VISION 20006/2015
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Einfach unkompliziert, normal katholisch sein

Artikel drucken Stift Heiligenkreuz: Aufbruchstimmung in einem 1133 gegründeten Kloster (Von Pater Karl Wallner OCist)

Inmitten einer Kirche, der Prognostiker kaum Zukunfts­chancen einräumen, boomt Stift Heiligenkreuz und seine Hoch­schule: Das Kloster platzt aus allen Nähten, die Hochschule musste ausgebaut werden. Was sind die Ursachen für diesen schon Jahrzehnte währenden Aufbruch?


Ich kann eigentlich nicht wirklich darüber jubeln, dass mein Kloster Heiligenkreuz so einen unglaublichen Boom erlebt. Denn der Kirche in Europa geht es insgesamt schlecht. Zwar ist die katholische Kirche in den letzten 100 Jahren dramatisch stark gewachsen: um fast eine Milliarde – auf 1,25 Milliarden Katholiken weltweit. Aber dieses Wachstum ereignet sich vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika.
Rund um uns hier in Europa schrumpft der Anteil der Katholiken besorgniserregend schnell. In Wien werden nach den jüngsten Statistiken in 30 Jahren nur mehr 30% katholisch sein und der Anteil der Muslime wird auf 22% gestiegen sein, wobei die Christen alt, die Muslime jung sein werden. Es gibt keine seriösen Statistiken, ob und wann in Österreich der Anteil der christlichen Bevölkerung auf unter 50% sinkt, in England soll dies bereits 2021, also in 6 Jahren, der Fall sein.
Mitten in diesem sich entchristlichten Europa gibt es allerdings erstaunliche Oasen der Blüte und des Wachstums. Heiligenkreuz ist nicht die einzige Gemeinschaft, die boomt: Es gibt junge Orden, Bewegungen, charismatische Aufbrüche… Gott sei Dank! Das Spannende an Heiligenkreuz ist, dass wir ein uraltes Kloster sind. 1133 gegründet, bestehen wir seit fast 900 Jahren ohne Unterbrechung. In idealer Lage: mitten im Wienerwald, 15 Kilometer von der Stadtgrenze Wiens.
Das Wachstum in Zahlen ist fast unglaublich: Schon 1982, als ich in Heiligenkreuz eingetreten bin, zählte Heiligenkreuz 42 Mönche. Jetzt, im Jahr 2015 sind wir aber mehr als doppelt so viele: 91, wobei der Altersschnitt bei 48 Jahren liegt. Im Sommer 2015 konnte Abt Maximilian Heim 8 junge Männer als Novizen einkleiden. Da wurden noch schnell zwei Abstellräume und eine Müllkammer in (doch recht ansehnliche) Zimmer umgebaut, damit wir auch weiterhin für Gäste Platz haben.
Noch dramatischer ist das Wachstum der „Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz“. Unsere 1802 gegründete Ordenshochschule zählte bis 1975 nur um die 10 bis 20 Studenten. Dann setzte ein kontinuierliches Wachstum ein: 2007 – als Papst Benedikt XVI. Heiligenkreuz besuchte – waren es schon 125 und heute sind es 295 Studenten! Das Sensationelle an dieser Zahl ist: Die meisten von Ihnen sind Priesteramtskandidaten oder Ordensleute, und etwa 40 junge Männer studieren deshalb hier, weil sie eine Berufung spüren, aber noch eine Zeit der Reife, des Wachstums im geistlichen Leben brauchen.
Heiligenkreuz ist die größte Priesterausbildungsstätte im deutschen Sprachraum. Seit 1975 gibt es ein eigenes Priesterseminar mit 28 Zimmern. Da sich schon 2014 gleich 38 angemeldet hatten und Abt Maximilian keinen abweisen wollte, stehen seit einem Jahr 10 Wohncontainer im Garten des Priesterseminars. Wenn wir gefragt werden, ob hier Flüchtlinge hausen, ernten wir meist ungläubiges Staunen, wenn wir antworten: Nein, hier wohnen Priesterstudenten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz.
Woher kommt dieses Wachstum? Was ist das Geheimnis von Heiligenkreuz? Ich tue mir ehrlich schwer, hier verstandesmäßige Gründe anzuführen. Am liebsten würde ich die Antwort wiederholen, die Jesus seinen Jüngern auf eine ähnliche Frage gegeben hat: „Kommt und seht!“ (Joh 1,39). Dass wir mit Hilfe des Volkes Gottes, konkret durch die Spenden von 6 Millionen Euro von über 10.000 Spendern, die zu klein gewordene Hochschule ausbauen konnten, ist sensationell. Die neue Hochschule ist wunderschön: ein Campus des Studierens, des Betens, des Miteinander-Lebens von so vielen idealistischen Theologiestudentinnen und -studenten. Ein Campus, wo man lernen kann, den Glauben besser zu verstehen und gleichzeitig die Sakramente zu praktizieren.
