VISION 20006/2012
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Man kann nicht halber Christ sein

Artikel drucken Appell an ein Europa, das „schläft“

Im Anschluss an eine Tagung an der Theol. Hochschule Heiligenkreuz, in deren Rahmen er  einen Vortrag gehalten hatte, wurde Msgr. Obiora Ike, Generalvikar der Diözese Enugu in Nigeria, gefragt, welche Herausforderungen sich für Europa aus der derzeitige Weltsituation ergäben aus der Sicht eines Landes, in dem Christen verfolgt werden.


Hier in Europa sind die Probleme vor allem religiöser Säkularismus und Atheismus. Wie beurteilen Sie diese Situation?
Mrsg. Obiora Ike: Europa schläft. Das ist schade. Ein voller Bauch studiert nicht gern und dann wird man faul. Das ist nicht neu in der Menschheitsgeschichte. Es ergeht ein Aufruf an europäische Christen, an europäische Politiker aufzustehen. Die Zeit zum Schlafen ist vorbei. Wir leben in gefährlichen Zeiten. Die Armut macht sich breit. Schluss mit dem Wischi-Waschi. Eine Enzyklika wie „Caritas in veritate“ fordert uns doch auf, Stellung zu beziehen. Für die Wahrheit einzutreten. Denn man muss für etwas Bestimmtes leben, für etwas Bestimmtes zu sterben bereit sein. Man kann nicht halber Christ sein, halb Christ, halb Heide, halb Christ, halb Wischi-Waschi! Nein, der europäische Mensch muss wissen, dass die Basis seiner Geschichte, seiner Gesellschaft ein christliches Erbe ist. Und dieses Erbe hat als Basis den Glauben, die Hoffnung, die Liebe, die Tugenden, Arbeit, harte Arbeit, die Weisheit. Wenn wir auf Jesus und Sein Leben schauen, so erkennen wir jemanden, der für die Wahrheit eingetreten ist. Jesus hat immer Klartext geredet. Europa hingegen redet keinen Klartext mehr. Man weiß nicht, ob Europa heidnisch oder atheistisch oder christlich oder von allem ein Bisschen… Das ist nicht das, was wir von Europa erwarten. Deshalb sind wir als afrikanische Christen darauf bedacht, unsere Geschwister in Europa aufzurütteln, dass sie aufstehen und sich äußern – dabei aber konkret und sachlich bleiben.

In Afrika gibt es viele Priesterberufungen, in Europa einen großen Priestermangel. Ruft Gott in Europa weniger als in Afrika?
Ike: Die Europäer müssen zuerst einmal Kinder kriegen. Wenn man keine Kinder hat, gibt es auch keine Berufungen. Gott ruft nicht Hunde oder Ziegen, damit sie Priester werden. Kinder, die nicht in die Welt gesetzt werden, können auch nicht berufen werden. Natürlich sind die Berufungen in Afrika auch ein Geschenk des Himmels. Dass es in Ländern wie in Nigeria, im Kongo, in Kamerun viele geistliche Berufungen gibt, ist Gnade, ein Segen des Himmels. Dennoch ist der Berufene frei, ja zu sagen oder nein. Und wir danken Gott, dass bei uns viele ja zu Gott sagen. Dieser Vorgang beginnt mit der Familie. Christliche Familien müssen ihre Kinder darauf vorbereiten, den Willen Gottes anzunehmen. Hier in Europa hat man den Eindruck, dass die Menschen irgendwie schon satt sind. Man ist geblendet von der Technik, der Modernisierung, der Säkularisierung. All das sind aber vorübergehende Erscheinungen. Das hat keine Nachhaltigkeit. Unsere europäischen Freunde sind aufgefordert, sich der Realität zu stellen, nicht nur daheim, sondern auch in anderen Teilen der Welt: dass Menschen in Not sind, in Armut leben – und dennoch Hoffnung haben, lachen können, sich auf morgen freuen. Ich denke, dass Europa viel Segen empfangen hat und daher aus diesem Segen auch viel tun könnte.

Papst Benedikt hat das Jahr des Glaubens ausgerufen. Welche Bedeutung hat das für Afrika, für Europa?
Ike: Das Jahr des Glaubens ist eine Herausforderung für die ganze Menschheit. Der Mensch ist zum Glauben berufen. Der Mensch kann nur mit einem Sinn im Leben bestehen. Und Glaube bietet Sinngebung. Wenn wir glauben, hat unser Leben eine Orientierung. Und der christliche Glaube ist die Grundlage unseres Menschseins überhaupt. Er beantwortet Fragen wie: Woher kommen wir? Warum sind wir geboren? Wohin gehen wir? Ich denke: Der Aufruf, das Jahr des Glaubens zu begehen, ist ein Kairos, ein Segensmoment.  Es ist ein Ruf für die Kirche in Afrika, ebenso wie in Europa.

Aus einem Interview mit dem Generalvikar Obiora Ike (Portrait 3/2011), das Victoria Fender für Kath.net am 18. Okt. in Heiligenkreuz anlässlich der Tagung Christenverfolgung "Verfolgte und Verfolger" geführt hat (siehe: www.kathtube.com/player.php?id=28943). Msgr. Ikes Kirche wurde kürzlich verwüstet. Wir bitten um Ihr Gebet.

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