VISION 20006/2015
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Hanns Georg Heintschel-Heinegg

Artikel drucken Botschaft an uns (Von Helmut Moll)

In unserem Jahrhundert sind die Martyrer zurückgekehrt, häufig unbekannt, gleichsam ‚unbekannte Soldaten‘ der großen Sache Gottes. Soweit als möglich, dürfen ihre Zeugnisse in der Kirche nicht verloren gehen.“ Das schrieb Papst Johannes Paul II. im Jahr 1994, als sich die Kirche auf den Übergang in das dritte christliche Jahrtausend vorbereitete. Die Bischofskonferenzen aller Länder bemühten sich, die Lebenszeugnisse der Glaubenszeugen des 20. Jahrhunderts zu sammeln, um sie dem Vergessen zu entreißen.
Einer dieser „unbekannten Soldaten der großen Sache Got­tes“ ist Hanns Georg Heintschel-Heinegg. Mit nur 25 Jahren wurde der Theologiestudent am 5. Dezember 1944 im Wiener Gefängnis unter dem Fallbeil hingerichtet. Wenn ihm auch nur wenige Artikel und Bücher gelten und seine Biographie nicht sofort bei den Stichworten „Martyrium“ und „Widerstand“ genannt wird, so wird doch jeder, der seinen Lebensspuren folgt, vor das Geheimnis der Gegenwart Gottes geführt.
Ein Mitgefangener, der die grauenvolle Tage des Gefängnisses in Wien überlebte, schrieb über den Priesteramtskandidaten, wie folgt: „Ein stiller, gescheiter, feinsinniger und dabei mit köstlichem Humor begabter Mensch, 25 Jahre alt.“
Hanns Georg von Heintschel-Heinegg wurde am 5. September 1919 auf Schloß Kneschitz  in Nordböhmen geboren. Im Jahr 1926 gaben seine Eltern Wolfgang und Albertine Heintschel-Heinegg aus wirtschaftlichen Gründen die Besitzungen in Böhmen auf und ließen sich mit ihren Kindern in Wien nieder. Hanns Georg besuchte das Theresianum, ein Gymnasium der österreichischen Aristokratie mit ausgeprägter Traditionspflege.
Diese Schule eröffnete dem Jungen die Welt der großen Dichter und Schriftsteller wie Rainer Maria Rilke, Stefan George, Hugo von Hofmannsthal und Joseph Freiherr von Eichendorff. Der junge Mann las gerne ihre Gedichte und Gedanken.  Gleichzeitig wurde er durch die Begegnung mit der Literatur selber zum Schreiben angeregt. Nicht weniger als 23 Gedichte widmete Hanns Georg allein seiner neuen Heimatstadt Wien.
Der Gedankenwelt des Nationalsozialismus stand er von Anfang entschlossen ablehnend gegenüber. Schnell erkannte er in der nationalsozialistischen Ideologie die Ablehnung des Lebens und jeder Menschlichkeit.
Schon in seiner Schulzeit erwachte in dem Gymnasiasten der Wunsch, Priester zu werden. Nach erfolgreicher Abiturprüfung begann er am 2. Oktober 1937 das Theologiestudium am Priesterseminar Canisianum in Innsbruck. Seine Liebe zur Literatur ließ den Studenten in diesem nach seinen eigenen Aussagen „glücklichsten Abschnitt“ seines Lebens zu den Werken von Georges Bernanos, León Bloy und Paul Claudel sowie Gertrud von Le Fort greifen.
Umso härter musste es ihn in seinem Geist und Gemüt treffen, als nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 an das Deutsche Reich, die rauhen und brutalen Methoden der Geheimen Staatspolizei das öffentliche Leben bestimmten. Bei einer Hausdurchsuchung des Canisianums am 13. März 1938 wurden Briefe von Heintschel-Heinegg beschlag­nahmt. Beim Verhör hatte er sich dafür zu verantworten, dass er sich in den an seine Schwester gerichteten Briefen Gedanken um eine friedliche Neuordnung Europas nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs machte. Diese Briefe zeugten von der Ablehnung des Nationalsozialismus sowie der Größe und Freiheit seines Geistes.
Am 21. November 1938 wurde das Canisianum zwangsweise von der Gestapo geschlossen. Heintschel-Heinegg konnte seine Studien daher nicht fortsetzen. Der Student kehrte nach Wien zurück und lebte in einer privaten Wohnung, in der Erwartung seiner Einberufung zur Wehrmacht.
Im Laufe des Jahres 1939 wurde er mit der Österreichischen Freiheitsbewegung unter dem Augustiner-Chorherren Roman Scholz (1912 – 1944) bekannt gemacht und schloss sich dieser an. Ein Spitzel erschlich sich das Vertrauen der Mitglieder und verriet am 17. Juni 1940 für 30.000 Mark die Namen der Teilnehmer der Treffen. Die Gestapo reagierte kompromisslos mit über 130 Verhaftungen. Unter den „Zusammengetriebenen“ war auch Hanns Georg von Heintschel-Heinegg.
Sein weiterer Lebensweg wurde zu einem wahren Kreuzweg, der durch die Gefängnisse in Wien, Anrath (Niederrhein) und Krefeld sowie zurück nach Wien führte; hier wurde ihm am 22. und 23. Februar 1944 der Prozess gemacht. Vier Jahre sinnlosen und zermürbenden Gefäng­nis­aufenthaltes lagen da bereits hinter dem Theologiestudenten. Das Gericht verurteilte ihn zum Tode und zu immerwährendem Ehrverlust. Danach hatte der Verurteilte nochmals zehn Monate in der Zelle in der sicheren Erwartung des Todes zu ertragen, bis das Urteil am 5. Dezember 1944 in Wien durch das Fallbeil vollstreckt wurde.
Nach den Worten des damals amtierenden Gefängnispfarrers sprach Heintschel-Heinegg auf dem Weg von der Gefängniszelle bis zur Guillotine laut und vernehmlich das Glaubensbekenntnis. Die Worte „und an die Auferstehung und das ewige Leben“ wurden von dem dumpfen Aufprall des niedersausenden Schwertes erstickt. Danach war es still.
Heintschel-Heinegg wuchs in der Zeit seiner Haft zu wahrer Größe und Klarheit heran. „Wir alle müssen uns erst bewähren. Hier sammeln wir nur (…) Nur der Wartende reift, und jede Läuterung bedarf des Steines, der auf uns geworfen wird.“ Immer wieder traf Heintschel-Heinegg auf Wärter, die ihm Papier und Stifte verschafften, und es ermöglichten, dass der Gefangene schreiben und seine Gedanken festhalten konnte.
Im Gefängnis von Krefeld, am 4. Juni 1942, dem Fronleichnamstag, verband er sich in einem Gedicht über die Gegenwart der Liebe Gottes mit den in der Stadt vorüberziehenden Prozessionen.

