VISION 20002/2015
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Die Erlösung der Religionen

Artikel drucken Mit Christus trat etwas Neues in die Welt (P. Clemens Pilar COp)

Schon seit einigen Jahrzehnten gibt es Theologen, die versuchen, die Begriffe Glauben und Religion auseinanderzuhalten. Man kann natürlich darüber streiten, ob das sinnvoll ist oder ob das überhaupt gelingen kann. Aber möglicherweise ist die Unterscheidung dieser beiden Begriffe hilfreich, um das Besondere des christlichen We­ges zu erfassen. Der deutsche Theologe Gerhard Lohfink sagt zum Beispiel: Das Christentum ist eigentlich die Erlösung der Religion. Was ist damit gemeint? Es fällt uns heute schwer, das zu verstehen.
Ich werde versuchen, einige typische Merkmale der Religion herauszugreifen – vieles finden wir auch in der Art und Weise, wie Christen ihr Christentum leben. Typisch ist meist, dass man zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen unterscheidet, zwischen Zeitlichem und Ewigem, zwischen dem Heiligen und dem Profanen. Es sieht aus, als hätte man zwei Welten vor sich. Die Menschen versuchen, aus der einen – der vergänglichen – in die andere – die bleibende – zu gelangen. Gott oder, je nach Religion, die Götter wohnen jenseits in der ewigen Welt. Ihnen schickt man Gebete und Opfer in der Hoffnung, dass sie dem Menschen zu Hilfe kommen.
Man errichtet besondere Gebäude, die man als heilige Orte bezeichnet, Tempel, Kirchen, Kultstätten, an denen man sich Gott oder den Göttern besonders nahe wähnt. Wichtig ist dabei immer, dass man die richtigen Rituale durchführt, die entsprechenden Gebete spricht und eventuell auch Opfer bringt. Die Opfer werden nach dem Tauschprinzip dargebracht. Man gibt Gott etwas, damit er im Gegenzug seine Gnaden spendet. Heute findet sich das Christentum – zumindest so, wie es von vielen gelebt wird – gut einge­passt in dieser religiösen Welt wieder. Aber das war nicht immer so!
Nur wenn wir an den Ursprung zurückgehen, werden wir den großen Unterschied wieder erkennen. Dann besteht kein Zweifel mehr, dass der Weg mit Jesus etwas anderes ist als der Weg der Religionen. (…) Es muss ein begeisternder Aufbruch gewesen sein! Man hat damals auch noch nicht vom „Christentum“ oder den „Christen“ gesprochen, sondern vom „Neuen Weg“ (vgl. Apg 9, 2). Es ist wirklich ein neuer Weg, der nun in der Nachfolge Jesu beschritten wurde.
Worin besteht das Neue, und welche Konsequenzen ergeben sich für alle, die diesen Neuen Weg beschreiten? Auch die ersten Jünger Jesu brauchten Zeit, um zu erfassen, was mit dem Kommen Jesu, seinem Sterben am Kreuz und seiner Auferstehung wirklich geschehen ist. Gott ist Mensch geworden! Der Himmel hat sich zur Erde geneigt! Die Trennwand zwischen Gott und Geschöpf ist niedergerissen. Der Vorhang im Tempel, der das Heilige vom Profanen getrennt hat, ist zerrissen (vgl. Lk 23,45). Jesus hatte schon zuvor gesagt, dass die Zeit kommt, in der man nicht mehr an einem bestimmten Ort beten wird, sondern im Geist und in der Wahrheit (vgl Joh 4, 23). In einem alten, schwungvollen Kirchenlied drücken wir das aus: „Allerorten ist dein Tempel, wo das Herz sich fromm dir weiht.“

Auszug aus Der Jünger Christi 9/13. Siehe auch das Interview mit P. Clemens S. 8-9


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