Für uns Professoren ist es nicht nur selbstverständlich, am Beginn jeder Lehrveranstaltung mit den Studenten zu beten, sondern vor allem: selbst hundertprozentig das zu glauben, was wir lehren und das zu leben versuchen, was wir unseren Studenten dozieren. Der aus Spenden erbaute Campus ist ein Wunder, das größere Wunder aber sind die jungen Leute, die zu uns kommen, hier studieren und im Glauben ausreifen dürfen.
Heiligenkreuz ist ein ideales Zueinander eines uralten Stiftes mit seiner österreichischen Ge­mütlichkeit, in dessen Gemeinschaft aber zugleich ein monastisch-klösterliches Feuer brennt. Wir leben ja sehr streng, beten siebenmal am Tag das Chorgebet, beginnend um 5.15 Uhr, wir sind eifrig in der eucharistischen Anbetung, im Rosenkranz, wir haben keine Fernseher und halten das nächtliche Stillschweigen. Und trotzdem sind wir Zisterzienser kein grimmiger Büßerorden, sondern da lebt etwas in unserer Gemeinschaft wie Gastfreundschaft und Freude über jeden Besucher. Unser Motto, das wir auch auf der vielbesuchten Homepage www.stift-heiligenkreuz.at verkünden, lautet: „Patent portae, cor magis! – Unsere Türen stehen offen, noch mehr aber das Herz!“
Bei uns herrscht Offenheit, auch Bereitschaft, um der Einheit willen aneinander zu leiden, den anderen zu ertragen. Wir haben eine große Harmonie unter uns 91 Zisterziensern, auch weil wir gemeinsame Ideale haben: Wir wollen unkompliziert katholisch sein, ganz auf dem Boden des 2. Vatikanums, wir lieben die Liturgie, den gregorianischen Choral, die lateinische Liturgiesprache. Wir sind durch und durch in der Tradition unseres Ordensvaters Bernhard von Clairvaux, wenn wir begeistert marianisch sind. Ich kenne keinen Mitbruder, der nicht die Muttergottes kindlich liebt. Und wir sind eucharistisch.
1988 hat uns die selige Mutter Teresa von Kalkutta bei einem Besuch in Heiligenkreuz ermutigt, die eucharistische Anbetung zu forcieren. Die halten wir täglich, zusätzlich zum Chorgebet. Und inzwischen haben wir die Ewige Anbetung eingeführt, täglich von 14 bis 21 Uhr, wo auch Gläubige kommen können und tatsächlich kommen.
Aber – und das ist das Schöne – wir sind auch ganz normal österreichisch, bodenständig und leutselig. Heiligenkreuz zieht nicht nur „Superfromme“ an: Zum Klostermarkt am 3. Adventsamstag und am 1. Mai kommen zehntausende Menschen: Was für eine schöne Atmosphäre, wo an allen 40 Standeln Ordensleute ihre Produkte verkaufen und hunderte Menschen die Gelegenheit nützen, am Mittagsgebet der Mönche teilzunehmen, um danach Schlägler Bier mit Heiligenkreuzer Wildbratwürsteln zu essen!
Niederschwellig ist auch das Angebot an junge Männer zu geistlichen Kraftsportwochen. Da kommen oft sogar Ungetaufte. Das war aber auch für einige meiner jetzigen Mitbrüder der erste Kontakt zum Kloster. Nie hätten sie sich in ein Kloster getraut, aber das Interesse am Gewichtedrücken und am Kraftsport hat ihnen die Scheu genommen…
Und die monatliche Jugendvigil am 1. Freitag ist ein Renner. Über Facebook laden sich die Jugendlichen zwischen 15 und 28 selbst ein, gezählte 360 haben sich letztens in die Kreuzkirche gestopft. Nicht um Party zu feiern, sondern um Lobpreis zu halten, Rosenkranz zu beten, Jesus in der Monstranz anzubeten und sich eine coole Kurzpredigt von einem der jungen Patres anzuhören… Aus dieser Jugendseelsorge gibt es sowohl Berufungen zum Priestertum und in den Ordensstand, auch geistliche Schwestern. Zugleich aber finden junge Paare zueinander. Allein heuer gab es drei Hochzeiten von „Jugendvigilpärchen“.
„Komm und sieh!“ Ein Kreis von 2.600 Betern, zusammengefasst in der „Gebetsgemeinschaft der Freunde des Heiligen Kreuzes“, unterstützt uns durch Gebet und Opfer.  Gott sei Dank haben wir immer sehr gute Äbte: starke Persönlichkeiten, zugleich väterlich, fromm und von Herzen katholisch, die sich Großes trauen.  Unter Abt Gerhard Hradil haben wir 1988 nach 600 Jahren erstmals wieder ein Kloster gegründet: Stiepel in Bochum, das jetzt schon blüht und wächst.
Abt Gregor Henckel Donnersmarck hat sich getraut, 2007 den Papst persönlich einzuladen. Benedikt XVI. kam, segnete uns und alles wächst seither noch mehr als vorher. Und unser jetziger Abt Maximilian Heim hat den Mut gehabt, den Ausbau der Hochschule zu wagen, obwohl das Kloster kein Geld hat: Das Volk Gottes hat durch seine großzügigen Spenden deutlich gezeigt, dass es solchen Mut unterstützt.
