VISION 20003/2015
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Krisen bewältigen lernen

Artikel drucken Seelische Gesundheit braucht ein stabiles Elternhaus (Von Christa Meves)

Seit Jahrzehnten  berät die Au­to­rin als Psychotherapeutin Ju­gend­­liche. Daher weiß sie, dass de­ren Wohlergehen vom Um­­gang der Eltern mit­ein­an­der abhängt. Und es zeigt sich: Die le­bens­lan­ge Ehe ist der ideale Rah­men für gedeihliche kindliche Entfaltung.

Ach, es hat doch zunächst nach einer so guten Lösung ausgesehen,“ klagt eine verzweifelte Mutter in der Praxis, „ich bin total fertig, so können wir nicht weiterleben!“
Und sie erzählt: „Es begann zunächst romantisch. Ich hatte im Tennisclub einen tollen Mann kennengelernt; aber er war in einer Notsituation: Zu Hause hatte er drei halbwüchsige Kinder. Seine Frau war ihm wegen eines anderen Mannes fortgelaufen. In meiner eigenen Ehe kriselte es damals. Mein Mann  war beruflich gestresst und verbreitete abends eine miese Stimmung. Gegen den täglichen Frust fand ich Trost bei meinem Tennis­partner, was mein Mann erfuhr. Er setzte die Kinder und mich einfach auf die Straße. Naheliegend, dass ich zum anderen Mann gezogen bin!
Eine kleine Weile schien das ganz gut zu gehen; aber dann brach das Chaos aus: Ewig Streitigkeiten zwischen den Kindern. Mein Sohn zündete dem Ziehvater eines Tages sogar seine Anglerhütte an. Seine Tochter begann, mich nach Strich und Faden zu beklauen. Eine der Töchter  wurde nach einem Besuch von der leiblichen Mut­ter einfach nicht wieder herausgegeben, was einen Prozess um das Aufenthaltsrecht entfesselte. Meine Tochter kam von ihrem Besuch beim Vater völlig verstört zurück. Hatte er womöglich etwas Sexuelles mit ihr angefangen? Wir hatten einen schönen Wunschtraum, aber die Wirklichkeit…“, schließt die Frau ihren traurigen Bericht.
Das ist nur einer unter vielen ähnlichen Berichten – manchmal sogar bis zur physischen Vernichtung der Familie. Süßes, immer neues, vielfältiges Glück, ein reicheres Leben verhieß der liberalistische Geist der 70er Jahre. Aber heute stehen wir vor den Trümmern dieser leichtfertigen Selbstherrlichkeit.
Jedenfalls bei den Ehen, aus denen Kinder hervorgegangen sind, ist von vermehrtem Sonnenschein des Lebens wenig zu entdecken. Vielmehr tragen die geschiedenen Familienmitglieder über Jahrzehnte, wenn nicht gar lebenslänglich, eine fortgesetzt schwärende seelische Wunde mit sich herum, die allenfalls vernarbt, sich aber kaum einmal schließt.
Sie bleibt offen in den langen Jahren, in denen die Kinder hin und her pendeln – weil jeder der Eltern mehr geliebt sein möchte als der andere.  Dadurch geraten die geschiedenen Eltern in die Versuchung, den Ex-Partner bei den Kindern herabzusetzen, besonders, wenn die Kinder eine kritische Position gegen den Elternteil einnehmen, bei dem sie zu Besuch sind oder dem sie – wie es das Gesetz befiehlt –  gezwungen sind zu begegnen.
Fast zwangsläufig geschieht das und bewirkt nur allzu oft, dass der Versuch gemacht wird, das Kind durch Verwöhnung für sich zu gewinnen. Wie schnell empfindet das besonders der Elternteil, der den Kinderalltag zu bestehen hat, als bedrohliche, hassenswerte Ungerechtigkeit! Für die Kinder aber bedeutet diese oft chronische Situation mehr als nur Unsicherheit durch das verlorene Nest: nämlich ein seelisches Zerrissensein, das sie nicht auf den Lebenskampf zurüstet, sondern sie in gefährlicher Weise dauerhaft schwächt.
Wie riesengroß wachsen sich häufig auch die finanziellen Probleme aus: das Untragbar-Werden der Belastung etwa eines Mannes, der nach der Scheidung wieder heiratet und nun zwei Familien zu versorgen hat, die Verarmung, oft auch die Verschuldung einer geschiedenen Mutter, die stolz auf Unterhaltsleistungen verzichtet oder deren Mann sich weigert, seine Kinder zu versorgen, indem er angibt, zahlungsunfähig zu sein.
Die Potentiale an Aggression, Hass, ohnmächtiger Verzweiflung können sich in Kindern da so anstauen, dass das Bedürfnis nach Rache als Zerstörungswahnsinn ausbricht.
Aber selbst wenn es doch noch nicht allzu häufig zu solchen dramatischen Auswüchsen kommt, bedeutet Scheidung für die gesamte betroffene Familie in der Mehrzahl der Fälle dennoch ein grundsätzlich sehr erschwertes Schicksal.
