Tja, auch Gott hat so seine Schwächen. Gott ist vergesslich, kurzsichtig, verschwenderisch, unfair, parteiisch, ist auf einem Auge blind. Gott kann nicht rechnen, lässt sich bestechen, setzt sich über alle Grenzen hinweg, lebt in schlechter Gesellschaft.“
Ach, Du lieber Gott!!! Wer provoziert denn da?
Es ist Karl-Heinz Fleckenstein, der einfühlsame Erzähler aus dem Heiligen Land. Er kann alle diese Behauptungen stichhaltig belegen; nicht nur mit verlässlichen Zitaten aus dem Neuen Testament, sondern auch mit aktuellen Erfahrungsberichten.
Schon im Vorwort weist der Autor auf die „total unvernünftige Schwäche“ Gottes hin: „In Windeln gewickelt. Und am Ende seiner irdischen Laufbahn als ein ohnmächtig Leidender am Kreuz. Wer kann der Botschaft von einem solch heruntergekommenen Gott Glauben schenken?“
Karl-Heinz Fleckenstein wendet auch in diesem Buch sein bewährtes Stilmittel an, Jesus im inneren Gespräch mit den Worten der Bibel direkt zu konfrontieren: „Jesus, im Hebräerbrief 8,12 sagst du: ‚Ihrer Sünden werde ich nie mehr gedenken!’ Bist du als Gottessohn wirklich vergesslich?“
Der Autor findet die Antwort in der Geschichte des Verbrechers, der rechts von Jesus gekreuzigt worden war, und lässt seinen „inneren“ Jesus in erfrischender Ausdrucksweise zu Wort kommen: „Ihr werdet keine Weltverbesserer. Denn mein Vater will die Welt nicht verbessern, sondern erneuern ... Dabei haltet euch immer eine Frage vor Augen: Wollt ihr wie der Gekreuzigte zu meiner Linken eine weltverbessernde Leistungsreligion oder wollt ihr wie der Gekreuzigte zu meiner Rechten die Rettung der Welt bei mir suchen? Vergesst eines nicht: Auf dem Hinrichtungshügel Golgota hing ich nicht zwischen zwei feierlichen Altarkerzen, sondern zwischen zwei brutalen Anarchisten. Ihr findet mich auch heute dort, wo der Mensch mit seiner Kunst am Ende ist. Am schlimmsten Platz. Dort, wo es zu Ende geht. Genau dort könnt ihr mir begegnen oder auch mich verpassen.“
Fleckenstein schließt ein spannendes Zeugnis aus der Gegenwart an. Bruder Vianney-Marie Graham aus dem kontemplativen Clear Creek Kloster in Oklahoma hatte es sich zur Aufgabe gemacht, für Schwerverbrecher in der Todeszelle zu beten. So kam er 2001 zu James Malicoat, der brutal seine 13 Monate alte Tochter zu Tode geprügelt hatte. Der Mönch konnte den Verbrecher zur Umkehr bewegen. Ein paar Tage nach der Hinrichtung erhielt der Mönch einen Brief von Malicoat, datiert zwei Tage vor seinem Tod: „Sie werden sehen, das Gebet ist nie umsonst.“
Auf solche Art kontrastiert Fleckenstein in seinem Buch die inneren Antworten Jesu mit aktuellen Erzählungen der Umkehr vom Berlusconi-Girl zur Jesus-Freundin, vom Raufbold zum Wallfahrtspater, von der Leiterin einer Abtreibungsklinik zur Pro-Life-Aktivistin, vom gnadenlosen Finanzhai zum Schuldnerberater und ähnlichen unerwarteten Fügungen.
Und wenn Karl-Heinz „seinen“ Jesus fragt: „Was meinst du eigentlich genau damit, wenn du uns einlädst: ‚Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon?’ “, dann hört er die Antwort: „Damit meine ich das ewige Reich meines Vaters. Der ungerechte Mammon kann nie gerecht sein. Aber er kann euch dienen als Mittel, um in der Welt Gutes zu tun .... Ihr sollt Zeugnis ablegen für diese ganz andere Weltordnung, die ich euch vorgelebt habe und zu der ich euch berufe. Hundert Empfindlichkeiten. Hundert Gemeinheiten. Hundert Lügen. Hundert Lieblosigkeiten jeden Tag. Hundert hochmütige Gedanken. Hundert Geizigkeiten. Bringt sie zu mir. Gebt mir euren Schuldschein. Ich streiche die Zahl und schreibe Null dafür. Das ist die Klugheit, die ihr als Kinder des Lichts den Kindern der Welt abschauen sollt. Jetzt ist die Zeit der Gnade. Meine Vergebung befreit euch. Meine Vergebung ist für jeden Tag neu das dringendste und für die Zukunft wichtigste Anliegen.“
Auch Gott hat so seine Schwächen – Erstaunliches über den Herrn des Himmels und der Erde. Von Karl-Heinz Fleckenstein, Be&Be-Verlag, Heiligenkreuz 2016, 218 Seiten, 9,90 Euro.