VISION 20006/2015
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Aufbruch erwächst aus dem Staunen

Artikel drucken Die Bereitschaft wecken, überall Zeugnis zu geben

Aufbruch signalisiert Dynamik, Engagement, Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. Leider wirkt die Kirche in Mitteleuropa eher nicht so, als wäre sie von einer solchen Dynamik geprägt. Was müsste geschehen, damit eine Aufbruchsstimmung sich in ihr breitmacht? Gespräch mit dem Nationaldirektor von Missio Austria:

Du hast in Deinem Leben so viele Aufbrüche miterlebt: bei Deinen Bemühungen, Radio Maria in fernen Ländern einzuführen, bei der Begleitung von Mutter Teresa von Kalkutta, bei Deinen Besuchen bei der Untergrundkirche im Osten. Erzähle uns, was es bedeutet aufzubrechen.
P. Leo Maasburg: Aufzubrechen ist immer mit Staunen verbunden. Wir erfahren, dass uns etwas Neues begegnet, das in uns eine Veränderung auslöst. Plötzlich erkennt man etwas Wichtiges und integriert es ins eigene Leben.

Klingt sehr theoretisch. Kannst Du das an einem Beispiel illustrieren?
P. Maasburg: Vor vielen Jahren bin ich für Radio Maria nach Bolivien gefahren, um herauszufinden, ob man in Santa Cruz eine Niederlassung gründen könnte. Dort bin ich dann am Flughafen gestanden, habe niemanden in der Stadt gekannt und wusste nicht, wo ich anfangen soll. Mein erster Gedanke: „Lieber Gott, jetzt musst Du mich führen!“ Ich sah mich um und war ganz offen für das, was passieren würde, um herauszufinden, wohin mich Gott führen würde. Es hat keine zehn Minuten gedauert und eine Horde von Schwestern kam aus dem Flughafengebäude. Als ich sie in einen Bus, in dem noch Platz war, einsteigen sah, habe ich sie gefragt, ob ich mitfahren könnte. Von da an war die Sache klar. Die Schwestern haben mich zum Bischof gebracht, einem Italiener, der Radio Maria kannte. Und so kam das Projekt auf Schiene… Für einen gläubigen Menschen ist Aufbrechen also immer mit einem Akt des Vertrauens auf Gottes Führung verbunden. Wer aufbricht, lässt sich auf etwas Neues ein, auf etwas, was er in wichtigen Aspekten nicht in der Hand hat – und er erlebt im Zuge der Ereignisse immer wieder Geborgenheit in Gott.

Und wie war das bei der Begleitung von Mutter Teresa?
P. Maasburg: Die Begegnung mit ihr war ein ganz großes Staunen. Angefangen hat es mit einer Führung durch den Vatikan und geworden ist daraus eine jahrelange Begleitung auf ihren Reisen durch die Welt. Es war die Begegnung mit einer Heiligen, einer Person, die so viel von Jesus aufgenommen hatte, dass man sich sehr gut vorstellen konnte, wie Jesus in der Welt gelebt haben muss. Sie war für Ihn transparent in ihrer Armut, ihrer Keuschheit, ihrer Freude, ihrem Gehorsam, ihrer Liebe. Ich habe anfangs gesagt, Aufbruch sei Ergebnis des Staunens. Und dieses Staunen lässt uns immer irgendeine Seite Gottes entdecken. Und das durfte man mit Mutter Teresa erleben.

Gut. Aber im Staunen selbst ist ja noch keinerlei Dynamik, die man ja mit dem Wort Aufbruch verbindet, enthalten.
P. Maasburg: Wirkliches Staunen verändert den Menschen, löst etwas in ihm aus. Wir erkennen etwas Großes, Anstrebenswertes und erleben gleichzeitig, dass wir noch weit von dieser Attraktion entfernt sind. Und das löst in unserem Inneren einen Impuls aus, uns neu aufzumachen. Jeder wirkliche Aufbruch ist daher von einer Veränderung in meinem Inneren ausgelöst. Und genau das ist bei fast jeder Begegnung mit Mutter Teresa geschehen: Man hat etwas staunend wahrgenommen.

War auch ihr Leben von solchen Aufbrüchen gekennzeichnet?
P. Maasburg: Jedenfalls an ihrem „Inspiration Day“, dem Tag ihrer Berufung. Damals hat sie das Wort „Mich dürstet“, das Jesus vom Kreuz aus spricht, ins Herz getroffen. Sie hatte es sicher vorher in ihrem Leben –zigmal gehört und gelesen. Diesmal verstand sie diese Sehnsucht Jesu nach der Liebe des Menschen – auch nach ihrer – ganz neu. Und sie hat auf diesen Anruf mit all ihrer Kraft geantwortet – und das hat sie zur Heiligen gemacht. Sie hat sich verändern lassen, ist aus ihrem Orden ausgetreten und hat einen neuen gegründet. Sie hat viele Härten auf sich genommen, weil sie so von der Freude, Jesus lieben zu können, erfüllt war. Was damals geschah, war wirklich ein ganz großer Aufbruch und mit einer tiefen Freude verbunden.

