VISION 20005/2016
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Mit Feuer und Schwert

Artikel drucken Wie Christen heute im Nahen Osten verfolgt werden (Christof Gaspari)

Horrormeldungen aus dem Vorderen Orient – meist leidenschaftslos in Rundfunk oder Fernsehen verlesen – begleiten uns nun schon seit Jahren: Enthauptung von koptischen Christen in Libyen, Vertreibung zehntausender Christen und Jesiden aus ihrer Heimat, Vergewaltigungen, zerbombte Dörfer und Städte, Getötete, Getötete, Getötete… Die Gefahr abzustumpfen ist groß.
Ihr entgeht, wer das Buch von Hans Joachim Löwer „Mit Feuer und Schwert“ zur Hand nimmt. Denn da bekommt das dramatische Geschehen, das sich im Raum zwischen der Türkei und Ägypten abspielt, Farbe. Personen mit einem Namen und einem Gesicht treten an den Leser heran. Der Autor hat sie während einer dreimonatigen Reise durch sieben Länder des Vorderen Orients kennengelernt. In 30 Episoden lässt er die Menschen, denen er begegnet ist, ihre Geschichte erzählen.
So etwa bei einem Rundgang durch Marbusnayeh, ein assyrisches Dorf, das von IS-Truppen erobert, zerstört und später – nach schweren Kämpfen – wieder verlassen worden ist, den 40-jährige Ashur, der erzählt: „Ich bin der Letzte aus meiner Familie. Alle anderen sind ums Leben gekommen, mein Vater und meine Mutter, meine Frau und meine fünf Söhne. Acht Menschen habe ich verloren während ich bei meiner Einheit war. Vielleicht wissen Sie jetzt, wie ich mich fühle…“ Neun Kirchen seien dort zerstört worden.
Und dennoch geben einige Rückkehrer nicht auf. Etwa Elias Antar, der Dorflehrer. Schon eine Woche nach der Rückeroberung ist er heimgekehrt. Vor dem Krieg lebten dort 55 Familien, berichtet er, „jetzt sind immerhin schon zwölf wieder da. … Meine Kindheit, meine Jugend, meine Frau, meine Vergangenheit und meine Zukunft – alles ist von hier, “ fährt er fort, „warum sollte ich von hier weg?“
Es sind abenteuerliche Erzählungen, über die Löwer berichtet: etwa die eines Mittelsmanns, der IS-Geiseln freikauft, oder jene des entführten Priesters, der von Milizen gefoltert und dann freigekauft worden ist, oder aber die einer Familie, die vom IS gezwungen wird, zum Islam überzutreten und dies auf Rat eines Priesters pro forma auch tut, um nach ihrer Befreiung  wieder abzuschwören…
Oder die Geschichte von Toss, dem Barbier in der ägyptischen Stadt Delga, beliebt bei Christen und Muslimen. Als es 2013 zur Konfrontation zwischen Präsident Sisi und den Muslimbrüdern, Anhängern dessen gestürzten Vorgängers Mursi kam, schwappte der Aufruhr auch nach Delga über. Mit dem Ruf „Allahu akbar!“ stürmte eine aufgepeitschte Meute durch die Straßen. Als Toss zu seinem Haus kommt, steht es in Flammen, kein Wasser da, um zu löschen, die Menge skandiert: „Tod den Christen!“
Um seine Familie, sieben Erwachsene und zwei Kinder, zu retten, stürmt er in den ersten Stock. Es gelingt ihm, sie auf der Rückseite des Hauses, den Blicken der Belagerer entzogen, zu den Nachbarn zu verfrachten. Um die Flucht der Seinen zu decken,  – es ging um Minuten – wirft sich Toss der eindringenden Meute entgegen. Eine Kugel in den Kopf und eine ins Herz strecken ihn nieder. Ein Messerstich in die Brust vollendet den Mord, die Leiche wird durch die Straßen geschleift…
Wichtig der Schluss der Erzählung: Beduinen kommen und beerdigen den geschändeten Leichnam. Außerdem ermöglichen Stammkunden des Barbiers, dass die geflüchtete Familie nach Kairo gebracht werden kann, wo sie bei Verwandten Unterschlupf findet.
Aus den meisten Erzählungen wird deutlich, wie labil selbst harmonische Beziehungen zwischen Muslimen und Christen sind, wie rasch sich ein scheinbar gutes Verhältnis zur existenziellen Bedrohung der nicht muslimischen Minderheit verwandeln kann.
Wir Christen im Westen haben es nötig, uns von der Not, der Bedrängnis und dem Leid unserer Glaubensgeschwister wirklich betreffen zu lassen, ohne die Muslime in Bausch und Bogen zu verdammen. Auch dazu trägt Löwer bei, wenn er auch über glaubhafte Bemühungen einzelner um gegenseitiges Verständnis berichtet, etwa des sunnitischen Geschäftsmannes Naffi, dem es gelingt, im Libanon Schüler einer muslimischen und einer christlichen Schule so miteinander vertraut zu machen, dass diese Art des Treffens mittlerweile 2.000 junge Libanesen unterschiedlichen Glaubens zusammengeführt hat.

Mit Feuer und Schwert. Wie Christen heute im Nahen Osten verfolgt werden. Von Hans-Joachim Löwer. Styria premium, 254 Seiten, 24,90 Euro.

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