VISION 20006/2013
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Der selige Vladimir Ghika

Artikel drucken Botschaft an uns (Von Luc Adrian)

Geboren ist Valdimir Ghika am 25. Dezember 1873, im selben Jahr wie die heilige Thérèse von Lisieux, die er verehrt hat – und zwar in Konstantinopel. Dort war sein Vater, General Prinz Ioan Ghika – er war später rumänischer Außenminister – damals Gesandter. 1881, nach dem plötzlichen Tod des Vaters lassen sich Valdimir und sein Bruder Demeter in Toulouse nieder, wo sie zu studieren beginnen. Nach dem ersten Rechts-Diplom übersiedeln sie nach Paris. Und dort wird sich Vladimirs Interesse auf alle Fächer ausweiten: Literatur- und Naturwissenschaft, Jus, Medizin, Philosophie… Äußerst wissensdurstig wird er vor allem dieses Fach in Rom vertiefen und dort sein Philosophie-Doktorat machen.
Ebenfalls in Rom wird er 1902 zum katholischen Glauben übertreten. „Warum gerade diese Wahl?“ wird er gefragt. „Um noch orthodoxer zu werden,“ gibt er zur Antwort. „Er sah diesen Schritt ebenso wenig als Abfall von seinem orthodoxen Glauben an wie als Entfremdung zu dieser Kirche, die er liebte,“  erklärt Mihaela Vasiliu, Autorin von Une lumière dans les ténèbres (Éd. Cerf). „Es war vielmehr eine Vollendung, ein Zeichen der Einheit dieser beiden Schwester-Kirchen, die in seiner Seele lebten.“
„Sein ganzes Leben wird von der Suche nach Einheit der Kirchen geprägt sein,“ bestätigt Élisabeth de Miribel in ihrer Biographie La Mémoire des silences (Fayard). „Von seiner Mutter her war er von der orthodoxen Spiritualität durchdrungen, in Toulouse hatte er den Protestantismus praktiziert und war von katholischen Kollegen umgeben – und so war er in frühen Jahren verwirrt durch die Unterschiede der christlichen Konfessionen.“
Vereinigung – das sei das Wort, das Ghika kennzeichnet, meint auch P. Philippe  Brizard, emeritierter Direktor des „Oeuvre d’Orient“.
Zwischen 1914 und 1917 wohnt Vladimir in Rom, wo er einerseits diplomatische Aufgaben wahrnimmt und sich andererseits karitativen Werken widmet. Der Umgang mit den Großen dieser Welt ist ihm ebenso vertraut wie der mit Tuberkulosekranken im Spital, mit Kriegsverletzten, mit Erdbeben­opfern in Arezzano oder – später dann – mit Künstlern (er selbst malt, dichtet, musiziert), Intellektuellen und Schriftstellern im Paris der Nachkriegsjahre. Dorthin kehrt er nämlich zurück. Dort schließt er auch Freundschaft mit Francis Jammes und Paul Claudel und ist äußerst angetan vom Kreis um Jacques und Raissa Maritain, die sich für eine geistige Erneuerung einsetzen.
Auch wenn für ihn Werke der Barmherzigkeit der Motor jeglichen Apostolats sind, so ist für ihn „die Wurzel aller Barmherzigkeit in der Messe und der Kommunion“ zu finden, wie er betont. „Die umfassende und zeitlich nicht begrenzte Barmherzigkeit ist nichts als die Ausweitung der Messe auf den Tag und die ganze Welt.“ Vor allem um Messe feiern zu können, folgt er seiner priesterlichen Berufung, nachdem seine Mutter – die dieser Schritt zutiefst verletzt hätte – gestorben war.  
Am 7. Oktober 1923 – er ist damals 50 Jahre alt – wird er zum Priester der Erzdiözese Paris für beide Riten, den lateinischen und den byzantinischen, geweiht.
Zwischen 1923 und 1939 wirkt er dann in Paris. „In unterschiedlichsten Milieus,“ erklärt Élisabeth de Miribel. Das reicht von rumänischen Studenten über nach Paris geflüchtete Russen bis zu Anarchisten, von Okkultisten über abgesprungene Priester bis zu Freimaurern, von Homosexuellen bis zu Prostitutierten… Vor allem durch seinen Beichtdienst kommt es damals zu vielen Bekehrungen.“
Oft sind solche Bekehrungen „brutal“ und auf Ghikas wagemutiges Apostolat, auf die Gabe der Tränen dieses „Seelenfängers“ zurückzuführen: Viele Hartgesottene bekehren sich, wenn sie ihn über ihre Sünden weinen sehen. Zwischen 1924 und 1928 gehören auch die Lumpensammler von Villejuif, diesem verrufenen Vorort, zu seinen Schäfchen. Dort hatte dieser „von Christus enterbte Prinz“ in einer Hütte eine Kapelle eingerichtet.