Langzeit-Großuntersuchungen in den USA an Scheidungswaisen haben erwiesen, dass sie nie ganz frei werden von den seelischen Wunden, die durch die Scheidung der Eltern hervorgerufen wurde (siehe Vance Packard: Der Verlust der Geborgenheit). Immer bleibt der Wunsch, die Eltern möchten mit ihnen gemeinsam wieder eine einzige einige Familie bilden, in ihnen lebendig!
Noch als Erwachsene fühlen sich viele wie zerrissen im Kreidekreis zwischen Mutter und Vater. Manchmal fühlen sie sich genötigt, nur für einen Partei zu ergreifen, obgleich sie beide lieben möchten oder nicht selten gerade den, der sich mehr ins Unrecht setzte. Fast immer – auch wenn sie sich von beiden zu distanzieren suchen – fühlen sie sich von Schuldgefühlen gequält.
Und es ist eine leichtfertige Hoffnung der sich scheidenden Eltern zu meinen, ihre Kinder würden den neuen Partner ohne weiteres als neuen Vater, als neue Mutter akzeptieren! Gewiss, äußerlich passen sich die meisten zunächst an, aber dann beginnt – wie im geschilderten Fall – der Terror, oft auch in Gestalt von Schulversagen oder Schlimmerem. Seelenelend – hundertfältig!
Diese Erfahrungen müssen uns in der bedrängten Situation heute lehren, den Schritt zur Trennung der Eltern nur zu vollziehen, wenn durch schwerste Eheunfähigkeit eines oder beider Partner ein Zusammenbleiben noch wesentlich schädlicher für die Kinder wäre. Ich habe in meiner Praxis aber sehr oft die Erfahrung gemacht, dass die Krise eines zerstrittenen Ehepaares als zu wenig revidierbar eingeschätzt wird.
Hier ist – außer psychologischer Beratung – vor allem eine christliche Einstellung hilfreich und nötig, um eine kritische Ehephase ohne Scheidungskatastrophe überstehen zu können, ja mehr noch, dass – oft auch durch gute Seelsorge – ein besseres gegenseitiges Verstehen erwirkt werden kann und damit sogar ein neues Glück.
Auch der Gedanke, die Verantwortung für die seelische Gesundheit der Kinder höher einzuschätzen als eheliches Wohlbefinden  kann helfen, in christlichem Geist dieses hintanzustellen. Der Gedanke des Verzeihens – „siebenmal siebzigmal“, wie Christus es gelehrt hat (bei schweren Vergehen, bei schwerer Kränkung) – kann den Rachedurst des Gekränkten schmälern, nachdem die Kraft zum Vergeben erbetet wurde.
Es ist ein hilfreicher Gedanke, die psychotherapeutische Erfahrung zu beherzigen, dass Kinder aus stabilen Elternehen in sich stabiler sind. Bemühungen einer Stabilisierung dieser Art tragen oft gute Früchte: Die Überwindung gegenseitiger ehelicher Ablehnung – um des Erhalts der Familie willen – bewirkt außerdem seelische Reifung, bewirkt mehr Belastbarkeit und zieht auch den seelisch schwächeren Elternteil mit hinan.
Auch auf die heranwachsenden Kinder wirkt sich ein solches Durchhalten positiv vorbildhaft aus: Nachweislich verlieren Kinder aus geschiedenen Ehen leichter den Mut, die eigene Ehe fortzuführen, wenn eine Krise eintritt, während die erwachsenen Kinder zusammenhaltender Eltern bei eigenen Eheschwierigkeiten sich viel eher am Durchhalten der eigenen Eltern orientieren und dadurch eher fähig sind, die eigenen Ehenöte durchzustehen, ja, mehr noch: Kinder, die bei einem seelisch stabilen Elternpaar aufwachsen, bei denen ein friedliches Miteinander dominiert, haben allgemein eine bessere Möglichkeit, den eigenen Lebensschwierigkeiten gewachsen zu sein.
Das Großexperiment mit der Ehe auf Zeit hat mit ihren so tief negativen Ergebnissen  eindrucksvoll die Überzeitlichkeit des Gebotes von Jesus Christus: „Denn was Gott zusammenfügt, das soll der Mensch nicht scheiden,“ bestätigt: Das Konzept der Einehe auf Lebenszeit erhöht die Wahrscheinlichkeit von mehr Glück, von mehr Frieden, allerdings nur dann, wenn in ihr nach den Prämissen des Christentums miteinander umgegangen wird.
Nicht auf das starre Bewahren eines mosaischen Gesetzes allein kann es dabei heute  ankommen, nicht auf eine Rückkehr allein zu einer gesetzlichen Erschwerung der Ehescheidungen. Fortschrittlich kann nur ein Sich-Ausrichten der Eheleute im Alltag an den Liebesgeboten für- und miteinander sein, wie Jesus Christus sie vorlebte und vorgab.

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