VISION 20004/2012
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Die heilige Edith Stein

Artikel drucken Botschaft an uns (Von Sr. Dorothea Bertl)

Am 7. August 1942, einem Herz-Jesu-Freitag, werden 987 – vornehmlich getaufte – Juden vom Lager Westerbork in Holland in einen Güterzug gepfercht. Es geht Richtung Osten, nach Ausch­witz. Unsere Mitschwester, Teresia Benedicta a Cruce – die vom Kreuz gesegnete – mit ihrem weltlichen Namen Edith Theresia Hedwig Stein und ihre Schwester Rosa sind unter den Deportierten. Bei der Ankunft in Ausch­witz werden Männer und Frauen getrennt. Alte Menschen, die meisten Frauen und Kinder werden gleich zu den Duschräumen gebracht, in denen aus den Löchern statt Wasser Blausäuregas strömt. Edith und Rosa Stein sind unter den Opfern. Dieses schreckliche Ereignis jährt sich heuer zum 70. Mal.
Edith Stein wurde am 12.Oktober 1891 in Breslau als Jüngste von 11 Kindern in einer Holzhändlerfamilie jüdischer Herkunft geboren, am Yom Kippur, dem größten jüdischen Feiertag. Ediths Mutter, legte als gläubige Jüdin großen Wert auf die Besonderheit des Geburtstages ihrer Jüngsten. Vier der 11 Kinder starben in den ersten Ehejahren. Der Vater erlag 48-jährig einem Hitzeschlag auf einer Geschäftsreise. Frau Stein stand nun alleine mit 7 Kindern und einem verschuldeten Geschäft da, das die tüchtige und energische Frau jedoch bald wieder in Schwung brachte.
Bis zu ihrem 13. Lebensjahr war Edith eine ehrgeizige Schülerin, dann wollte sie plötzlich die Schule verlassen. Die Mutter schickte sie daraufhin zur Erholung nach Hamburg, wo Edith ihrer ältesten Schwester Else im Haushalt mit den drei Kleinkindern half. In dieser Zeit verlor sie ihren Kinderglauben. Nach einem Jahr kehrte sie heim und nahm das Studium wieder auf. Sie erzählt: „Dieses halbe Jahr rastloser Arbeit ist mir immer als die erste, ganz glückliche Zeit meines Lebens in Erinnerung geblieben. Es lag wohl daran, dass zum ersten Mal meine geistigen Kräfte in einer ihnen entsprechenden Aufgabe voll angespannt waren.“
Das religiöse Vorbild der Mutter, ihre Gebete in der Synagoge, ihre selbstlose Liebe zu den Kindern, ihre Bußstrenge im 24-stündigen Fasten am Versöhnungstag, bewirkte in Edith eine intensive Suche nach der Wahrheit.
An der Universität in Breslau inskribierte sie dann für den Lehrberuf Germanistik und Geschichte und hörte auch Vorlesungen in Psychologie. Dabei stieß sie auf die phänomenologischen Untersuchungen von Professor Edmund Husserl. Seine Art des philosophischen Denkens – die vorurteilsfreie Wahrnehmung – entsprach ihr zutiefst. Sie entschloss sich, in Göttingen bei Husserl weiterzustudieren und erlebte dort eine glückliche Studentenzeit, vor allem mit den Kollegen der Phänomenologenschule. Durch diese Art des Denkens waren einige gläubig geworden: Max Scheler, Adolf Reinach, Dietrich von Hil­de­brand… In ihrer Begegnung mit Adolf Reinach spürte Edith die liebevolle Zuwendung eines Christen und stand staunend vor dem Phänomen Glauben.
Nach Ausbruch des 1. Weltkriegs meldete sie sich zum Dienst in einem Seuchenlazarett. In diesem Jahr konnte sie viele Erfahrungen in der gelebten Nächstenliebe sammeln. Husserl wurde an die Universität Freiburg berufen und Edith folgte ihm dorthin. Sie promovierte „summa cum laude“ und wurde Assistentin des Professors. In dieser Zeit kam die Nachricht, dass Adolf Reinach gefallen sei. Edith wurde gebeten, mit dessen Frau den philosophischen Nachlass zu ordnen und war tief berührt von der tapferen, gläubigen Haltung der jungen Witwe: „Es war meine erste Begegnung mit dem Kreuz und der göttlichen Kraft, die es seinen Trägern mitteilt. Ich sah zum ersten Mal die aus dem Erlöserleiden geborene Kirche in ihrem Sieg über den Stachel des Todes handgreiflich vor mir. Es war der Augenblick, in dem mein Unglaube zusammenbrach und Christus aufstrahlte im Geheimnis des Kreuzes.“ Auch ein Erlebnis beim Besuch des Frankfurter Doms beeindruckte sie: „Wir traten in den Dom, und während wir in ehrfürchtigem Schweigen dort verweilten, kam eine Frau mit ihrem Marktkorb herein und kniete zu einem kurzen Gebet in der Bank nieder. Das war für mich neu. Hier kam jemand aus dem Alltag zu einem vertrauten Gespräch. Das habe ich nie vergessen können.“
Edith begann nun, die Bibel zu lesen, zu beten. Sie löste sich von Husserl. Die Zusammenarbeit mit ihm war schwierig. Sie kehrte nach Breslau zurück und erteilte Privatunterricht. Die entscheidende Wende brachte die Lektüre der Autobiografie – Das Buch meines Lebens –  der hl. Teresa von Avila, der Ordensgründerin des Karmel. Ihre Reaktion: „Das ist die Wahrheit!“