Stark ist ein Oberer aber vor allem dann, wenn er starke Persönlichkeiten um sich nicht unterdrückt, sondern fördert. Ich habe schon vier Äbte erlebt, alle haben sie die Talente der Mitbrüder gefördert: Da gibt es welche mit dem Charisma zur Predigt, mit dem Talent zum Jugendseelsorger, mit einer Begabung für Organisation und Leitung… Eigentlich sind wir Heiligenkreuzer ein bunter Haufen verschiedenster Charaktere, unterschiedlich belastbar und vom Tempo her alle anders. Aber unsere Äbte halten uns zusammen, fördern unsere Talente und wir selbst bemühen uns um die brüderliche Liebe.
Eigentlich ist das für Ordensleute selbstverständlich. Bei uns kommt aber noch etwas hinzu, für das wir gar nichts können: Wir haben das Gefühl, dass Gott uns gewöhnliche und mittelmäßige Mönche, die nur das tun, was Mönche tun sollen, in dieser miesen Situation verwendet. Jawohl, er verwendet uns wie ein Werkzeug, wie ein Instrument, wie eine Schautafel, um der Welt zu zeigen: Auch wenn das Christentum durch eine miese Zeit geht – es geht auch anders!
Man braucht nur unkompliziert, normal katholisch sein. Mit den Beinen auf dem Boden der Tradition, den Kopf aber ins 21. Jahrhundert ausgestreckt: Wir arbeiten mit Internet, mit Facebook, mit Whats-app; die jungen Mönche führen einen eigenen Video-Kanal („Monastic Channel“) im Internet… Wir nützen die Medien unserer Zeit.
Der liebe Gott hat aber vor allem von sich aus inszeniert, man könnte fast sagen, dass er sich mit uns einen Scherz erlaubt hat, als wir seit 2007 so stark und positiv in die Öffentlichkeit gerutscht sind. Zuerst durch einen Oscar des Neffen des damaligen Abtes, Florian Henckel Donnersmarck: Das Drehbuch hatte er in einer kärglichen Klosterzelle geschrieben. Dann durch den überraschenden Besuch von Papst Benedikt XVI. am 9. September 2007, der auch der boomenden Hochschule galt. Schließlich ab 2008 durch einen geradezu mirakulösen Musikerfolg mit den Gregorianik-CDs „Chant“. Wir wussten gar nicht, wie uns ge­schah: Dauernd öffneten sich neue Türen, wo man sonst als Mönch nie hinkommt, wo man gar nicht wahrgenommen wird. Plötzlich standen Journalisten, Radio- und Fernsehteams vor den Türen des Klosters.
Wir haben immer gut geprüft, ob wir durch die geöffneten Türen gehen sollen. Wir haben viel gebetet, denn wir wollen nicht bloß „mediengeil“ in die Öffentlichkeit, sondern wir wollen Apostolat machen. Wo wir es nach langem Beten getan, oft erlitten haben (ich denke an meinen „Wetten-dass“-Auftritt), da wurde es doch zum Segen. Also nehme ich an, dass Gott dahinter steckt.
Wie es weitergeht? Solid und ordentlich wollen wir in aller Stille die Priesterausbildung an unserer Hochschule fortsetzen. Die jungen Leute brauchen die Atmosphäre des Glaubens, um in der Berufung wachsen und einwurzeln zu können. Natürlich müssen wir als Gemeinschaft bald eine Neugründung machen. Viele Bischöfe laden uns ein. Aber da haben wir bisher noch zu wenig gebetet, da uns aber die Zimmer ausgehen, stehen wir unter Druck.
Und jede Berufung, die Gott uns schickt, ist ja Seine Herausforderung an uns: Macht etwas mit diesen jungen Leuten: Betreut Pfarren, führt Jugendliche zum Glauben, bildet an der Hochschule frohe Theologen aus, gründet neue Klöster, besiedelt alte Klöster neu… Jede Berufung ist ein Imperativ Gottes an uns, noch mehr zu tun. Eigentlich tun wir Heiligenkreuzer ja viel zu wenig.
Aber das ist ja das Schöne an unserem Gott, das er uns bei jeder Heiligen Messe vor Augen führt. Wenn wir ihm ein bisschen etwas an Glauben und Opferbereitschaft hinhalten, wandelt er es in Vermehrung und Wunder. Und so wie die kleine Hostie nach der Wandlung zur göttlichen Nahrung für uns Menschen wird, so hoffe ich, dass Gott auch unsere Gemeinschaft hier, Heiligenkreuz und die Hochschule, zu einem Mittel macht, um in diesem desolaten Europa ein Stück weit seine Herrschaft der Liebe wieder aufzurichten. Ich erlaube mir, am Schluss das Wort an unseren Herrn und Heiland zu übergeben, der da sagt: „Kommt und seht!“

Der Autor ist Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Heiligenkreuz.

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