Hat Mutter Teresa somit alles, was in ihrem Alltag ge­schah als Anruf Gottes gesehen?
P. Maasburg: Ja, jedes kleinste Detail ihres Lebens war für sie ein Dialog mit Gott. Der Grund dafür war ihre Einsicht, dass die Liebe Gottes „all penetrating“ – alles durchdringend – ist. Umso härter muss es sie getroffen haben, dass sie erleben musste, dass Gott sich jahrelang ganz aus ihrem emotionalen Lebensbereich zurückgezogen hat. Dennoch ist sie den einmal eingeschlagenen Weg weitergegangen. Denn Aufbruch muss nicht immer mit Hochstimmung einhergehen. Er kann auch mit Lasten und Beschwerden verbunden sein. Weil sie allerdings um ihre tiefe Gottverbundenheit gewusst hat, lebte sie dennoch in einem Frieden, den nur Gott schenken kann. In ihr verwirklichte sich der Satz von Paulus: Nicht mehr ich lebe, sondern Christus in mir. Sie hatte durch ihre Hingabe an Christus ihre eigene Identität gefunden.

Welche Voraussetzungen muss man schaffen, um zu dieser Offenheit zu finden?
P. Maasburg: Neugierde und ehrliche Offenheit der Wahrheit gegenüber. Diese Neugierde wird heute vielfach dadurch gehemmt, dass sich die Menschen durch Konsum ruhigstellen lassen. Sie erhoffen sich gar nichts mehr. Der Fernseher am Abend und daneben ein Bier – das genügt. Sobald mich die Welt vollkommen befriedet, breche ich nicht mehr auf. Das ist der gefährliche Zustand der Lauheit. Dann ist mir auch die Wahrheit nicht mehr so wichtig. Und dabei sollte das Streben nach Wahrheit an oberster Stelle unseres Bemühens stehen. Und noch etwas scheint mir wichtig: sich im guten Sinn von Erfahrungen im Alltag betreffen lassen.

Wie ist das zu verstehen?
P. Maasburg: Dazu eine Geschichte aus dem Leben von Mutter Teresa: Ein gut gekleideter Mann kommt in das Haus für die Sterbenden und fragt, ob er Mutter Teresa sprechen darf. Man weist ihn ganz nach hinten zu den Toiletten, wo sie gerade putzt. Sie merkt, dass jemand herankommt, meint, es sei ein ehrenamtlicher Helfer und drückt ihm, ohne aufzuschauen, den Häuselbesen in die Hand und geht weg. Der Mann ist ganz verdutzt – und putzt eben die Toilette. Als er fertig ist, fragt er, ob er jetzt die Mutter Teresa sprechen könne. Diese fragt ihn, was sie für ihn tun könne, worauf er erwidert: „Eigentlich nichts. Ich bin der Direktor der Fluggesellschaft und wollte ihnen eigentlich nur ihre Tickets vorbeibringen.“ Später hat er einmal gesagt, die 20 Putz-Minuten seien die wichtigsten in seinem Leben gewesen. Er hatte eine neue Dimension des Lebens entdeckt, das Dienen. Für ihn ein Aufbruch. Diesen hat er seiner Offenheit zu verdanken. Er hätte ja auch wieder weggehen und die Tickets beim Eingang deponieren können. Ein wichtiges Element für den Aufbruch: Nicht vor dem davon laufen, was einem Gott über den Weg schickt.

Gibt es besondere Aufbrüche der Kirche in bestimmten Regionen der Welt?
P. Maasburg: Viele Kirchen in Afrika explodieren geradezu. Die Priesterseminare in Kamerun müssen hunderte Seminaristen abweisen, weil sie zu viele Berufungen haben. Ja, es gibt Gebiete, in denen die Kirche wächst und blüht.


Was läuft dort anders als hier?
P. Maasburg: Dort sind die Menschen offen für Verkündigung, für Neues, für Wahrheit. Sie sind sich ihrer Bedürftigkeit noch bewusst. Und sie setzen auf einen Weg, der sie positiv überraschen wird. Aber auch als Gesamtkirche entdecken wir wieder, dass die Verkündigung des wahren Glaubens hochmodern ist. Je weiter sich die Dinge in der Gesellschaft verschlechtern, umso deutlicher wird, dass auftauchende Probleme aus dem Glauben heraus richtig gelöst werden können.
Viele Gläubige stellen das heute staunend fest und fassen Mut: Sie müssen ihren Glauben nicht als etwas Überholtes verstecken. Sie machen die Erfahrung, dass sie ihren Mitmenschen wirklich etwas zu sagen haben, was für deren Leben relevant ist.

Die Öffentlichkeit in Mitteleuropa nimmt uns Christen allerdings kaum in dieser Weise wahr. Was müssen wir da anders machen?
P. Maasburg: Zum Beispiel, was unseren Glauben betrifft, lernen, dass er nicht von staatlicher Förderung abhängt. Die Kirche lebt nicht von Staatens Gnaden.  Ja, wir  müssen nicht einmal in den großen Medien präsent sein, oder an unsere Mission mit perfekt ausgeklügelten Modellen herangehen. Für unsere Zeit ist es, glaube ich, besonders wichtig, dass wir uns neu von Gott führen lassen, einzeln und als Kirche nach Seinem Willen fragen und eine Antwort erwarten. Wir müssen uns  aufmachen und den Glauben verkündigen: in der Familie, bei unseren Freunden und Mitarbeitern, in einem Altersheim – oder an der Straßenecke, woimmer man dazu berufen ist.
Das kann durch Worte geschehen, durch Tun oder aber durch einfaches Dasein. Sobald ich mich vom Geist Gottes erfassen lasse, werde ich  selbst Verkündiger. Wir sind da an keine Vorgaben der Welt gebunden. Auch die Apostel mussten ihren Weg erst entdecken, aber sie wussten, dass sie einen Schatz brachten. Es geht also letztlich darum, dass der Heilige Geist durch uns wirken kann.
Das Gespräch führte Christof Gaspari.

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