Es ist kein Thron so nah an uns gerückt
als der der Liebe. Aller Menschen Sorgen
gehen hier zu Ruh. Gesegnet, wem genügt,
zu wissen, daß er ewiglich geborgen.

In stiller Demut schweigt mein preisend Wort;
denn Stille ziemt, wem Gott das Herz entbrennt.
In ferner Sehnsucht nach dem heiligen Ort
ruft mich die Andacht hin zum Sakrament.

Während der Gefängnisaufenthalte dachte Heintschel-Heinegg sogar über die Gründung des Ordens der „Ritter vom Heiligen Geist“ nach. Er hoffte, dieser Bund würde dazu beitragen, „die Menschheit, die Kultur und alles Leben in und zu Christus heimzuführen.“ Fünf Mitgefangene, zu denen er unter den Bedingungen der Haft Kontakt pflegen konnte, traten der Vereinigung bei. Obwohl es trotz der widrigen Umstände zu einer kirchlichen Anerkennung gekommen ist, wird es vermutlich niemals eine Ordensgemeinschaft in der Geschichte der Kirche gegeben haben, die in einer Gefängniszelle geboren wurde und deren erste Mitglieder sechs zum Tode verurteilte Häftlinge waren. Ein ehrendes Begräbnis wurde Hanns Georg von Heintschel-Heinegg nicht zuteil. Die Gestapo weigerte sich, den Leichnam der Familie zu überlassen. Der Tote wurde eingeäschert und auf dem Wiener Zentralfriedhof ohne jede Feierlichkeit und Begleitung beigesetzt.
Das Wort aus dem Johannes­evangelium kennzeichnet sein Grab: „Wenn das Weizenkorn in die Erde fällt und stirbt, bringt es viele Frucht“ (vgl. Joh 12,24). Treffender ist das Leben Heintschel-Heineggs und seine unzerstörbare Hoffnung kaum zu beschreiben.

Prälat Prof. Dr. Helmut Moll ist Herausgeber von Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, Schöningh, Paderborn u.a., 6., erweiterte  Auflage 2015, 2 Bände, 98 Euro.  

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