich, wie es im Dokument Lumen gentium heißt, gleichsam als Sakrament in Christus, als „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.“ Sie soll in der jeweiligen Zeit Christus den Menschen und die Menschen zu Christus bringen. Sie soll den Menschen die Fülle der Wahrheit näher bringen. Gleichzeitig ist sie auch ein Zeichen des Widerspruchs. Sie„schreitet zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin“ (vgl. Lumen gentium 8).
Für den Pfarrer bedeutet dieser Weg, dass er sich immer wieder neu und entschieden bemüht, seinem eigentlichen Auftrag gerecht zu werden, das ganze Evangelium unverkürzt zu verkünden, die Menschen zu trösten, im Glauben zu bestärken, sie zu führen und auch zu ermahnen. Dafür muss er oft die Geringschätzung lauer Christen und Angriffe von falschen Brüdern ertragen und wird von Manchen angefochten werden. Gleichzeitig wird er jedoch die Achtung jener Gläubigen spüren, die selbst ernsthaft um den Weg des Glaubens ringen und wird nicht selten auch von Nichtglaubenden, Suchenden oder Andersgläubigen geachtet werden.
Ähnlich ist es für den einfachen Gläubigen, wenn er sich bemüht, das allgemeine Priestertum zu leben. Er wird viel Widerspruch erfahren, aber gleichzeitig an der vollkommenen Freude Christi (Joh 15,11) Anteil haben.
Gegenwärtig werden in der Kirche die Früchte dieser beiden Wege reif, die Früchte der Anpassung an die Welt und die Früchte echten missionarischen und apostolischen Bewusstseins, wir erleben Einbrüche und Auflösungserscheinungen und zugleich wirkliche Aufbrüche. Jeder überzeugte Christ wird die tröstliche und ermutigende Erfahrung machen: Jedes Mal, wenn ich meinen Glauben mutig bekenne, wenn ich zu einer Glaubenswahrheit oder zu einem Gebot stehe, jedes Mal, wenn ich den Heiligen Vater, die Kirche oder einen Vertreter der Kirche verteidige, bekomme ich von Gott eine zusätzliche Hilfe (Gnade), ich werde stärker, authentischer, die Glaubensfreude wird größer, ich bin auf dem Weg, ein echter Israelit (Joh 1,47) zu werden. „Wer hat, dem wird dazugegeben.“
Das gibt Mut und macht den Verkünder und die Botschaft glaubwürdiger und anziehender.
Wir nähern uns einer Zeit der Entscheidung, manche Entwicklungen werden uns vor die Alternative stellen, Auflösung oder Aufbruch, Abfall oder Neuevangelisierung. Im Jahr des Glaubens wird sich vieles entscheiden.
Wenn am 11. Oktober die Türen und Fenster unserer Kirchen auf Wunsch der Bischöfe geöffnet werden, dann möge dies mit der Intention geschehen, die stickige Luft des angepassten, lauen und verweltlichten Christentums hinauszulassen, damit der Geist der Wahrheit, der Gottesfurcht, der Frömmigkeit und der Geist der Stärke die Kirchen erfüllen kann.
Ich wünsche mir und allen Gläubigen etwas von der Demut, Weisheit und Glaubensstärke unseres Heiligen Vaters, ein wirkliches Jahr des Glaubens.

Der Autor ist Pfarrer von Zell am Ziller.

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