Edith kaufte einen Katechismus und ein katholisches Messbuch, bat den Pfarrer in Bergzabern, dem Ort, wo sie oft bei ihrer Freundin Hedwig Conrad-Martius weilte, um die Taufe, die sie am 1. Jänner 1922 empfing. Als Taufnamen wählte sie Theresia. Von da an war die tägliche Mitfeier der hl. Messe die Mitte ihres Lebens.
Die Familie war bestürzt, als Edith ihre Konversion bekanntgab, ihre Mutter weinte in tiefem Schmerz. Edith begleitete sie weiterhin zur Synagoge und betete die Psalmen mit. Sie nahm eine Anstellung als Lehrerin bei den Dominikanerinnen in Speyer an und konnte so ein Leben führen, das Arbeit und Gebet verband: „In meiner Zeit vor und noch eine ganze Weile nach meiner Konversion habe ich gemeint, ein religiöses Leben führen heißt, alles Irdische aufgeben und nur in Gedanken auf göttliche Dinge zu leben. Allmählich verstehe ich, dass selbst im beschaulichen Leben die Verbindung mit der Welt nicht durchschnitten werden darf – je tiefer man in Gott hineingezogen wird, desto mehr muss man das göttliche Leben in die Welt hineintragen.“
Ediths Wunsch nach dem Eintritt in den Karmel schob ihr Seelenführer hinaus, weil er ihren guten, gläubigen Einfluss auf Welt und Kirche durch Erwachsenenbildung sehr hoch einschätzte. Sie wurde ja zu Vorträgen im In- und Ausland eingeladen, Schwerpunkt: die Frauenfrage. 1931 verließ Edith Speyer nach neun Jahren eifrigen Wirkens, um sich in Freiburg und Breslau zu habilitieren. Nun trieb aber der Antisemitismus schon sein Spiel, daher hatte sie als Jüdin keine Chance.
Am 15. Oktober 1933 durfte Edith 42-jährig bei den Schwestern im Karmel in Köln eintreten. Sie fühlte sich endlich am Ziel! Ihre Freunde bestätigen es: Sie finden Edith voll Freude und verjüngt im Sprechzimmer des Karmel wieder. In einem Brief an Gertrud von Le Fort, mit der sie befreundet war, schreibt sie: „Sie können sich gar nicht denken, wie tief es mich jedesmal beschämt, wenn jemand von unserem Opferleben spricht. Ein Opferleben habe ich geführt, solange ich draußen war. Jetzt sind mir fast alle Lasten abgenommen, und ich habe in Fülle, was mir sonst fehlte!“ Mit dem Ordenskleid bekam sie ihren neuen Namen: Sr. Teresia Benedicta a Cruce, die vom Kreuz Gesegnete. Bald danach bat die Priorin Sr. Benedicta, ihre wissenschaftliche Arbeit wieder aufzunehmen, ihr Hauptwerk: Endliches und Ewiges Sein. Ein Zitat daraus: „Je gesammelter ein Mensch im Innersten seiner Seele lebt, desto stärker ist die Ausstrahlung, die von ihm ausgeht und andere in seinen Bann zieht!“
Es kam der 21. April 1938, der Tag, an dem Sr. Benedicta die Ewigen Gelübde ablegen durfte. Um die anderen Schwestern nicht zu gefährden, wollte sie nun in den Karmel von Bethlehem auswandern, erhielt aber von den Behörden keine Erlaubnis. So beschlossen ihre Oberen, sie in den Karmel Echt in Holland in Sicherheit zu bringen. 1940 erlebte sie die große Freude, dass ihre Schwester Rosa – sie war katholisch geworden – nach abenteuerlichen Schwierigkeiten ebenfalls in Echt landete. Rosa blieb nun im Karmel in Echt als Pförtnerin.
Nach dem Protest der holländischen Bischöfe gegen die Judenverfolgung in einem Hirtenbrief, der von allen Kanzeln verlesen wurde, ließen die Nazis alle getauften Juden in Holland verhaften und deportieren. Auch die Schwestern Stein waren darunter. Sr. Benedicta sagte bei der Verhaftung zu Rosa: „Komm. wir gehen für unser Volk!“ Zeugen berichteten, dass sich Sr. Benedicta im Lager Westerbork liebevoll um die verzweifelten Mütter und Kinder kümmerte. In einer letzten Nachricht an den Karmel in Echt schreibt sie aus dem Lager: „Ich konnte bisher herrlich beten!“
Was ist die Botschaft Edith Steins für unsere Zeit? Als Christin entdeckt sie freudig ihre jüdischen Wurzeln. Einem Jesuiten sagte sie: „Sie glauben nicht, was es für mich bedeutet, Tochter des auserwählten Volkes zu sein, nicht nur geistig, sondern auch blutmäßig zu Christus zu gehören.“ Auch Ihre Beschäftigung mit der Frauenfrage ist bis heute richtungsweisend: Wie verbinde ich Arbeit, Beruf und Familie? Ihr Vorschlag: Die betende Orientierung an der Got­tesmutter Maria. Und schließlich: Wissenschaft kann Gottesdienst sein und das Studium soll betend betrieben werden.
Am 11. Oktober 1998 wurde Edith Stein heiliggesprochen, ein Jahr darauf mit der hl. Birgitta von Schweden und der hl. Katharina von Siena zur Mitpatronin Europas ernannt.

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