„Dank des Heiligen Geistes lebt Pfarrer Ghika jeden Augenblick seines Lebens im Angesicht Gottes,“ hebt P. Dany Dideberg, Theologie-Professor in Brüssel hervor. „Daher ist jede Begegnung, insbesondere die mit den Armen, eine wahre Liturgie, eine ,Liturgie der Nächstenliebe’. Gleichzeitig ist sie auch Öffnung und Bereitschaft, den unterschiedlichsten Bedürftigkeiten Rechnung zu tragen. Da entwickelt sich eine wahre ,Theologie der Bedürftigkeit’. Kein fremdes Leid bleibt unbeachtet.“
Als Mitglied des Direktoriums der internationalen Eucharistischen Kongresse unternimmt Vladimir Ghika zahlreiche Reisen auch außerhalb Europas, das er wie seine Westentasche kennt: Sydney (1928), Karthago (1930), Dublin (1932), Buenos Aires (1934), Manila (1936), Budapest (1938). „Meine Bahn,“ sagt er humorvoll, „ist die Eisenbahn.“
1933 begleitet er – Papst Pius XI. nennt ihn den „großen apostolischen Landstreicher“ – die Karmelitinnen von Cholet nach Tokio, wo sie den ersten Karmel in Japan errichten werden. Bei einem Treffen mit dem Kaiser wagt er es sogar – was eigentlich ein Sakrileg darstellt – diesen zu segnen und ihm die Geburt eines Sohnes zuzusagen – ein Ereignis, das im darauf folgenden Jahr auch eintritt.
Im September 1939 bricht dann der 2. Weltkrieg aus. Seit Anfang August hält er sich damals in Rumänien auf, wo er sich ganz in den Dienst der Lepra-Kranken stellen möchte. Als nun aber ein Flut von polnischen Flüchtlingen das Land überschwemmt, schenkt er diesen seine ganze Zeit.
Das junge Rumänien wird von Nazi-Deutschland und der Sowjetunion in die Zange genommen. Im August 1944 wird es von den Russen erobert. Der Besatzer überträgt die Macht den örtlichen Kommunisten und 1947 dankt König Michael ab. Die Regierung beginnt, die Kirchen zu überwachen. Ghikas Ortsveränderungen werden kritisch beobachtet. Er verliert allen Besitz (seine Familie wird damals enteignet). Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich, aber er lehnt es ab, das Land zu verlassen. Der Prinz will unter den Seinen bleiben, „um aus Liebe das zu tun, was aus Pflichtgefühl getan werden müsste.“
Anfang 1952 verbietet man ihm zu predigen. Als Ersatz dafür improvisiert er an der Orgel Lob- und Dankgesänge nach der Heiligen Messe. Am 18. November aber wird er letztendlich als „Spion des Vatikan“ verhaftet. Tatsächlich hatte er im Geheimen die Verbindung zwischen den im Land verfolgten Bischöfen und Rom aufrechterhalten – was Spitzel verraten hatten.
Ein Jahr lang dauern dann die Befragungen und Folterungen: Die Peiniger der „Securitate“ schlagen ihm nicht nur die Zähne und Ohren kaputt, sie hängen ihn auch 100 Mal auf, um ihn wieder los zu machen. Im Oktober 1953 wird er verurteilt und sofort ins triefend nasse Gefängnis Jilava bei Bukarest eingesperrt. Mitten in der Kälte, der Feuchtigkeit, der Promiskuität und trotz rasch abnehmender Kraft­reserven ist Vladimir Ghika bemüht, dort seine Schicksalsgenossen zu ermutigen und mit ihnen zu beten.
Zuletzt aber hat er sich dann doch total verausgabt und stirbt am 17. Mai 1954, 81-jährig. „Bei ihm, der so viel für die Annäherung der Kirchen getan hatte, hielten ein Jude, ein tartarischer Hodschar, ein amerikanischer Priester und orthodoxer Pope die Totenwache,“ stellt P. Hilippe Brizard erstaunt fest. „Wenn der Tag sich neigt,“ hat dieser Glaubenszeuge geschrieben, „erkennt man die Jünger, so wie ihren Meister, nur mehr an der Art, wie sie das Brot ihres Körpers brechen, um es für ihre Brüder zu opfern.“
Heute, da nach den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts neue Ideologien den Anspruch erheben, ihrerseits einen „neuen Menschen“ zu schaffen, der sein eigener Gott sein soll, erklingt der friedliche Widerstand von Vladimir Ghika wie ein Weckruf. „Sein Leben, sein Zeugnis sind enorm aktuell,“ bestätigt P. Daniel-Ange (Ghika war es übrigens, der dessen Eltern vermählt hatte), „vor allem in der im Westen vorherrschenden ideologischen Unterdrückung, die man schon fast als Meinungsdiktatur, die sich auf dem Hintergrund einer hinterhältigen, arroganten, intoleranten Christenfeindlichkeit abspielt, bezeichnen kann.“ Das Dekret zur Seligsprechung des Märtyrers und Die­ners Gottes war eine der ersten Handlungen von Papst Franziskus, der selbst von der Theologie der Bedürftigkeit und der „Liturgie der Nächstenliebe“ geprägt sein dürfte.
Auszug aus Famille Chrétienne v. 24.-30.8.13

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