VISION 20003/2014
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Kinder um Vergebung bitten

Artikel drucken (Christine Ponsard)

Dass wir unseren Kindern vergeben, erscheint normal – auch wenn es oft nicht leicht fällt. Aber wer denkt schon daran, dass man sie auch selbst um Verzeihung bitten sollte? Und warum überhaupt?

Einfach, weil es vorkommt, dass man sie verletzt, weil man ungerecht, zu heftig, egoistisch war. Weil wir nun einmal Sünder sind, sind wir auch Eltern, die ihre Kinder verletzen. Und diese Verwundungen wirken sich umso ärger aus, als sich die Kinder uns gegenüber in einer Position großer Schwäche befinden.
Oft passieren uns Ungeschicklichkeiten, Fehler unbewusst: Wir machen etwas falsch, obwohl es gut gemeint war. Aber es kommt auch vor, dass wir uns sehr wohl bewusst sind, falsch gehandelt zu haben: ein im  Zorn gesprochenes hartes Wort, ein nicht gehaltenes Versprechen, ein ungerechter Vorwurf, ganz abgesehen von schlimmerem Unrecht: wiederholter Gewaltanwendung, heftigem Streit der Eltern vor den Kindern, Verlassen des gemeinsamen Haushalts, usw…
Büßt man nicht an Autorität ein, wenn man sich bei Kindern entschuldigt? Ist das in deren Augen nicht eine Art Erniedrigung, die ihr Vertrauen zerstören könn­te? Ja, durchaus, wenn wir unsere Schwächen laufend vor ihnen bejammern, unsere Unzulänglichkeit vor ihnen ausbreiten, immer wieder Entscheidungen, die sie betreffen, in Frage stellen. Aber um all das geht es ja nicht!
Sie um Vergebung zu bitten, ist etwas, was sich klar, eindeutig und punktuell auf ein Ereignis zu beziehen hat – oder auf mehrere: „Verzeih, dass ich gesagt habe, du seist zu nichts nutz. Das war unfair und stimmt nicht; ich war verärgert und habe mich im Wort vergriffen. Es war falsch und tut mir leid.“
Um Vergebung zu bitten, ist ein Akt der Wahrheit: Wir nehmen zur Kenntnis, dass das Kind verletzt wurde – und dass wir dafür die Verantwortung tragen. Und diese Wahrheit macht frei. Für das Kind ist das sehr wichtig. Indem wir ihm klar sagen, dass wir unrecht haben, befreien wir es von falschen Schuldgefühlen.
Für kleine Kinder haben nämlich Erwachsene immer recht, vor allem wenn es der Vater oder die Mutter ist: Wenn es also zu einem Problem kommt, denkt das Kind zwangsläufig, es habe unrecht gehandelt. Ist es größer geworden, erkennt es, dass sich seine Eltern ungerecht verhalten können. Wenn sie sich dann entschuldigen, stellt das in den Augen des Kindes keineswegs eine Herabwürdigung dar, sondern es vermehrt eher die elterliche Autorität, weil damit eine Beziehung der Wahrhaftigkeit zum Ausdruck kommt.(…) Wann soll man um Vergebung bitten – und wie? Das hängt von der Situation ab: von der Schwere der Kränkung, dem Alter des Kindes, seiner Persönlichkeit. Allgemein gilt: so früh wie möglich. Das Abendgebet kann eine Gelegenheit sein, Bitten um Vergebung zu äußern. Briefe können oft helfen, etwas Schwieriges zu artikulieren: Selbst wenn man unter einem Dach lebt, kann man dem anderen schreiben. Das ist durchaus nicht lächerlich! In manchen Fällen wird es notwendig sein zu warten…
Einfache Worte bewähren sich am besten. Man sollte nicht um den heißen Brei herumreden, nicht dramatisieren, sondern klar auf das Ziel lossteuern: „Ich hab dich lieb, war im Unrecht, bitte verzeih mir!“ Unser ganzer Körper sollte es ausdrücken: unser Lächeln, die offenen Arme, die sanfte Stimme. Nicht zu vergessen: Um Vergebung zu bitten, bedeutet keineswegs Vergebung zu fordern. Man muss sich damit abfinden können, dass das Kind seinerseits Zeit braucht, um wirklich vergeben zu können, vor allem wenn die Kränkung schlimm war und schon lange zurückliegt. Das Vergeben ist ein Weg, der auch lang sein kann. Aber es ist nie zu spät, um zu vergeben und um Vergebung zu bitten – selbst nach dem Tod.

Auszug aus einem Beitrag in „Famille Chrétienne“ Nr. 1209

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